Verleger Frank Tewes, Autor Werner Schäfke, Silvia Rückert. stellvertretende Direktorin des Kölnischen Stadtmuseums und Alt-OB Jürgen Roters vom Vorstand der Freunde des Kölnischen Stadtmuseums (v.l.). Foto: Bopp

Köln | Historiker Werner Schäfke blickt in seinem Buch auf ein Stück Kölner Geldgeschichte.

Es waren schwere Zeitung für die Bevölkerung – gerade hatte man den Ersten Weltkrieg überstanden und die Spanische Grippe hatte als Pandemie viele Opfer gefordert. Dann explodierten auf einmal die Preise und brachten viele Menschen um ihr gesamtes Vermögen und um ihre Besitztümer. Hunger und Not machte sich auch in den Straßen Kölns breit.

Am 26./27. November 1923 kostete ein Kilo Margarine 3,2 Billionen Mark, ein Kilo Graubrot 1,02 Billionen, das Kilo Kartoffeln gab es für 220 Milliarden und für einen Zentner Brikett war eine Investition in Höhe von 2,8 Billionen Mark fällig. Um einen Brief zu versenden, musste dieser mit zehn Briefmarken, die jeweils den Wert von einer Milliarde Mark hatten, frankiert werden. Die Inflationsrate für das Jahr 1923 lag bei astronomischen 561 Millionen Prozent.

Auch heute bestimmt die Inflation wieder das öffentliche Leben

Da muten die sieben bis acht Prozent Inflation, unter der heute die Menschen stöhnen, wenn sie ihr Auto tanken oder Lebensmittel einkaufen, noch als relativ beschaulich an. Als der frühere Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, Dr. Werner Schäfke, zusammen mit Verleger Frank Tewes vom Marzellen Verlag mit seiner Arbeit für das Buch zur großen Inflation in Köln begann, konnten beide noch nicht ahnen, wie aktuell ihr Thema durch den Ukraine-Krieg werden würde.

In seinem Werk berichtet der Historiker über ein spannendes, 100 Jahre zurückliegendes Kapitel der Kölner Stadtgeschichte, zu dem auch die Alltagsgeschichten der Menschen in der bislang schlimmsten Inflation hierzulande gehören.

Da war beispielsweise der Kölner Gewerkschaftssekretär Peter Fröhlich, der „Mann mit dem Koffer“. Er erinnert sich, dass sein Arbeitslohn binnen weniger Momente massiv an Wert verlor: „Bekam man für sein Geld um neun Uhr noch ein Brot, dann gab es für das gleiche Geld um 10 Uhr kaum noch ein Brötchen.“ Mit einem Koffer voller Geld, das „alles in allem keine 50 Pfennig mehr wert war“, betrat er eine Kölner Metzgerei, um ein Pfund Blutwurst zu kaufen. Als er der Metzgersfrau den Kofferinhalt zum Nachzählen anbot, schenkte ihm diese kurzerhand die Wurst.

Auch Köln hatte ein eigenes Notgeld im Einsatz – gezeichnet vom damaligen OB Konrad Adenauer. Foto: Schäfke/Marzellen Verlag

Allerdings waren auf der britisch besetzten „Insel der Seligen“ auf dem Schwarzmarkt durchaus noch gute Geschäfte möglich. So erinnert sich die Kölner Schriftstellerin Helma Cardauns, wie eine einzige von der Mutter ertauschte Ein-Dollar-Note in der Familie für Weihnachtsstimmung sorgte. Sie reichte aus, um eine Flanellbluse zu erstehen.

Diese und andere Erlebnisse aus der Zeit der großen Inflation in Köln sind erstaunlich selten erzählt worden, wie Schäfke bei seinen Recherchen erfahren hat. Das mag auch daran liegen, dass es „eben keine schönen Erinnerungen waren“.

Erinnerungen von Willy Millowitsch

Diese finden sich zum Beispiel beim Volksschauspieler Willy Millowitsch, der in seiner Autobiografie davon berichtet, dass damals seine Mutter Emma das Theater der Familie schließen musste. Auch Louise Straus-Ernst, erste Ehefrau des Malers Max Ernst, erinnert sich, dass sie für ihre in bar ausgezahlte Mitgift „in Höhe von zigtausend Mark lediglich ein Straßenbahnticket kaufen konnte“.

„Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der großen Inflation sind zum deutschen Trauma geworden. Jeder von uns hat es noch heute. Vielleicht ist das die Ursache dafür, dass man sich kaum mit dieser immer noch offenen Verletzung mit Blick auf Köln beschäftigt hat“, vermutet der Autor.

In seinem von den Freunden des Kölnischen Stadtmuseums unterstütztem Buchprojekt füllt er nun diese Lücke. In neun Kapiteln berichtet er vom Kleingeldersatz, der nötig wurde, weil Metall für Münzen, wie Kupfer oder Nickel, für Rüstungszwecke eingezogen worden war.

Auch die Roten Funken fanden sich auf Geldscheinen wieder

Als Ersatz kamen Darlehenskassenscheine der Reichsbank genauso zum Einsatz wie eingetütete Briefmarken oder gedrucktes Kleingeld bzw. Gutscheine von großen Firmen, kleinen Restaurants und dem Einzelhandel, die auch als Werbung oder Sammlerware ihre Bedeutung erlangten. Lokale Motive wie Szenen zu den Roten Funken oder zur Heinzelmännchensage sind ebenfalls auf den Scheinen zu sehen.

Ein lesenswerter und im Buch abgedruckter Bericht der Preisprüfungsstelle zeigt auf, wie der Wucher und das Schiebertum in Köln bekämpft werden sollte. Ein eigenes Kapitel wird dem damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer gewidmet, der die Inflation nutze, um zur richtigen Zeit Schulden zu machen. Damit wurden dann große Projekte wie die Messe, der Grüngürtel, die Universität oder die Hafenanlagen in Niehl finanziert.

1923 war der Höhepunkt der großen Inflation

Denn die große Inflation, die ihre Ursachen in der rücksichtslosen Kriegsfinanzierung hatte und die ab 1920 immer mehr an Fahrt aufnahm, um dann 1923 ihren Höhepunkt als Hyperinflation zu erreichen, hatte nicht nur Verlierer: Hohe Schuldenberge verfielen durch den rasanten Verfall der Währung binnen kurzer Zeit in kleine Summen und neue Kredite waren lukrativ.

Dazu kamen Spekulanten, die die Krise für ihre Zwecke ausnutzten. Die britische Besatzung ermöglichte Schwarzhändlern und Schmugglern gute Geschäfte. Viele Menschen mussten Kunstwerke oder Schmuck sowie komplette Gebäude und Firmen weit unter Wert verkaufen, was andere, die es sich durch Devisen leisten konnten, deutlich reicher machte.

Werner Schäfke: Die Große Inflation 1914 bis 1924 – eine Kölner Geldgeschichte, Marzellen-Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro