Köln | Es gibt Streit um das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles geplante Tarifeinheitsgesetz. Es gilt als sicher, dass das Gesetz in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, sofern die angekündigten Klagen dort zugelassen werden.

Vereinigung Cockpit: Tarifeinheitsgesetz „Verfassungsbruch mit Ansage“

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) hat das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles geplante Gesetz zur Tarifeinheit als einen „Verfassungsbruch mit Ansage“ bezeichnet: Damit würden kleinen Gewerkschaften „durch die Hintertür essentielle und vom Grundgesetz geschützte Rechte“ abgesprochen. „Den Arbeitgebern geht es doch nicht um mehr Solidarität der Arbeitnehmer, sondern schlicht um das Brechen der Macht von kleineren Gewerkschaften“, sagte VC-Präsident Ilja Schulz. „Da dieser Spagat rechtlich nicht möglich ist, hat Frau Nahles in ihrem Ministerium ein Gesetz erarbeiten lassen, welches das eigentliche Ziel nicht regelt, sondern bewusst eine Form von Rechtsunsicherheit erzeugt. Die Gewerkschaften sollen so handlungsunfähig gemacht werden“, kritisierte Schulz. Derzeit bereite sich die Gewerkschaft bereits auf eine verfassungsrechtliche Klärung vor.

Marburger-Bund-Chef weist Egoismusvorwurf zurück

Im Streit um das geplante Tarifeinheitsgesetz hat der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, Vorwürfe zurückgewiesen, die Ärztegewerkschaft mache eine egoistische Tarifpolitik auf Kosten der übrigen Beschäftigten in den Kliniken. „Wir können nicht die Aufgabe des Sozialausgleichs auch noch in die Tarifpolitik übernehmen“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete dem „Handelsblatt“ (Mittwochsausgabe). Im Referentenentwurf für das geplante Tarifeinheitsgesetz, den Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Dienstag präsentiert hatte, warnt die Regierung, dass konkurrierende Tarifverträge der „innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit“ zuwiderliefen.
Denn oft sei nicht die besondere Leistung einer Arbeitnehmergruppe, sondern ihre Schlüsselposition im Betriebsablauf Maßstab für die Verteilung des Erwirtschafteten. „Es muss gerecht zugehen, aber die Frage, die die Tarifpolitik lösen muss, ist die Frage nach der Leistungsgerechtigkeit“, sagte Henke dazu. „Verteilungsgerechtigkeit ist in erster Linie Aufgabe der Steuer- und Transferpolitik des Staates.“
Hätte der Marburger Bund sich 2006 nicht aus der Tarifgemeinschaft mit Verdi verabschiedet, „dann hätte wahrscheinlich jeder Arzt im Schnitt seines Berufslebens zwei Jahresgehälter verloren“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende. Das geplante Tarifeinheitsgesetz wertet der Marburger-Bund-Chef als Generalangriff auf bestehende und künftige Berufsgewerkschaften: „Alles redet im Augenblick darüber, dass die Pflege dringend gestärkt werden muss. Aber dieses Gesetz nimmt Beschäftigten der Pflegebranche jede organisationspolitische Entwicklungsperspektive“, warnte Henke.
„Es ist nicht nur ein Angriff auf den Marburger Bund, sondern auf jeden, der in Zukunft das Gefühl hat, dass sein Beruf vielleicht besser organisiert werden könnte.“

Ex-Innenminister will Verfassungsklage gegen Tarifeinheitsgesetz einlegen

Noch am Tag, an dem Bundesarbeitsministerin Angela Nahles (SPD) ihren Gesetzesentwurf zur Tarifeinheit der Öffentlichkeit präsentiert hat, regt sich bereits Widerstand: „Selbstverständlich würden wir Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn das Gesetz wie geplant kommt“, sagte der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum im Gespräch mit „Handelsblatt-Online“. Mit seiner Kanzlei vertritt Baum die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. Baum verweist auf Rechtsgutachten, die seine Position stützen.
„Wenn es gesellschaftliche Konflikte – auch im Tarifbereich gibt, dann können sie nicht mit dem Schwert des Gesetzgebers gelöst werden“, sagte Baum. Er verwies auf garantierten Grundrechte. „Es geht hier nicht um einen einzelnen Tarifvertrag, sondern um eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage – um die Tarifautonomie.“
Die ganze Gesellschaft sei betroffen. „Es geht um das Streikrecht, das auf jeden Fall gefährdet wird, obwohl die Regierung verspricht, es zu schützen“, sagte er weiter. Der Präsident der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit gibt sich ebenfalls kämpferisch. „Wir müssen aktuell unsere Rechte wahren, weil die Regierung unsere Existenz als Gewerkschaft infrage stellt“, sagte Ilja Schulz „Handelsblatt-Online“.

Autor: dts