London | aktualisiert | Großbritanniens Brexit-Minister Dominic Raab hat seinen Rücktritt erklärt. Er könne die mit der EU ausgehandelte Vereinbarung nicht mit gutem Gewissen mittragen, teilte er am Donnerstagvormittag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. In einem Brief an Premierministerin Theresa May schrieb er, dass er ihre Beweggründe verstehe, warum sie dem Deal zugestimmt habe. Es gab einen weiteren Rücktritt und das britische Unterhaus diskutiert den Vorschlag von Theresa May. Deutsche Politiker äußern sich sorgenvoll über die Entwicklungen in London.

Allerdings halte er die in dem Papier vereinbarte Lösung für Nordirland für eine „echte Gefahr für die Integrität des Vereinigten Königreichs“, so Raab weiter. Außerdem kritisierte er den sogenannten „unbefristeten Backstop“, wonach Großbritannien vorerst in einer Zollunion mit der EU bleibt. Vor Raab hatte am Donnerstagmorgen bereits der britische Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara seinen Rücktritt erklärt.

Weiterer Rücktritt in Mays Kabinett

Großbritanniens Premierministerin Theresa May gerät nach der Einigung auf einen Entwurf für einen Brexit-Deal immer mehr unter Druck. Nach Brexit-Minister Dominic Raab erklärte am Donnerstagvormittag auch Arbeitsministerin Esther McVey ihren Rücktritt. Zuvor war bereits der britische Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara zurückgetreten.

Die mit der EU ausgehandelte Vereinbarung ignoriere das Resultat des Brexit-Referendums, schrieb McVey in einem Brief an May. Der Deal gefährde die „Integrität des Vereinigten Königreichs“. Zuvor hatte Raab mitgeteilt, dass er den Deal nicht mit gutem Gewissen mittragen könne.

May verteidigt Brexit-Deal im Unterhaus

Nach den Rücktritten mehrerer Regierungsmitglieder hat die britische Premierministerin Theresa May den von ihr vorgelegten Brexit-Deal im Unterhaus verteidigt. Bei der mit der EU ausgehandelten Vereinbarung handele es sich lediglich um einen Entwurf und nicht um das finale Abkommen, sagte May am Donnerstagmittag im Parlament. Der Brexit bedeute schwierige Entscheidungen für alle.

Vor allem mit dem sogenannten „Backstop“, wonach Großbritannien vorerst in einer Zollunion mit der EU bleibt, sei keine der beiden Seiten glücklich. Ohne einen „Backstop“ könne es aber keinen Deal geben, so May. Vor Mays Rede hatte es mehrere Rücktritte in Mays Kabinett gegeben.

Brexit-Minister Dominic Raab und Arbeitsministerin Esther McVey gaben ihre Ämter auf. Zudem traten mehrere Staatssekretäre zurück. Am Mittwochabend hatte das britische Kabinett noch den von May vorgelegten Entwurf eines Brexit-Deals gebilligt.

Merkel begrüßt Einigung auf Brexit-Entwurf

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich zufrieden über die Einigung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auf einen Entwurf für einen Brexit-Deal geäußert. Nun sei es Aufgabe der 27 verbliebenen EU-Staaten, die Vereinbarung zu analysieren, sagte Merkel am Donnerstag in Potsdam. Sie sei froh, dass es überhaupt gelungen sei, sich auf einen Entwurf zu einigen.

Brexit-Deal: Deutsche Politiker in Sorge

Angesichts der schweren Regierungskrise in London wächst unter deutschen Politikern die Sorge vor einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens. „Das Londoner Chaos darf nicht unser Chaos werden“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Freitagsausgaben). „Aus Sicht Deutschlands und der EU ist die Einigung mit Großbritannien zwar ein großer Schritt nach vorne. Die immensen Risiken, die ein ungeordneter Brexit für die deutsche und europäische Wirtschaft, aber auch für EU-Bürger in Großbritannien birgt, wären damit abgewendet“, so Lambsdorff weiter. Aber nach derzeitigem Stand sei nicht absehbar, wie es für das Abkommen eine Mehrheit im britischen Unterhaus geben könne. Die Gefahr, dass Großbritannien aus der EU austritt, ohne dass es ein Abkommen gibt, sei groß, sagte Lambsdorff.

Er appellierte an Brüssel und Berlin, sich für diesen Fall zu wappnen: „Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen sich auf dieses Szenario in allen Details vorbereiten, von aufenthaltsrechtlichen Problemen über Störungen in Lieferketten der Wirtschaft bis hin zur Beeinträchtigung des Flugverkehrs.“ Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner warnte vor einer Panik-Kettenreaktion: „Premierministerin May verliert im Stundentakt Kabinettsmitglieder, und der Widerstand im britischen Parlament ist enorm. Die EU darf sich von diesem Chaos nicht anstecken lassen, sondern muss ihre Ziele fest im Blick haben“, sagte Brantner.

Die Grünen-Politikerin kritisierte, dass der im Entwurf für ein EU-Austrittsabkommen skizzierte Verbleib Großbritanniens im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion die geltenden EU-Produktstandards unterlaufen könnte. „Der Austrittsvertrag bringt viele Risiken im Bereich Standarddumping. Es ist nicht sicher, ob der Vertrag wirklich alle relevanten Regeln enthält, an die die Briten sich weiterhin halten müssen“, so Brantner.

„Und bei Streit über die Auslegung der Regeln ist der Europäische Gerichtshof de facto außen vor. Das ist Justiz à la carte“, so die Grünen-Politikerin weiter. Nur weil ein Austritt ohne Abkommen das schlimmste Szenario wäre, heiße das noch lange nicht, dass dieses Abkommen ein gutes sei, so Brantner.

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Hintergrund zum Brexit

Am Mittwochabend hatte das britische Kabinett noch den von May vorgelegten Entwurf eines Brexit-Deals gebilligt. Die EU hatte daraufhin für den 25. November einen Brexit-Sondergipfel einberufen. Der Rücktritt von Raab ist ein schwerer Rückschlag für die Premierministerin.

Der bisherige Brexit-Minister hatte den Posten erst im Juli übernommen, nachdem sein Vorgänger David Davis wegen Differenzen mit May zurückgetreten war. Für die Regierungschefin könnte es jetzt noch schwieriger werden, das britische Unterhaus von dem Deal zu überzeugen. Es ist noch vollkommen unklar, ob May eine Mehrheit im Parlament zusammenbekommt.

Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union soll am 29. März 2019 rechtskräftig werden.

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Autor: dts | Foto: Drop of Light / Shutterstock.com
Foto: Die britische Premierministerin Theresa May. | Foto: Drop of Light / Shutterstock.com