Düsseldorf | aktualisiert 14:32 Uhr, 16:43 Uhr | Mit einer Großrazzia und Vereinsverboten geht Nordrhein-Westfalen massiv gegen Rechtsextreme vor. Mehr als 900 Ermittler durchsuchten heute 146 Vereinsheime und Wohnungen von Rechten, wie Innenminister Ralf Jäger (SPD) mitteilte. Drei Vereine wurden aufgelöst. Jäger sagte, das gefundene Material zeige die enge Verflechtung von NPD und gewaltbereiten Neonazis.

Die Beamten durchsuchten am Morgen Objekte in 32 Städten. Schwerpunkte waren Aachen, Dortmund und Hamm. Der Minister löste die Vereine „Nationaler Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft Hamm“ und „Kameradschaft Aachener Land“ auf. „Wir haben damit drei große Löcher in das rechtsextremistische Netzwerk in NRW gerissen,“ sagte Jäger. Der Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, vertrat die Auffassung: „Diese Gruppierungen sind gefährlich. Wir stellen fest, dass es ihnen immer wieder gelingt, Jugendliche in ihre Fänge zu ziehen.“ Jäger sagte weiter, es handele sich bei der Aktion um den zahlenmäßig schwersten Schlag gegen die Neonazi-Szene in NRW. Es wurden zahlreiche Schusswaffen, Schlagringe, Schlagstöcke, Eisenrohre, Springmesser, Baseballschläger, ein Morgenstern, eine Zwille und Pfefferspray sichergestellt. Die Beamten beschlagnahmten auch eine Vielzahl von Datenträgern und Propagandamaterial. Niemand wurde festgenommen.

1.000 NPD-Plakate gefunden

Die Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ wird im Verfassungsschutzbericht des Landes den Autonomen Nationalisten zugerechnet, die als äußert gewaltbereit gelten. Die „Kameradschaft Aachener Land“ hilft demnach der NPD im Wahlkampf. Auch der „Kameradschaft Hamm“ werden Beziehungen zur NPD nachgesagt. Insgesamt sind in NRW laut Jäger 400 bis 600 gewaltbereite Neonazis bekannt. In den Räumen des Vereins in Dortmund fanden die Beamten am Donnerstag 1.000 Plakate der rechtsextremen NPD. „Das zeigt die enge Verflechtung dieser rechtsextremen Partei mit der gewaltbereiten Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen“, sagte Jäger. Der Fund werde der Bund-Länder-Kommission als Material für ein mögliches NPD-Verbotsverfahren zur Verfügung gestellt.

Er betonte: „Die Mitglieder und Unterstützer der verbotenen Vereinigungen lehnen unsere Demokratie und die geltende Rechtsordnung ab.“ Sie bekannten sich offen zum verbrecherischen Nationalsozialismus und zu führenden Personen dieses menschenverachtenden Systems. „Alle ihre Aktionen sind darauf gerichtet, unsere demokratische Gesellschaftsordnung zu untergraben“, begründete der Minister das Verbot. „Diese Kameradschaften sind fremdenfeindlich, rassistisch und antisemitisch.“

Polizei löst Spontandemo in Dortmund auf

Er kündigte weitere Aktionen gegen Neonazis an. „Auch weiterhin werden wir gegen verfassungsfeindliche Neonazis vorgehen und ihnen auf die Springerstiefel treten. Wir werden auch weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, um den braunen Sumpf auszutrocknen.“ Die Polizei löste eine Spontandemonstration von fast 20 Rechtsextremen in Dortmund auf. Sie hatten sich nach Angaben der Polizei als Reaktion auf das Verbot und die Durchsuchungen versammelt. Als bekannt wurde, dass der Anmelder der Demonstration einer der verbotenen Kameradschaften angehörte, löste die Polizei die Versammlung auf. Einer der Teilnehmer war der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel.

Die Aktion gegen Rechtsextreme war nicht die erste in diesem Jahr in NRW. Erst im Mai hatte Jäger die Kölner „Kameradschaft Walter Spangenberg“ verboten. Im April wurden 20 Gebäude durchsucht. Nach einer jüngst veröffentlichten Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen ist Kriminalität aus dem rechtsextremen Milieu weiterhin ein Problem in NRW. Mit 1.517 rechtsmotivierten Straftaten habe es zwischen Januar und Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 52 Fälle mehr gegeben. Für das 2011 wurde mit 3.015 Straftaten der dritthöchste Wert für rechte Kriminalität in NRW in den vergangenen zehn Jahren registriert.

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Hintergrund: Die drei verbotenen Neonazi-Gruppierungen aus NRW

„Nationaler Widerstand Dortmund“: Die Neonazi-Gruppierung wird den Autonomen Nationalisten zugerechnet, die als äußert gewaltbereit gelten. Rund 50 Mitglieder – etwa zwischen 15 und 25 Jahre alt – bilden den harten Kern. Ihr Aussehen wirkt modern. Zum Outfit gehören schwarze Kapuzenpullover, Turnschuhe und Sonnenbrillen. Propaganda-Slogans werden inzwischen auch auf Englisch gesprüht oder plakatiert, was vor Jahren in der Szene noch verpönt war. Die Gruppe ist äußerst aktiv. Durch die schnelle Verbindung in Nachbarstädte können die Mitglieder zu Spontanaktionen schnell weitere Anhänger mobilisieren.

„Kameradschaft Aachener Land“: Dieser Gruppierung werden rund 50 aktive Mitglieder zugerechnet. Die bislang sehr umtriebige rechtsextreme Gruppe, deren Kontakte bis ins Ausland reichen sollen, war vor zehn Jahren aus dem Umfeld des NPD-Kreisverbandes Aachen gegründet worden. Die Mitglieder nehmen an Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene teil, besuchen Kameradschafts- und Liederabende und helfen der NPD im Wahlkampf. Während die Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen hauptsächlich zurückhaltend auf die NSU-Mordserie reagierte, verhöhnte die Aachener Kameradschaft die Opfer auf ihrer Internetseite. Zwei Männer aus dem Umfeld der Kameradschaft wurden im vergangenen Jahr verurteilt, weil sie mit sechs selbst gebastelten Sprengsätzen Anschläge auf Polizisten und Demonstranten in Berlin geplant hatten. Die Sprengsätze waren am 1. Mai 2010 beschlagnahmt worden.

„Kameradschaft Hamm“: Die Kameradschaft wirbt in Hamm mit Flugblatt-Aktionen und Informationsständen, organisiert dort auch Demonstrationen und hat Beziehungen zur NPD. Aufgrund der Nachbarschaft zu Dortmund werden Aktionen häufig gemeinsam gestartet. Nach einer längeren Auszeit war die Gruppierung zuletzt wieder verstärkt wahrnehmbar.

Autor: Helena Baers/ dapd
Foto: Symbolfoto