Das Pressefoto zeigt eine Aktion der Aktivist:innen von Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen" mit einem gelben Stoffkreuz am 3. April 2022. | Foto: Foto: Barbara Schnell/Initiative Die Kirche(n) im Dorf lassen

Köln | 42 Menschen mit Klarnamen und Foto zeigen sich auf einem Plakat mit dem Titel: „Wir alle haben ein Kreuz aufgestellt“. Damit solidarisieren sie sich mit einer Einzelperson, die von der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach angeklagt wird. Diese Anklage basiert auf einer Anzeige des Energiekonzerns RWE. Diese Einzelperson wurde auf einem Video eines Gottesdienstes bei dem ein gelbes Holzkreuz, ein sogenanntes Bonhoeffer-Kreuz, am Rande des Tagebaus aufgestellt wurde, identifiziert. Das gelbe Holzkreuz steht dort immer noch.

Hausfriedensbruch ist ein absolutes Antragsdelikt und wird daher von Polizei und Staatsanwaltschaft nur dann verfolgt, wenn eine Anzeige vorliegt. In diesem Fall also von RWE als Eigentümer der Fläche auf der der Gottesdienst stattfand. Am 22. Mai errichteten Aktivisten das gelbe Holzkreuz. Dazu wurde ein Gottesdienst gefeiert. Das gelbe Holzkreuz wurde erstmals im Herbst 2021 im Rahmen eines Gottesdienstes mit dem Titel „Dem Rad in die Speichen fallen“ aufgestellt. Beide Gottesdienste wurden gefilmt und ins Netz gestellt.

Das Plakat der Solidaritätsaktion „Wir haben ein Kreuz aufgestellt!“

Die Aktivisten sagen, dass die NRW-Polizei dieses Video als Grundlage zur Identifikation dieser jetzt angeklagten Einzelperson, nimmt. Dazu schreiben die Aktiven der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“: „Eine von uns wird angeklagt, weil sie bei einer Kreuzaufstellung im Tagebauvorfeld dabei war. Eine von sehr vielen. Dieser Strategie von RWE und Justiz, Einzelne herauszugreifen, um die Gruppe einzuschüchtern und zu spalten, stellen wir uns solidarisch entgegen. Unsere Antwort: Wir alle haben ein Kreuz aufgestellt.“ 42 Menschen bekennen sich auf einem Plakat mit ihrem Gesicht und ihrem Namen.

Die Initiative erinnert daran, dass sie viele Male gelbe Holzkreuze im Tagebauvorfeld aufstellte. Dies als Zeichen gegen das Klima und die Dörfer zerstörenden Braunkohleabbau durch RWE. Die Initiative erinnert an Aktionen auf dem Gelände des 2018 zerstörten Immerather Doms oder 2021 auf dem Boden der abgerissenen Wohnhäuser in Lützerath.

„Es ist nicht nachvollziehbar, dass wir hier irgendeinen Frieden gestört haben sollen“, so Dr. Gudula Frieling, Theologin aus Dortmund. „Wir haben das alte Symbol von Leid und christlicher Hoffnung im Angesicht dieser massiven und rücksichtslosen Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen aufgerichtet. Die Hoffnung, die von Jesus Christus ausgeht, steht immer für den Frieden. Den Klimawandel dagegen immer weiter anzuheizen bedeutet, Leid und Tod von Millionen von Menschen in Kauf zu nehmen. In Lützerath wird von RWE globaler Hausfriedensbruch betrieben – auch der UN-Generalsekretär nennt die Überschwemmungen eines Drittels von Pakistan ein Klimamassaker!“

Das gelbe Holzkreuz, das im Mai aufgestellt wurde, steht immer noch an der gleichen Stelle. Die Initiative hinterfragt in diesem konkreten Fall auch die Rolle der NRW-Justiz und NRW-Polizei und warum diese nicht das Grundrecht auf Religionsfreiheit in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Denn das Kreuz störe ja niemanden, da RWE es nicht angetastet habe.

Neben dem Plakat lassen die religiös motivierten Klima-Aktivist:innen Menschen zu Wort kommen, warum sie sich gegen den Braunkohletagebau engagieren. Report-K dokumentiert drei Stimmen.

Paul Boutmans: „Anfang 2017 las ich zufällig von einer Exkursion durch die sterbenden Dörfer am Tagebau. Treffpunkt Kuckum. Vorher nie gehört, klang interessant. Also bin ich hin. Ein Anwohner und ein Geograph führten eine kleine Gruppe zu Fuß durch die Dörfer Kuckum (noch kein Haus verlassen), Keyenberg (da waren schon leere Häuser), über die Felder und zurück. Diese eindrucksvolle Exkursion mit vielen Erklärungen (z.B. die Metzgerei am alten Standort Keyenberg: verliert über den Umsiedlungsprozess Kunden, dadurch weniger Umsatz, dadurch schlechtere Entschädigung als eigentlich korrekt, und am neuen Standort gelten die aktuellen Arbeitsplatzrichtlinien, da gibt`s keinen Bestandsschutz!) hat mich tatsächlich 14 Tage nicht schlafen lassen!!! Dieser schändliche Umgang mit den betroffenen Dorfbewohnern sollte ‚in meinem Namen‘, nämlich wegen des Gemeinwohls stattfinden. Das war für mich das rote Tuch und der Anstoß, dagegen aktiv zu werden: Nein, diese Enteignungen und diese Landvernichtung geschieht NICHT in MEINEM Namen! Ich bin katholisch getauft und seit Kindheit kenne ich es nicht anders, dass ich – wenn ich an einer Kirche vorbei komme – dort rein gehe, ein Kerzchen entzünde und ein ‚Ave Maria‘, oder ein ‚Vaterunser‘ spreche oder auch einfach nur ein paar Minuten innehalte. Leider ist das ja in den letzten Jahren in vielen Kirchen nicht mehr möglich. Umso wichtiger ist es mir, dieses Symbol der Auferstehung, das mich mein ganzes Leben begleitet und geprägt hat, auch und gerade in Situationen zu zeigen und zu tragen, die für mich existentiell wichtig sind. Damit kamen für mich der Ort der Zerstörung und das Kreuz zusammen.“

Der Förster und Diplomkaufmann Dr. Anselm Meyer-Antz arbeitet als Länderreferent beim bischöflichen Hilfswerk Misereor: „In Asien habe ich gesehen, wie Arme durch den menschengemachten Klimawandel noch ärmer und manchmal auch tot gemacht wurden. Als RWE den Hambacher Wald räumen ließ, um ihn zu roden, hat mir als Förster das Herz geblutet, seltsamerweise erst richtig, als ich sah, dass sie die Eichen noch nicht mal zur Holzverwertung schnitten, sondern einfach schredderten. Da konnte ich den Protest nicht mehr lassen. Als mein Bruder mir von dem bedrohten Örtchen Lützerath am Tagebau Garzweiler erzählte, war ich nicht mehr zu halten. Dort sangen Menschen an der Kante die Gesänge der Brüder von Taize, die mich sehr geprägt haben und mit denen ich bis heute befreundet bin. Ich bin Christ, gut ausgebildet, und zu mir war die Kirche immer sehr gut, auch wenn ich ihre weltlichen Strukturen wenig ernst nehme. Kirche als mystische Gemeinschaft hat mein Leben durch sechs Jahrzehnte besser gemacht. Der Tagebau ist vielfacher Mörder, wenn auch subtil. Ihm das Kreuz entgegen zu stellen, heißt seiner ungerechten Hinrichtungspraxis das Narrativ von der Überwindung des Todes entgegen zu stellen – die hoffnungsvollste Erzählung, die die Menschen kennen. Etwas ganz Besonderes, ist es übrigens, vor einer Aktion ein solches Kreuz in meditativer Ruhe zu schreinern und gelb zu machen.“

Theologin Cornelia Senne spricht oft bei den Gottesdiensten und Andachten der Initiative: „Für Klima-Gerechtigkeit engagiere ich mich zunächst einmal als Mensch und als Christin – und daneben bin ich Theologin. Das (aktive) Eintreten für die Bewahrung der Schöpfung und ein gutes Leben für alle Geschöpfe in Fülle ist für mich sowohl Gebot des Christ:innen-Seins als auch der Menschlichkeit. Seit Jahrzehnten bin ich (links)politisch aktiv, anfangs auch parteipolitisch, später dann eher aktivistisch. Soziale Gerechtigkeit, Ökologie und Ökonomie sind für mich aufs engste miteinander verknüpft. Mein Engagement führte ab 2016 zur Braunkohle, zum Hambacher Wald und – natürlich – nach Lützerath. Und bereits seit 2013 begleitet mich das Transparent mit einem Zitat von Papst Franziskus: ‚Diese Wirtschaft tötet‘. Mit der Initiative ‚Die Kirche(n) im Dorf lassen‘ halten wir Gottesdienste dort, wo es weh tut, an den Orten der Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen durch profitgeleitete, neoliberale Wirtschaftsinteressen. Zu unserer religiös motivierten Praxis gehört auch das Aufstellen von Kreuzen an genau diesen Orten. Unsere gelben Kreuze verbinden das gelbe X des Widerstands (ursprünglich bei der Anti-Atom-Bewegung, aktuell bei den bedrohten Dörfern) sichtbar mit dem christlichen Kreuz als Symbol für Leid und Hoffnung. Unsere Gottesdienste sind allein durch die Orte, an denen sie stattfinden, in sich ein widerständiger Akt und häufig Aktionen zivilen Ungehorsams, nicht heimlich, sondern deutlich sichtbar durch die Aufstellung der gelben Kreuze. Unsere Aktionen, die immer ihren religiösen Charakter wahren, stehen in christlicher Tradition und berufen sich auf göttliche Gebote, auf die universalen Menschenrechte: Das Recht allen Lebens in Würde, getragen von gegenseitigem Respekt. Unsere Solidarität gehört allen leidenden, allen schwachen und bedrohten Geschöpfen – und all den Menschen, die sich für eine gerechtere Welt, für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.“