Bald Geschichte – Bagger im Braunkohle-Tagebau. Foto: Kölner Presseclub

report-K präsentiert ausgewählte Beiträge aus dem Newsletter des Kölner Presseclub, den Sie hier abonnieren können. Für die redaktionellen Inhalte ist der Kölner Presseclub verantwortlich. Der Autor Michael Hirz gehört dem Vorstand des Kölner Presseclubs an. Zuvor war der Journalist und Moderator u.a. als Leiter der Fernseh-Abteilung Kultur im WDR und als Programmgeschäftsführer des Fernsehsenders Phoenix tätig.

Köln | Das natürliche Biotop der Zauberkünstler und Magier ist das Varieté. Dort sorgen sie mit ihren Kunststücken für Staunen und gute Laune. Aber es gibt sie auch in der Politik. Da werden bei Parteitagen zwar keine schwebenden Jungfrauen gezeigt, aber da wird schon mal mit schillernden Visionen die Vertreibung aus dem Paradies rückgängig gemacht. Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn es um die Energiepolitik geht. Der mühsam ausgehandelte ambitionierte Kohleausstieg 2038 wurde kurzerhand nochmal vorgezogen auf 2030 – das ist nicht übermorgen, das ist morgen!

Nicht machbar, unrealistisch, wird nicht kommen. Das ist das Urteil nicht nur einschlägiger Lobbyisten, man hört es auch zunehmend von Entscheidern in den betroffenen Branchen. Gerade erst hat IHK-Präsidentin Nicole Grünewald im Kölner Presseclub vorgerechnet, dass nach ihrer Berechnung die Hälfte der benötigten Energie im Rheinischen Revier fehlt, wenn 2030 der hiesige Bergbau nur noch in den Geschichtsbüchern  zu finden ist. Was heißt das angesichts der Tatsache, dass sichere und günstige Energie die Region zu einer der wohlhabensten Europas gemacht haben? Was heißt das für einen der bedeutendsten Chemiestandorte, dessen wichtigster Rohstoff Energie ist?  Für Metallverarbeitung, Fahrzeugbau, Industriebetriebe?

Um das klar zu sagen: Kein Mensch bei Verstand bezweifelt noch den Klimawandel. Die Versäumnisse beim Aufbau der Erneuerbaren Energie rächen sich und zwingen zu entschlossenem Handeln. Dazu braucht es kraftvollen Optimismus und Visionen einer Zukunft ohne fossile Energieträger. Aber es braucht auch Verlässlichkeit und Vertrauen. Und das wird zum knappen Gut. Schließlich darf ein überhasteter Strukturwandel die Gesellschaft und ihre ökonomische Basis nicht zerlegen. Es muss nach dem Aus für Kohle und Atom zuverlässigen Ersatz geben. Doch der Zubau mit Windenergie, Photovoltaik, Biomasse und Co. verläuft schleppend, die benötigten Gaskraftwerke gibt es überwiegend nur auf dem Papier.

Große wie der Spezialchemiekonzern Lanxess mit seinen rund 14.000 Mitarbeitern haben schon angekündigt, nur noch an anderen (ausländischen) Standorten in neue Anlagen zu investieren. „Schon vor dem Ukraine-Krieg waren die Energiepreise hier dreimal so hoch wie in den USA“, sagt Lanxess-Chef Matthias Zachert in einem Interview. Das habe man durch Technologie-Vorsprung kompensieren können, aber das sei jetzt nicht mehr möglich. „Energie ist ein regionaler Kostenfaktor. Wenn Sie hier produzieren, aber in den USA oder China absetzen, dann sind Sie nicht mehr wettbewerbsfähig.“

Wie Zachert beklagen auch viele Mittelständler nicht nur die unkalkulierbare künftige Versorgungssicherheit bei der Energie. Sie monieren ebenfalls die im Vergleich zu anderen Ländern überlangen und komplizierten Genehmigungsverfahren. Das derzeit massive Werben der USA, die mit hohen Subventionen, günstigen Steuersätzen und kurzen Genehmigungsverfahren locken, entwickelt in einer solchen Situation eine gefährliche Verführungskraft.

Mit besonderen Herausforderungen sind die rund 400 Dienstleister und Zulieferer der Braunkohleindustrie konfrontiert. Der nochmals vorgezogene Kohleausstieg hat sie kalt erwischt. Das erläuterte Meike Jungbluth von der Roskopf-Unternehmensgruppe, bei der Veranstaltung im Kölner Presseclub.  Die Chefin des Aachener Familienunternehmens mit ihren ca. 170 Mitarbeitern muss im laufenden Betrieb jetzt kurzfristig nach komplett neuen Geschäftsmodellen suchen. Das Vertrauen in Politik und Bürokratie ist überschaubar: Sie setzt auf eigene Kraft und Selbsthilfe, indem sie gemeinsam mit der RWTH Aachen ein Netzwerk der Dienstleister im Revier gegründet hat. Motto des Zusammenschlusses: „Die Kohle geht, die Kompetenz bleibt.“

Es scheint zunehmend, als bewohnten Politik und Wirtschaft unterschiedliche Welten. Während in der einen von einer sanften Zukunft in Frieden und Wohlstand geschwärmt wird, sind in der anderen Skepsis und Abwanderungsgedanken zu Hause – und die Befürchtung, das Rheinische Revier könne zum Ruhrgebiet 2.0 werden. Vielleicht sollte man an die Kurt Schumacher zugeschriebene Erkenntnis erinnern: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.