Köln | Der Präsident des Festkomitee Kölner Karneval, Christoph Kuckelkorn sprach am Proklamationsabend von der feinen Stadtgesellschaft, die im Gürzenich zusammenkam und titulierte sie einige Programmpunkte weiter als eine Art Mafia. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“.

Ein Kölner Boulevardmedium, das sich immer besonders Kölsch gibt, freute sich darüber, dass die Prinzenproklamation in diesem Jahr wieder besonders Kölsch gewesen sei. Uiuiuiui. Ist das jetzt doll und war die Prinzenproklamation 2024 eine Sternstunde des Kölschen Jeckespills? Dabei formulierte das Festkomitee selbst seinen hohen Anspruch, denn es gab den drei Akten der Proklamation diese Titel: „Der erste Akt: ‚Hier ist Köln – Wellkumme im kölsche Theater‘“, „Der zweite Akt: ‚The greatest Show of Kölle – die Proklamation am Hofe‘“ und „Der dritte Akt: ‚Festspiel am Hofe des Kölner Dreigestirns‘“. Eines steht fest: Das Festkomitee hat seine Chance verpasst, mit der Prinzenproklamation 2024, Köln als weltoffenen, toleranten Ort und als Kulturstadt zum Leuchten zu bringen. Andi Goral hält der Prinzenproklamation 2024 den Spiegel vor.

Rückblick

Blicken wir einmal zurück auf 2023: Zweihundert Jahre Kölner Karneval. Prinzenproklamation im Gürzenich. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ war die Proklamation 2023 gegen das, was dieses Jahr sich auf der Bühne des Gürzenich abspielte. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas machte dem Karneval ihre Aufwartung und maß dem Karneval eine besondere kulturelle Bedeutung zu. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker adelte mit ihrem Satz „Auf den Fastelovend ist Verlass“ den Karneval und gerade auch den organisierten Karneval. Die Prinzenproklamation 2023 blickte über den Tellerrand Kölns hinaus und brachte Kölns Stern bundesweit zum Leuchten. Und der Karneval reflektierte sich selbst vor den vielen Krisen in der Welt. Die sind 2024 nicht weniger, sondern mehr geworden.

Ganz anders in diesem Jahr. Köln schwimmt 2024 in seiner eigenen Suppe. Suppe mit Würstchen statt Crevetten. Bitterböser formuliert: Zwerge gaben ihren Kultursenf dazu, die für sich reklamieren, das Hätz vun Kölle zu sein. Aber schlägt das nur für sie und ihre Klientel oder welchen Status und Funktion ist dem organisierten Kölner Karneval in der Zukunft zuzuschreiben? Der Reihe nach.

Theater, Kultur und Kunst in Köln

„Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ lautet das Motto dieser Session. Das kann man klein oder groß interpretieren. Da kann man auf die Volksbühne blicken, in der Kölsch gesprochen wird und ein bekannter Büttenredner auftritt. Da kann man den Blick auf die Opernbaustelle am Offenbachplatz wählen oder das Fernglas in die Hand nehmen und ins rechtsrheinische Köln blicken. Da kann man Bauten betrachten oder die Kultur, die darin feilgeboten wird. Da kann man den Musical Dome – oh wie boring – als „Müllsack“ titulieren wie Boulevardmedien dies gerne tun, oder auf den Inhalt des „Müllsackes“ blicken. Bleiben wir einmal bei der naheliegenden Interpretation Theater = Theater. Das implizierte zudem der Start der Show mit der Interpretation des Katja Ebstein Evergreens „Theater“.

Dort heißt es:

Sie setzen jeden Abend eine Maske auf
Und sie spielen, wie die Rolle es verlangt
An das Theater haben sie ihr Herz verkauft
Sie stehn oben und die unten schaun sie an
Sie sind König, Bettler, Clown im Rampenlicht
Doch wie’s tief in ihnen aussieht sieht man nicht…

Empfindet sich das Kölner Festkomitee nur als Schauspieler? Das wäre doch ein wenig zu kurz gegriffen, wie aktiv das Festkomitee in das politische Stadtgeschehen oder Debatten eingreift. Mit der Prinzenproklamation vor feiner Stadtgesellschaft und später medial im linearen Fernsehen fällt dem Festkomitee eine Rolle zu. Sie repräsentieren, gerade mit der Proklamationsshow, Köln nach außen. Köln und das vaterstädtische Fest. Es ist ja eben nicht nur das Spiel am Hofe des Kölner Dreigestirns. Akt II dieser Proklamation, die durch die Bodenständigkeit gelang und durchaus auch als kölsche Feierlichkeit gut bestanden hat.

Es geht um den ersten Akt. Um den Akt, wo das Festkomitee der feinen Stadtgesellschaft, deren Teil sie sind, den Spiegel vorhält und parallel Köln zum Leuchten bringen kann, bei gleichzeitig konstruktiver Kritik des Harlekins am städtischen Hofe.

Beginnen wir mit dem zum Leuchten bringen. Kultur in Köln vor dem nahen Kontext „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“. Vielleicht stand das ja nicht in den Leib- und Magenmedien der organisierten Karnevalisten, die die Prinzenproklamation inszenierten: aber es gab auch in Köln Meldungen, dass das Kölner Schauspielhaus und sein Intendant Stefan Bachmann für das Stück „Johann Holtrop – Abriss der Gesellschaft“ mit dem renommierten „Faust“-Theaterpreis ausgezeichnet wurde. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“, wenn eine Jury schreibt, dass das Stück Sog, Komposition und Theaterzauber ist. Interessiert das die feine Stadtgesellschaft nicht, die im Gürzenich auf Einladung des Festkomitees Platz nahm?

Seit einem Jahr gastiert „Moulin Rouge“ im von Kuckelkorn titulierten blauen „Müllsack“. 400 Shows und eine 90-prozentige Auslastung mit Gästen. 380 Menschen arbeiten für das Musical und die Hauptdarstellerin Sophie Berner wurde mit dem Craig-Simmons-Preis für ihre Rolle in „Moulin Rouge“ bedacht. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ mitten in Köln. Was für ein Erfolg für Köln. Was für ein Wirtschaftsfaktor für Köln. Und da fällt dem Festkomitee nur die Assoziation „Müllsack“ ein?

Mit dem Fernglas sieht man aus dem linksrheinischen Köln auch die Oper, die dort immer noch tadellos funktioniert und auch im Interim mehrfach ausgezeichnet wurde. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“, wo übrigens am 22. Januar bei freiem Eintritt ein Friedenskonzert unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeisterin Reker stattfinden wird. Das Theater, die freie Szene und nicht nur das, sondern auch was sonst auf den Bühnen in Köln stattfindet, leuchtet weit über die Stadtgrenzen hinaus. Warum reflektiert das Festkomitee Kölner Karneval bei diesem Motto das nicht bei der Prinzenproklamation vor den Augen der feinen Stadtgesellschaft?

Nun könnte man das Motto „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ auch weiter fassen und den Kölner Stadtrat damit meinen. Aber auch der kam eigentlich nicht wirklich vor und das obwohl die Fraktionsspitzen und Dezernenten im Saal sitzen. Natürlich muss man der Stadt zur Opernbaustelle und den Millionen, die sie verschlingt, den Spiegel vorhalten. Aber so banal? Wenn doch schon die „feine Stadtgesellschaft“ vor der Bühne im Gürzenich sitzt, die ja das neue Haus vor allem nutzen wird. Eine Randnotiz ist, dass der gebriefte Redner nicht die aktuellen Zahlen des Opernschlammassel auf dem Regiezettel stehen hatte. Zeigt dies ja eigentlich nur, wie wenig inhaltlich sich die Macherinnen und Macher der Prinzenproklamation 2024 mit dem, was sie auf der Bühne präsentieren auseinandersetzen.

Geht die feine Stadtgesellschaft nur ins Hänneschen, Scala-Theater und die Volksbühne?

Stattdessen also Hänneschen, Scala-Theater und kölsches Musical aus der Volksbühne auf der Prinzenproklamation 2024. Man kann dies, den Spiegel vorhaltend, als Verzwergung der Kölner Kulturlandschaft interpretieren. Vor allem dann, wenn als Story nichts anderes einfällt als ein Stück über die Findungskommission Dreigestirn im Festkomitee Kölner Karneval zu inszenieren. Wie narzisstisch ist das denn bitte? Mit den Themen weibliches Dreigestirn und Selbstinszenierung von Prinzenanwärtern in den sozialen Medien. Uiuiuiui, wie witzig aus Kuckelkorn „Schnuckelkorn“ zu machen. Nun mag man das großzügig noch der Comedia dell Arte zuordnen, die qua Definitionem moralisch indifferent ist und nicht die Absicht verfolgt, Werte zu vermitteln oder zu belehren und damit dem Schauspieler und dem Ensemble dient.

Und vielleicht ist es genau so, das Motto „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ soll dem Schauspieler in der Rolle des Präsidenten und dem Ensemble dem Vorstand des festordnenden Komitees dienen und mehr auch nicht. Nur spielte die Comedia auf dem Jahrmarkt und nicht am Hofe, da dem König die Kritik manchmal missfiel. Der Jahrmarkt ist ein Fingerzeig in Richtung Bierzelt, aber dazu gleich mehr. Es ist die Kunstfreiheit die, die Demokratie stärkt. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ ist das Motto. Kunstfreiheit ist nicht, wenn der König den Inhalt bestimmt. Kunstfreiheit ist, wenn die, die das Theaterstück schreiben und spielen, frei sind, wenn sie ihre Maske aufziehen und den Spiegel vorhalten. Dazu kam es an diesem Proklamationsabend nicht. Denn Fremdinszenierung war nur in seichter Unterhaltung als Ausschnitt aus „Himmel und Kölle“ auf der Bühne zu sehen. Den Mut ein Ensemble einzuladen, das ihm selbst unabhängig den Spiegel vorhält, hatte das Festkomitee nicht.

 „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“ auf dem Jahrmarkt

Der JP Weber ist ein Beau. Niemand dürfte aktuell sich lustvoller auf der jecken Bühne präsentieren als JP Weber, der sich in der Rolle des Horst Muys immens gefiel. Nennen wir ihn fortan WeberalsMuys. Frivole oder sogar säuische Witze hatte Weber nicht im Gepäck und orientierte sich damit nicht an der historischen Muys-Vorlage. Saß ja die feine Stadtgesellschaft vor ihm. Oberbürgermeisterin Reker verließ nicht wie einer ihrer Amtsvorgänger Theo Burauen den Saal. Sie hatte ja auch noch einen Job am späteren Abend.

Und so wurde mit dem Auftritt WeberalsMuys aus dem Gürzenich ein wenig Gillamoos und Bierzelt mit konservativ vergiftetem Humor. Und dass, obwohl es im Foyer bis Mitternacht gar kein Kölsch gab, was der, der es anordnete in einer Sequenz von Tünnes un Schäl auch noch kritisieren ließ. „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“.

Die Banalisierung der aktuellen Debatte brachte WeberalsMuys Standing Ovations und dazu brauchte der nicht einmal Stiche mit dem linguistischen Florett, sondern eher Beleidigungen wie sie auf dem Bolzplatz genutzt werden. „Liebe Jeckinnen. Wem fällt solch eine Scheiße ein?“ rief WeberalsMuys mit Weißweinglas ausgestattet in den Saal. Da trampeln die Boomer Applaus. Wer „Wokeness“ als Schmähwort nutzt, gewinnt die Herzen im aktuellen Zeitgeist der Konservativen im Flug. Dass selbst Konservative nicht mehr im Gabler Wirtschaftslexikon nachblättern, wie eigentlich „Wokeness“ definiert ist, passt in den Puls der Zeit. Quod erat demonstrandum in Gürzenich. Wer als Konservativer gegen „kulturellen Chauvinismus“ der EU, gegen „Wokeness“ und „Cancel Culture“ wettert, der vergiftet den Diskurs. In der Regel profitiert die extreme Rechte, vor allem wenn er die Banalität der aktuell polarisierenden Debatte bespielt. Warum das Festkomitee sich ausgerechnet hier öffnet bleibt ein Rätsel.

Gut, Zuspitzung gehört zum Handwerk eines jeden selbstverliebten Büttencharmeurs. Es folgte Oberbürgermeisterinnen-Bashing vom Feinsten: „Ist die Obermöhn auch da? Was freuen wir uns auf ihre Ansprache – op Kölsch“. Und munter ging es weiter: „Köln ist eine Metropole. Wir haben viele Gäste aus Amerika, Japan, China. Aber Frau Reker: Die kommen nicht mit dem Fahrrad. Scheiß auf Metropole, wenn das Herz auf der Strecke bleibt. Das ist der Punkt.“ Und im Kontext zur Kölner Oper sagte Weber: „Köln sagt Dankeschön, viel zu lange Frau Reker“. Das gefiel dem Festzelt Gürzenich. Da hat es aber wieder einer der Oberen einer Oberen vor lauter Oberen gegeben. Aber Henriette Reker ist demokratisch gewählte Oberbürgermeisterin der Stadt Köln.

Später am Abend fordert Mona Neubaur, die stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin von NRW auf der Bühne mehr Respekt auch für die politisch Handelnden ein, auch wenn sie persifliert werden. Sie brachte es damit auf den Punkt.

Die organisierten Karnevalisten und ihre Funktionärsfraktion reklamieren für sich selbst mit dem Herzen für die Stadt zu agieren. Das tat auch WeberalsMuys mit seiner Herzensfrage. Die Karnevalsfunktionäre sitzen nicht am Katzentisch der politischen Debatte. Sie sitzen mittendrin und das wird von der Stadtgesellschaft, die nicht auf der Proklamation eingeladen ist, so wahrgenommen. Stichwort: Runder Tisch Karneval – auch das ein Jeckespill. Oberbürgermeisterin Reker, die sich der Verantwortung des vaterstädtischen Festes bewusst ist, agiert daher im Sinne der organisierten Karnevalisten und sichert ihre Vorrangstellung bei der Partizipation. Reker hat die Opernbaustelle geerbt. Klar, können Karnevalsredner polarisieren und zuspitzen. Aber wer für das Festkomitee vor der feinen Stadtgesellschaft auftritt, dessen Worte werden gewogen. Wer so simplifizierte Reden zur Kölner Stadtpolitik wie die von WeberalsMuys auf die Bühne bringt, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob ihm seine stadtragende Rolle im Kontext des vaterstädtischen Festes, wichtiger ist, als ein, noch dazu schlecht recherchierter, Gag. Und mehr noch: Wie wichtig ist uns die Demokratie in diesem Land?

Und Fatih Cevikkollu? Oh je, wieder Oper und FC und der Kuckelkorn als Pate. Und der echte Kuckelkorn mit seinem Mafiaspruch zur feinen Stadtgesellschaft. Der erste Akt der Prinzenproklamation ein banales Kreisen mit banalsten Witzen die einem einfallen, um den Jeckinnen-Bauchnabel wie an der Theke statt „Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“.

Feiern ist immer gut

Beim zweiten Akt, der Proklamation des Kölner Dreigestirns kann eigentlich nicht viel schiefgehen und ist es auch dieses Mal nicht. Alle freuen sich und feiern mit den Dreien, die Pritsche, Spiegel und Stadtschlüssel in die Hand nehmen. Auch die freuen sich und gaben ihr Bekenntnis zu Dom und Stadt sowie darin festgestellten Gefühls ab. Reker als Hänneschenpuppe, ein gelungener Gag. Der dritte Akt ist Feiern. Da kann noch weniger schief gehen und optimiert die Wahrnehmung der Besucherinnen und Besucher hin zu einem gelungenen Abend.

„Wat e Theater – Wat e Jeckespiel“, die Proklamation hätte viele Optionen geboten, Stadt und Festkomitee weltoffen und als Kulturstadt zum Leuchten zu bringen. Die Liedzeilen aus Theater: Sie sind König, Bettler, Clown im Rampenlicht, Doch wie’s tief in ihnen aussieht sieht man nicht… machen nachdenklich nach dieser Proklamation. Diese Proklamation ließ Köln nicht über sich selbst hinauswachsen, sondern verzwergte die Stadt – vor allem die Kulturstadt, die mehr ist und kann als Opernbaustelle und FC. Dabei startete die Session am Elften im Elften so ganz anders.