Mevlüde und ihr Ehemann Durmus Genç bei einem Pressegespräch anlässlich des 20. Jahrestages des Brandanschlags von Solingen (Nordrhein-Westfalen) am 2.5.2013. Vor 20 Jahren lebten Mevlüde und ihr Ehemann Durmus Genç (Foto) mit ihrer Familie in dem Haus in Solingen, das Neonazis bei dem Brandanschlag am 29. Mai 1993 anzündeten. Fünf Mädchen und Frauen der Familie kamen dabei ums Leben. | Foto: IMAGO / epd

Köln/Solingen | Niemand in Nordrhein-Westfalen wird die Nacht des 29. Mai 1993 vergessen können. Es ist Nacht des Brandanschlages von Solingen. Vier rechtsextreme Jugendliche waren die Täter. 5 Menschen starben und 17 Menschen sehr schwer verletzt. Jetzt verstarb Mevlüde Genç, die Frau, die mit ihrem Mann in jener Nacht zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verlor. Mevlüde Genç steht heute vor allem für Toleranz und Versöhnung zwischen den Kulturen.

Ministerpräsident Hendrik Wüst: „Mit Mevlüde Genç verliert unser Land ein großes Vorbild der Versöhnung. Wie wenig andere hat Mevlüde Genç den Glauben an das Gute im Menschen verkörpert. Ihr selbst wurde vor knapp 30 Jahren in Solingen aus purem Hass das wichtigste im Leben – Kinder, Enkelkinder, eine Nichte – genommen. Ein Anschlag auf ihr Leben und das ihrer Familie, ein Anschlag, von dem sich die meisten Menschen nie wieder erholt hätten. Doch Mevlüde Genç hat den Frieden und die Versöhnung immer an erste Stelle gesetzt. Sie verstand es, den unermesslichen Schmerz, der ihr zugefügt wurde, umzuwandeln in Kraft, um sich für andere Menschen einzusetzen. Sie hat den Hass, die Gewalt und die Missgunst, die ihr entgegenschlugen, als Großherzigkeit und Toleranz zurückgegeben. Wir werden Mevlüde Genç und ihr Wirken schmerzlich vermissen. Ihr Vermächtnis und ihr Andenken werden auch durch die nach ihr benannte Mevlüde-Genç-Medaille des Landes Nordrhein-Westfalen weiterleben. Unsere Gedanken und Gebete sind bei ihrer Familie.“

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet schrieb in einem Gastbeitrag für die „Westdeutsche Zeitung“ einmal: „Mevlüde Genç ist die beeindruckendste Frau, die ich je kennengelernt habe“. Laschet erinnert sich in diesem Beitrag an seine Zeit als Integrationsminister des Landes NRW und eine Reise, die er auf Einladung der Familie Genç nach Mercimek, ihrem Heimatdorf in der türkischen Provinz Amasya unternahm. Das Dorf erhielt als „Wiedergutmachung“ der Bundesregierung für den Brandanschlag Unterstützung. Laschet kam zu der Einschätzung über Mevlüde Genç, weil sie schon kurz nach dem Tod der fünf Familienmitglieder sagte: „Nur die Versöhnung überwindet den Hass. Ich vertraue den deutschen Behörden, die Täter zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen.“ Diese Worte sagte sie in einer Zeit in der viele Menschen Gewalttaten und Racheakte befürchteten. Das Genç nicht pauschal verurteilt habe, sei etwas, so schrieb es Laschet damals, von dem Menschen lernen könnten.

Im Mai 2018, also 25 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen, sagte Mevlüde Genç:  „Bis heute habe ich die Nacht des Anschlags vor Augen und höre die Schreie meiner Kinder, die in den Flammen verbrannten. Der Schmerz über ihren Verlust ist immer in meinem Herzen und wird bis zu meinem Lebensende nicht aufhören. Er hat dazu geführt, dass ich keine Lebensfreude mehr empfinden kann.“

Joachim Stamp, FDP, würdigt die Verstorbene auf Twitter: „Mevlüde Genç – ein Mensch voller Liebe und Zuversicht. Der Begriff „Friedensbotschafterin“ trifft es gut. Danke für Ihre Haltung: Die Fähigkeit zu verzeihen braucht unsere Gesellschaft so sehr.“

Die Mevlüde-Genç-Medaille wird für besondere Verdienste um Toleranz, Versöhnung zwischen den Kulturen und um das friedliche Miteinander der Religionen gestiftet. Sie wird seit 2018 vergeben.

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