17:10 Uhr > Merkel: NPD-Verbot muss vor Verfassungsgericht Bestand haben
Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende, Angela Merkel, will, dass die Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens genau geprüft werden, bevor rechtliche Schritte gegen die Partei eingeleitet werden. In der ARD-Sendung "Bericht vom Parteitag", die am Dienstagabend im ARD Fernsehen ausgestrahlt wird, sagte Merkel: "Wir müssen uns sehr sicher sein, dass das vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Dazu müssten wir auf die sogenannten V-Leute, also auf die Personen verzichten, die in diesen rechtsradikalen Organisationen, hier in der NPD, uns Informationen geben und das muss abgewogen werden." Es seien sich in ihrer Partei zwar alle einig, dass die NPD verboten werden sollte, sagte Merkel, betonte aber, dass ein solches Verbot vor Gericht bestehen müsse. Deshalb prüfe man im Angesicht der jüngsten Ereignisse nun noch einmal. "Und dabei werden wir auch auf den Rat der Innenminister" hören.

14:45 Uhr > Haftbefehl gegen mögliches viertes Mitglied der "NSU"

Auf Antrag der Bundesanwaltschaft hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gestern Abend Haftbefehl gegen einen 37-jährigen deutschen Staatsangehörigen erlassen. Er steht unter dem Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, die sich als "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)" bezeichnete. Der 37-Jährige soll die "NSU" seit 2007 unterstützt haben, seit Ende der 1990er Jahre soll er mit den Mitgliedern in Kontakt gestanden haben. Er soll deren fremdenfeindliche Einstellung geteilt haben und in dieselben rechtsextremistischen Kreise wie sie eingebunden gewesen sein.

Die Ermittler gehen davon aus, dass er den drei Mitgliedern seinen Führerschein und seinen Reisepass überlassen hat und ihnen dadurch ermöglicht hat, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextremistische Gewalttaten zu verüben. So wurden mit seinen Ausweispapieren Wohnmobile für die Gruppierung angemietet, darunter auch das Fahrzeug, das bei dem Mordanschlag auf die Heilbronner Polizisten benutzt worden sein soll. Der 37-Jährige wurde am Sonntag in der Nähe von Hannover festgenommen und befindet sich derzeit in Untersuchungshaft.

"NSU" für Kölner Anschläge verantwortlich?
Die "NSU" ist nach bisherigen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft eine terroristische Vereinigung, deren Zweck es gewesen sein soll, aus einer fremden- und staatsfeindlichen Gesinnung heraus vor allem Mitbürger ausländischer Herkunft zu töten und Sprengstoffanschläge zu begehen. Zudem sollen ihre Mitglieder Geldinstitute überfallen haben, um ihren Finanzbedarf zu decken. Nach den bisherigen Erkenntnissen ist der "NSU" für die sogenannten Imbissbudenmorde der Jahre 2000 bis 2006 verantwortlich, bei denen in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel insgesamt neun Menschen getötet wurden, davon acht türkischer und einer griechischer Herkunft. Darüber hinaus sollen Mitglieder des "NSU" den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn vom 25. April 2007 verübt haben.

Außerdem bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass auch der Sprengsatzanschlag vom 9. Juni 2004 in Köln dem "NSU" zuzurechnen ist. Die Bundesanwaltschaft hat deshalb gestern auch insoweit die Ermittlungen übernommen. Zudem geht die Bundesanwaltschaft Hinweisen nach, ob die Vereinigung auch für einen Anschlag im Jahr 2001 in Köln verantwortlich ist. Mehr dazu finden Sie hier >>>

NRW: Staatsanwaltschaft untersucht ungeklärten Mord an Türken in Bielefeld neu
Im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Terrorserie überprüft die Polizei auch einen bislang ungeklärten Mordfall in Nordrhein-Westfalen. Das berichtet die Zeitung "Westfalen-Blatt" unter Berufung auf den Bielefelder Staatsanwalt Christoph Mackel. Mackel sagte der Zeitung, man werde den Fall der Bundesanwaltschaft zur erneuten Überprüfung übergeben. Am 1. März 2006 war der 68-jährige Fevzi U. vor einer Moschee des türkischen Kulturvereins in Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh) mit einem gezielten Schuss in den Kopf getötet worden. Es gab keine Zeugen. Die Bundesanwaltschaft und das Innenministerium überprüfen derzeit, ob ungeklärte Gewaltverbrechen mit der Mordserie der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" in Verbindung stehen.

"Bild": Verfassungsschützer war bei sechs Morden der ganz in der Nähe
Die mutmaßlichen Taten der rechtsterroristischen "NSU" drohen immer mehr zum Geheimdienst-Skandal zu werden. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, soll ein Verfassungsschützer bei sechs der neun Morde in der Nähe des Tatorts gewesen sein. Bei einem Mord habe er sogar im Café des Opfers gesessen. Die Rechtsextremen sollen am 6. April 2006 einen 21-Jährigen in seinem Kasseler Internetcafé erschossen haben. Am Tatort soll auch ein Agent des hessischen Verfassungsschutzes gewesen sein. Wie die "Bild"-Zeitung weiter schreibt, waren beim Mord sechs Gäste im Café. Fünf hätten sich sofort gemeldet, nur der sechste sei zunächst unbekannt geblieben. Die Polizei habe ihn anhand von Log-in-Daten an dem von ihm benutzten Computer erst zehn Tage nach der Tat ermittelt. Laut der Zeitung soll der Mann Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Hessen gewesen sein. Warum er sich nicht gemeldet hatte, habe er den Ermittlern so erklärt: Er habe nichts von den wenige Meter neben ihm abgefeuerten Schüssen gehört, sei einfach gegangen und habe zehn Tage lang keine Nachrichten gehört. Der Verfassungsschützer sei wieder freigelassen worden. Nach "Bild"-Informationen ergab ein Bewegungsprofil der Polizei, dass der Agent bei sechs der neun Morde in der Nähe des Tatortes war. Nachdem der Verfassungsschützer aufgeflogen war, habe es keine "Döner-Morde" mehr gegeben.

Politik debattiert über neues NPD-Verbotsverfahren
Nach dem Bekanntwerden der mutmaßlichen Taten der rechtsterroristischen "NSU" debattiert die deutsche Politik über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Die CDU beschloss auf ihrem Parteitag in Leipzig am Dienstag einstimmig, die Chancen für ein neues Verbotsverfahren zu prüfen. Unionsfraktionschef Volker Kauder erklärte, wenn es Erfolgsaussichten gebe, sei er für einen Versuch, den "braunen Sumpf auszutrocknen". Zudem stellte Kauder den Einsatz von V-Leuten im rechtsextremen Umfeld infrage. "Ein Instrument, das uns nichts bringt, das brauchen wir auch nicht", so der Unionsfraktionschef. Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte eine neue Prüfung eines NPD-Verbots. "Die NPD scheint mir eine Partei zu sein, die sozusagen den politischen Arm nach außen macht, sich aber abstützt auf solche Untergrundbewegungen, wie wir sie jetzt gesehen haben", sagte Steinmeier im ZDF. CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl hingegen sprach sich gegen ein Verbot der rechtsextremen Partei aus. Uhl sagte im Deutschlandfunk, es sei immer fraglich, ob ein solcher Schritt ein geeignetes Mittel darstelle. Zudem könne man an jedem Wahlabend sehen, dass die Mehrheit nichts mit den extremistischen Parteien zu tun haben wolle. Ein erster NPD-Verbotsantrag von Regierung, Bundestag und Bundesrat war im Jahr 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die Richter äußerten sich damals kritisch über die massive Unterwanderung der NPD durch V-Leute der diversen Verfassungsschutzbehörden.

Familienministerin Schröder will an Extremismus-Klausel festhalten
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) will trotz des jetzt sichtbar gewordenen rechtsextremistischen Terrors an der umstrittenen Extremismus-Klausel festhalten. "Nach solch schrecklichen Vorfällen ist es umso wichtiger, dass wir uns gemeinschaftlich zu unserer Demokratie und unserer Rechtsordnung bekennen", sagte sie der "Mitteldeutschen Zeitung". "Wer gegen Extremismus eintritt, sollte ein Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Selbstverständlichkeit unterschreiben können und wollen. Wir verlangen die Demokratieerklärung auch von Initiativen gegen Linksextremismus und Islamismus, weil wir ja zum Beispiel verhindern wollen, dass eine Initiative gegen Islamismus mit Islamhassern zusammenarbeitet." Schröder fügte hinzu: "Die Demokratieerklärung braucht die Rückendeckung aller Demokraten, weil sie ein Zeichen dafür setzt, dass Extremisten egal welcher Richtung in unserem Land keinen Platz haben. Toleranz gegenüber Intoleranz ist nämlich Dummheit."

Die Extremismus-Klausel besagt, dass sich Organisationen, die vom Bundesfamilienministerium gefördert werden, zum Grundgesetz bekennen müssen und nicht selbst mit extremistischen Organisationen kooperieren dürfen. Daran war in der Vergangenheit mehrmals Kritik laut geworden, weil es hieß, die Ministerin behindere dadurch insbesondere den Kampf gegen den Rechtsextremismus. Der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, erneuerte die Kritik. Er erklärte der "Mitteldeutschen Zeitung" im Lichte der aktuellen Ereignisse, Schröder müsse sich "langsam fragen, ob sie mit der Extremismus-Klausel an einer Gleichstellung linker Gewalt und rechtsextremen Terrors festhalten möchte".

[cs, dts, ots]