Der „Justizpalast“
Genau vor 100 Jahren wurde das imposante Kölner Gerichtsgebäude am Reichensperger Platz eröffnet. Damals war es das größte deutsche Gerichtsgebäude. Zum 100jährigen Jubiläum wurde in einem Festakt die Geschichte des Gebäudes beleuchtet. Am 7.11.1911 trafen sich rund 600 – männliche – Gäste zur Eröffnung des damals größten deutschen Justizgebäudes am Reichensperger Platz im imposanten Treppenhaus des Gebäudes im Kölner Norden. Es galt ein Gerichtsgebäude auf 12.000 Quadratmetern Grundfläche, mit 4 Kilometern Fluren, mit 400 „Geschäftszimmern“ und 34 Sitzungssälen einzuweihen. Nach der Schaffung der neuen Gerichtsverfassung zum 1.10.1879 waren zahlreiche neue Gerichtsgebäude erforderlich geworden, das Kölner Gebäude für das Oberlandesgericht Köln, damals zuständig für die preußische Rheinprovinz, war besonders groß und prächtig geraten. Man war damals auch des Lobes voll für diesen „Justizpalast“, der als Ausdruck eines Verständnisses eines modernen Kaiserreichs eröffnet worden war.

Auf den Tag genau 100 Jahres später haben sich wieder Gäste nahezu die gleiche Zahl von Gästen eingefunden. Doch sind es heute nicht mehr nur Männern, sondern auch sehr viele Frauen – und es singt nicht ein „Männergesangsverein aus Beamten des mittleren Dienstes“ sondern der Chor des OLG Köln, gemischt und unter anderem mit dem OLG-Präsidenten Johannes Riedel, damals kaum vorstellbar.  Und waren es damals nur Männer, die Richter waren, so sind es heute 61 Männer und 45 Frauen, die als OLG-Richter Recht sprechen. Und was unter Recht sprechen in der wechselvollen Geschichte des Hauses hieß, daran erinnerten die Redner sehr deutlich.

"Eine dunkle Zeit"
Johannes Riedel, der heutige Präsident des OLG Köln, sprach von der dunklen Zeit im Nationalsozialismus. 12 Jahre lang wurde das Recht mit Füßen getreten und viel zu wenige wehrten sich damals. Riedel erinnerte besonders an den Freitag, den 31.3.1933. SS- und SA-Leute stürmten die Treppen empor, rissen Türen auf, unterbrachen laufende Gerichtsverhandlungen – immer auf der Suche nach jüdischen Richtern und Rechtsanwälten. Diese wurde – zur Einschüchterung aller – mitgenommen, zum Teil noch in Roben auf offenen Wagen durch die Stadt zum Polizeipräsidium gefahren – wo sie später wieder frei gelassen wurden. Kaum jemand wehrte sich, kaum jemand protestierte. Und am nächsten Tag wurde in den Zeitungen verkündet, dass diese Aktionen zum Schutz der Betroffenen erforderlich gewesen ist, um diese Richter und Rechtsanwälte vor der wütenden Bevölkerung zu schützen. „Verächtlich“ nannte Riedel dies in seiner Ansprache.

„Tempel der Gerechtigkeit“
Kurz nach dem 2. Weltkrieg wurde in dem erheblich beschädigten Gebäude wieder der Gerichtsbetrieb aufgenommen, der „Tempel der Gerechtigkeit“, wie er 1911 bezeichnet worden war, wurde wieder seiner Bestimmung zugeführt. An ein nahezu vergessenes Gericht dieser Anfangszeit erinnerte NRW-Justizminister Thomas Kutschaty. Denn im Saal 301 des Gebäudes nahm im Mai 1948 der Oberste Gerichtshof der Britischen Zone, ein „kleiner Bundesgerichtshof“, wie es Kutschaty nannte, seine Arbeit bis zur Schaffung des Bundesgerichtshofes  zum 1.10.1950 auf. Als Revisionsgericht zuständig für die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg sowie für die OLG-Bezirke Köln, Hamm und Düsseldorf, hinterließ das Gericht eindrucksvolle 3 Entscheidungsbände.

„Die Richter des OLGH scheuten sich auch nicht davor, die Verstrickungen der ordentlichen Justiz in das Terrorsystem des Nationalsozialismus aufzuzeigen“, unterstrich der Minister, „und vertraten – entgegen der späteren Auffassung des BGH die Auffassung, dass die Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestands NS-Richter nicht vor einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen Mords bzw. Totschlags schützen konnte“.  Diese Ernsthaftigkeit verdiene sehr viel Respekt und sei auch ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte des Kölner Justizpalasts. Sie ist heute noch vorbildlich für die Genese des internationalen Völkerstrafrechts, meinte Kutschaty.

Kutschaty beschrieb auch anschaulich, dass im Kölner Gebäude manche Richter in ihrer Amtszeit auf vier Verfassungen vereidigt wurden, auf die Kaisers, auf die Weimarer Reichsverfassung, auf den Diktator Hitler und nach 1949 auf das Grundgesetz. Dessen müsse man sich auch heute bewusst sein, wenn man diese Gerichtsgebäude betrachte.

Die Adresse „Reichensperger Platz“ ist zurückzuführen auf den Richter am Rheinischen Appellationsgerichtshof Köln (dem 1819 geschaffenen Vorgänger des OLG Köln) August Reichensperger (1808 – 1895) einem anerkannten Richte rund Politiker, der später Ehrenbürger der Stadt Köln wurde.


Der Autor unseres Gastbeitrages Martin W. Huff
ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen und hat unter anderem einen Lehrauftrag für Medienrecht an der Fachhochschule Köln.