Mehrheit der Bürger unzufrieden über Vorgehen gegen Rechtsradikale

Im Zusammenhang mit der Mordserie von rechtsextremen Terroristen werfen die meisten deutschen Bürger dem deutschen Staat ein lasches Vorgehen gegen Rechtsradikale vor. In einer Forsa-Umfrage für das Magazin "Stern" waren 74 Prozent der Bürger der Ansicht, dass die staatlichen Organen Umtriebe von Neonazis unzureichend bekämpften. Vernichtend ist auch das Urteil der Bürger über die Arbeit des Verfassungsschutzes. Nahezu zwei Drittel der Bürger sagten, sie hätten kaum oder gar kein Vertrauen in die Behörde. Besonders gering ist das Ansehen bei den ostdeutschen Bürgern: 77 Prozent der in den neuen Bundesländern Befragten haben kaum Vertrauen zu den Verfassungsschützern. Generell verfolgen die Deutschen die Enthüllungen aus der Naziszene mit großer Anteilnahme. 80 Prozent der Befragten gaben an, sie seien an der Berichterstattung über das Killer-Trio, seine Helfershelfer und das Versagen der staatlichen Organe interessiert. Drei Viertel halten die Diskussion über die Folgen dieser Anschläge für angemessen oder würden gern sogar noch mehr erfahren. Nur 21 Prozent meinen, über die rechtsextremen Terroristen werde zu viel berichtet. Als Konsequenz aus der Mordserie treten 60 Prozent für ein Verbot der NPD ein. Wenig Befürworter findet dagegen die Idee einer nationalen Trauerfeier für die Opfer. Lediglich 28 Prozent würden eine solche Gedenkveranstaltung begrüßen, 66 Prozent lehnen sie ab.

Untersuchungskommission zu Neonazi-Gruppe nimmt Arbeit auf
In Thüringen hat heute die für die Untersuchung der Neo-Nazimorde beauftragte Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Den Vorsitz der dreiköpfigen Untersuchungskommission wird der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, übernehmen. Die Experten sollen die Rolle des Verfassungsschutzes und der anderen Sicherheitsbehörden prüfen und vor allem klären, warum die Mitglieder der Zwickauer Zelle 1998 untertauchen konnten. Dazu soll die Kommission Zugang zu allen Ermittlungsakten haben und Gespräche mit den Beteiligten der Ermittlungen in den 1990er Jahren führen. Schäfer wird zu Beginn der Kommissionsarbeit in der Staatskanzlei mit Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, den fünf Fraktionsvorsitzenden sowie Innenminister Jörg Geibert zusammenkommen.

Koalition setzt Zeichen im Kampf gegen Rechtsextremismus
Anlässlich der aktuellen Haushaltsberatungen und vor dem Hintergrund der jüngsten rechtsextremistischen Gewalttaten, erklärt der für das Bundesministerium der Justiz zuständige Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss Stephan Thoame: "Die Koalition hat beschlossen, zusätzlich 500.000 Euro für Opfer rechter Gewalt zur Verfügung zu stellen. Auf Drängen der FDP sind die geplanten Kürzungen gestoppt worden. Das Engagement von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in dieser Sache wurde sogar von Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich gewürdigt."

Eine Millionen Euro Entschädigung
Bislang waren im Haushaltsetat des Bundesministeriums der Justiz 500.000 Euro für Entschädigungen vorgesehen. Insgesamt werden die Mittel nun auf eine Million Euro aufgestockt. Damit setzt die Koalition ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus. Die schwarz-gelbe Koalition hatte 2009 durchgesetzt, dass nicht nur die Opfer rechtsextremistischer, sondern die Opfer aller extremistischer Gewalttaten den Fonds in Anspruch nehmen können.

Grünen-Politikerin Göring-Eckardt stellt NPD-Verbot in Frage
Die grüne Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt hält die erneuten Forderungen nach einem Verbot der NPD für fragwürdig. Diese Forderung suggeriere, dass ein solches Verbot das Entstehen und Verfestigen rechtsextremer Strukturen verhindern würde", sagte die aus Thüringen stammende Bundestags-Vizepräsidentin der Zeitschrift "Super Illu". Zudem lenke sie von den Fehlern in Politik und Sicherheitsbehörden ab. "Ein Parteiverbot verhindert keinen Terror", betonte sie. "Statt ein Verbot als Allheilmittel zu verkaufen muss es vielmehr darum gehen, die Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut zu verhindern und eine wehrhafte Zivilgesellschaft bei ihrem Kampf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu unterstützen."

Thierse fordert Abschaltung von V-Leuten in der NPD
Angesichts der Mordserie der rechtsextreme Terrorzelle hat der SPD-Politiker Wolfgang Thierse gefordert, die V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD jetzt "abzuschalten" und damit die Voraussetzung für einen erneuten Anlauf für ein NPD-Verbot zu schaffen. In einem Beitrag für den Internetauftritt Superillu.de schrieb der Bundestags-Vizepräsident, es sei ein "unerträglicher Zustand", dass der demokratische Staat über Parteieinfinanzierung und Wahlkampfkostenerstattung "seine Feinde auch noch selbst finanzieren muss". Das Bundesverfassungsgericht habe aber 2003 entschieden, dass sich angesichts der V-Leute in der NPD nicht mehr eindeutig sagen lasse, wem die verfassungsfeindlichen Aktivitäten zuzuordnen seien, "nur der NPD – oder wegen der bezahlten V-Leute in NPD-Funktionen und -Gremien auch dem Staat?", so Thierse. "Das Verfassungsgericht hatte Recht mit seiner Entscheidung, auch wenn sie damals heftig kritisiert wurde: Denn heute verstärkt sich der Eindruck, dass V-Leute nicht nur mitlaufende Informanten waren, sondern auch staatliche bezahlte Scharfmacher, Straf- und Gewalttäter." Seit Jahren würden Forderungen nach einem NPD-Verbot immer mit Verweis auf die V-Leute-Problmatik abgetan. "Damit muss Schluss sein. Das ist doch der eigentliche Skandal: Dass der Verfassungsschutz wegen der V-Leute zum Bestandsschutz der verfassungsfeindlichen NPD geworden ist!" Thierse weiter: "Es wäre gut, wenn Rechtsextremismus und rechte Gewalt – nicht nur die NPD – endlich bei allen demokratischen Parteien als ernstes, schwerwiegendes Problem erkannt würden. Die Erkenntnis, dass der braune Sumpf aus Kameradschaften und NPD eine Brutstätte für Terroristen ist, lässt hoffentlich auch die letzten Realitätsverweigerer endlich aufwachen."

[dts]