Köln | Politische Aufklärung kann faktenreich und trotzdem wunderbar unterhaltsam sein. Das beweist gerade die Koproduktion „Der siebte Kontinent. Reise zur größten Mülldeponie der Erde“ im Theater im Bauturm: die Liebesgeschichte von Mensch und Plastik.

Goethes Zauberlehrling hat es wohl schon gewusst: Da hat er etwas erschaffen, was er nicht mehr beherrschen kann. Diesmal keinen Besen, sondern Plastik. Michael Pitsch, Puppenspieler und Schauspieler, trägt den Originaltext vor, rührt etwas zusammen – und aus dem Glas quillt und quillt und quillt die weiße Masse, bis sie endlich wie zu einer Glocke erstarrt.

Kunststoff eben. Plastik. Unzerstörbar. Wenn der Mensch sich schon lange in Staub aufgelöst hat, bleiben von ihm nach Hunderten von Jahren die künstlichen Kniegelenke und der Silikonbusen. Wenn vielleicht auch nur als Nanopartikel. Es ist eben eine Liebesbeziehung über den Tod hinaus.

Am Anfang steht das Geburtsbändchen, am Ende bleibt der Silikon-Busen

Begonnen hat sie für die nunmehr zweifelnde junge Frau (Lilith Häßle) schon als Baby: in der Klinik mit dem Geburtsnamensbändchen. Doch ist daraus schon lange eine Mesalliance geworden: Verzweifelt und lautstark versucht Herr Plastik (Sebastien Jacobi im hautengen Latex) sie von seinen Vorzügen zu überzeugen: Plastik schont die Natur, es ist bunt, wandelbar, preiswert, überall drin – und eben unzerstörbar.

Genau das aber ist das Problem: der Plastikmüll, der nicht oder nur kaum recycelt werden kann. Wird er nicht als „Rohstoff“ verbrannt, landet er irgendwann im Meer, im Pazifik, auf Kamilo Beach, dem schmutzigsten Strand von Hawaii. Vielleicht nicht die größte Mülldeponie der Erde, bestimmt aber die größte „natürliche“.

Auf Hawaii besuchte das Ensemble die größte Mülldeponie der Erde

Das Theaterteam ist für die Recherche zu dieser Koproduktion von Theater im Bauturm und Staatstheater Mainz dorthin geflogen – Herr „Plastik“ hat die Reise seiner Partnerin als kleine „Wiedergutmachung“ angeboten. Zurückgekommen ist das Team mit beeindruckenden Filmaufnahmen und Müll. Gereinigt wird der 300 Meter lange Strand regelmäßig von Umweltschützern. Die können aber nur die größten Objekte beseitigen: Fischernetze, Kisten, Flaschen, undefinierbare Reste, die dann vergraben werden. Die kleinen Stücke verbinden sich im Laufe der Zeit unzertrennbar mit den natürlichen Boden. Vielleicht könnte daraus ein neuer, der 7. Kontinent entstehen?

Auf Hawaii erfährt das Ensemble auch von Albatrosjungen, die an verstopften Mägen sterben. Verstopft durch Plastik, mit dem sie von ihren Eltern gefüttert wurde. Die brachten es in Fischen mit oder hielten es direkt für Futter. Pietsch hat danach aus Müll und einem echten Schädel eine Albatros-Marionette gebaut, die jetzt das Herz von Julia rührt und ihre Plastikabneigung anfacht. Die Auseinandersetzung nimmt ihren Lauf, flott und energisch. Die vielen Fakten hat Regisseur Jan-Christoph Gockel gut verpackt – nicht in Plastik, sondern in Witz und Engagement, ein Schuss Moral darf dabei nicht fehlen. Und er lässt immer ein bisschen Zeit, Luft zu holen.

Auch eine Zahnbürste aus Holz kommt nicht ohne Plastik aus

Was also tun gegen die Plastikflut? Das Team besuchte einen „Unverpackt“-Laden in Mainz (gibt es im Übrigen auch in Köln) – aber Sch…: Die Zahnbürste mit Holzgriff hatte Plastikborsten. Lässt sich der Gebrauch von Plastik im Alltag wenigstens reduzieren? Oder könnten (politisch durchgesetzte) Verbote helfen, wie zum Schluss gefordert wird? Oder eine Demonstration?

Antwort hierauf gibt es nicht, das wäre auch zu viel verlangt. Aber ohne leichte Verunsicherung über das eigene Tun dürfte nach gut 70 Minuten kein Theaterbesucher anschließend nach Hause gehen. Was ja auch nicht ohne ist.

„Der siebte Kontinent. Reise zur größten Mülldeponie der Erde“ – die nächsten Vorstellungen: 27. und 28. April, 13. und 20. Mai, Theater im Bauturm, Aachener Str. 24-26, 50674 Köln, www.theater-im-bauturm.de, Karten: Tel. 0221 / 52 42 42, www.off-ticket.de, www.koelnticket.de und bei allen KölnTicket-Vorverkaufsstellen

Autor: ehu | Foto: Foto: MeyerOriginals / TiB
Foto: Noch verläuft die Diskussion zwischen Lilith Häßle und Sébastien Jacob in friedlichen Bahnen. Foto: MeyerOriginals / TiB