Platz ohne Ende für Räder. Trankgasse, werktags 15 Uhr. Ein modernes Mysterium. Foto: Peter Pauls

report-K präsentiert ausgewählte Beiträge aus dem Newsletter des Kölner Presseclubs, den Sie hier abonnieren können. Für die redaktionellen Inhalte ist der Kölner Presseclub verantwortlich. Der Autor dieses Beitrages, Peter Pauls, ist Vorsitzender des Kölner Presseclubs. Zuvor war er lange Jahre Chefredakteur der Tageszeitung Kölner Stadt-Anzeiger.

Verkehrswende in Köln? Da fliegen die Fetzen. Geht es noch um Verkehr? Oder nur um die Macht, ums Rechthaben? Eine Text-Auswahl aus den Tageszeitungen: Autofreiheit spaltet Deutz, Eigelstein erhitzt die Gemüter, Verkehrswende mit Hindernissen, vergiftete Stimmung im Viertel. Betroffene, ob dafür oder dagegen, sprechen von Dorfposse, Geschäftsschädigung, Anfeindungen. Was ist nur los?  
 
Nicht allein Köln strebt eine „Verkehrswende“ an. Läuft sie hier aber besonders holprig? „Das ist leider so“, bestätigt Prof. Dr. Roman Suthold. Durch politischen Druck auf die Verwaltung gehe Tempo vor Sorgfalt in der Umsetzung von „Verkehrsversuchen“, ergänzt der Leiter des Bereichs „Verkehr und Umwelt“ beim ADAC in NRW. Das führe zu Fehlern. Gipfel sei der verkehrspolitische Irrgarten auf der Venloer Straße, der bundesweit Spott fand. „Dabei“, so Suthold weiter, „ist die Grundidee richtig.“ Nur sei die Stadt zu hektisch vorgegangen.  Politik, mahnt der Verkehrsexperte, solle sich nicht einmischen, sondern nur den Rahmen vorgeben. Die konkreten Maßnahmen aber müsse die fachlich geschulte Verwaltung umsetzen. Vergleichbar sei das mit einem Krankenhaus. Dieses bereitzustellen, sei ein politischer Beschluss. Doch in den Operationssälen müsste ärztliches Fachpersonal bestimmen. Stellen Sie sich nur vor, ein Politiker wollte Ihnen die Mandeln herausnehmen.
 
Die Politik dominiert die Verkehrswende, konkret: Die Grünen. Wundern muss das nicht. Es handelt sich ja um ein Kernthema. Was mich erstaunt, ist die handwerkliche Umsetzung. Durchsetzen um jeden Preis. Hau-Ruck und mit dem Kopf durch die Wand. Das ist nicht Kommunalpolitik, das ist Machtkampf.  Aufgefallen ist mir das erstmals am Eigelstein. Die örtlichen Geschäftsleute hätten „zu hundert Prozent hinter der Idee gestanden, den Eigelstein autofrei zu machen“, zitierten die Medien Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (Grüne). Das stimmt aber nicht: Es gab eine Gegenresolution mit 300 Unterschriften.

Ende April erschien in Kölner Zeitungen der Artikel „Eigelstein erhitzt die Gemüter“. Er berichtet von einer CDU-Versammlung mit Anwohnern und Gewerbetreibenden. Darin nennt ein Polizist den Eigelstein einen „rechtsfreien Raum“ für Schnell-Radler. Es sei heute gefährlicher als früher, als dort noch Autos fuhren. 30 Geschäfte stünden vor dem Abgrund, klagt eine Einzelhändlerin. Kein Mensch komme mit Bus und Bahn zum Einkaufen. Der Rewe-Markt indes macht gute Erfahrungen. „Keine Einbußen, steigende Kundenzahlen.“
 
Kurz darauf wendet Kölns Grünen-Parteichef Stefan Wolters fernab der Wirklichkeit die dortige Lage ins Gegenteil. Nach der Reduzierung des Autoverkehrs habe sich die Kaufkraft am Eigelstein verbessert, die Befürchtungen von Händlern seien nicht eingetreten, phantasiert er. Wäre ich Betroffener, ich würde jedes Vertrauen in solche Politik verlieren – ob das Parteibuch nun für grün, schwarz, gelb oder rot steht. 
 
Die Vertrauensbasis sei dahin, sagt auch Verkehrsexperte Suthold. An der Deutzer Freiheit ist erlebbar, wohin das führt. Betroffene, die ihre Existenz in Gefahr sehen, holen sich juristischen Beistand. Sie sehen keinen anderen Weg, dieser Politik beizukommen, von der sie sich ignoriert sehen.
 
Zur Wirklichkeit auf Kölner Straßen gehört mittlerweile ein harter Ton. Darüber legt sich wie eine verbergende Decke das abstrakte Vokabular des Dezernats für Mobilität. Darin ist von Verkehrsversuchen die Rede, Lupenräumen und Labormaßnahmen, die „modellier- und skalierbar“ bleiben. Das klingt, als sei die Verkehrswende eine technische Angelegenheit, in der man nur die richtigen Knöpfe drücken muss. Aber so ist es nicht allein. Man muss miteinander sprechen, statt nur neue Verbotsschilder aufzustellen.
 
Zusammengefasst: Die „Verkehrsversuche“ sind eher Experimente und erfolgreich dann, wenn die verkehrspolitischen Ziele der Politik erreicht sind. Die Stadtverwaltung gibt sich zudem Mühe, Bürgerbeteiligung umzusetzen. Digitale Befragungen, Handzettel in Briefkästen, Versammlungen. Zwar sehe ich hier eine jüngere, digital versierte und gut vernetzte Klientel im Vorteil, die stadtweit und nicht nur im betroffenen Veedel für lokale Anhörungen mobilisiert – doch die Anstrengung ist erkennbar.
 
Warum dennoch so viele Bürger von den Maßnahmen überrascht sind? Vielleicht, weil sie erschöpfende Arbeitstage hinter sich haben? Oder weil sie nicht mehr an ihre Einflussmöglichkeiten glauben? Wie es ist, kann es jedenfalls nicht weitergehen. „Ein Unfall und eine gewalttätige Auseinandersetzung der einzelnen Verkehrsteilnehmer ist hier nur eine Frage der Zeit“, fürchtet der Chef des Excelsior Hotels Ernst, Georg Plesser. Die momentane Situation sei geschäftsschädigend. „Unsere Gäste sind trotz von uns bereitgestellter Information verwirrt.“
 
Und nun? Laut städtischer Erhebung lassen immer mehr Kölner das Auto schon mal stehen. Guten Willen gibt es also bei den Bürgern, die sich dennoch wie irregeleitete Heranwachsende behandeln lassen müssen. Die neue Verkehrsordnung wird uns – Kosten eine halbe Million Euro – musikalisch nahegebracht, als ginge es um gute Laune und nicht um eine Notwendigkeit. Dass viele ihr Auto brauchen, weil sie pendeln oder der ÖPNV in Köln keine Alternative bietet, wird scheinbar nicht zur Kenntnis genommen.
 
Wie so häufig, vermisse ich Führung in der Stadt, eine Autorität, die zusammenführt. Zumindest die „Verkehrsversuche“ sind vorläufig eingestellt. Aber was, wenn erstmal das große Ganze dran ist? Geht es dann vielleicht um abgestimmte Lösungen und Konsens?