Düsseldorf | Eine halbe Stunde vor der Bluttat hatte sie noch E-Mails von ihrer Kollegin Irene N. bekommen. Um kurz nach 9 Uhr blickte die 29-jährige Jobcenter-Mitarbeiterin Jasmin H. dann dem Mann ins Gesicht, der ihre Kollegin getötet haben soll. Gut fünf Monate nach diesem Zufallstreffen sieht die Zeugin den mutmaßlichen Täter wieder: Es ist der erste von sieben angesetzten Prozesstagen am Landgericht Düsseldorf. Ahmed S. ist angeklagt, die Mitarbeiterin des Jobcenters Neuss Irene N. am 26. September 2012 heimtückisch und aus niederen Beweggründen ermordet zu haben. Die Zeugin Jasmin H. beschreibt im Saal 122 des Gerichts den dramatischen Moment der Begegnung mit dem mutmaßlichen Täter: „Es stand jemand vor den Aufzugstüren, überall waren Blutspritzer.“ Mit einem Kollegen sei sie aus der 5. Etage des Gebäudes an der Stresemannallee in Neuss in die 4. Etage hinuntergelaufen. Der Grund dafür: der Notruf aus dem Zimmer von Irene N.. Der Mann vor dem Aufzug habe sie angeschaut, seine blutbefleckte Hand gehoben und damit eine abwehrende Geste gemacht. Als wolle er sagen: „Bleibt weg.“

Als die Zeugin vor dem Landgericht Düsseldorf diese Angaben macht, bricht Ahmed S. in Tränen aus. Die Übersetzerin, die neben dem 52 Jahre alten Marokkaner sitzt, reicht ihm ein Taschentuch, mit dem er sich die Augen trocknet. Der Angeklagte ließ zu Beginn des Prozesses über seine Anwälte verkünden, dass er an diesem Tag keine Erklärung zur Sache abgeben wird. Gegebenenfalls werde er das zu einem späteren Zeitpunkt tun. Mit hochgezogenen Augenbrauen, die Stirn in Falten gelegt, verfolgt der schmale Mann ernst und konzentriert den Prozess. Der Mann mit den graumelierten Haaren und dem Schnauzbart blickt dabei den Zeugen direkt in die Augen.

Eine Datenschutzerklärung, die ihm von seinem Jobcoach Armin K. vorgelegt worden war, und die er unterschrieben hatte, soll der Anlass für die Tat von Ahmed S. gewesen sein. Laut Anklage soll er Angst vor dem Missbrauch seiner Daten gehabt haben. Das habe ihn so wütend gemacht, dass er mit einem etwa 30 Zentimeter langen Fleischermesser und einem 25 Zentimeter langen Küchenmesser am 26. September 2012 gegen 9.00 Uhr das Jobcenter in Neuss betrat. Er war laut Staatsanwaltschaft auf der Suche nach seinem Berater Armin K..

Im Jobcenter erinnert nichts mehr an die Bluttat

Irene N. ist vermutlich ein Zufallsopfer geworden – weil er Armin K. nicht in seinem Büro antraf, suchte Ahmed S. das Büro der jungen Mutter auf, die ihm von vorherigen Beratungsterminen bekannt war. Dort stach er vier Mal zu – in einem Fall mit solch einer Wucht, dass das Messer durch den ganzen Körper der jungen Frau ging und am Rücken wieder austrat.

Im Zuschauerbereich sitzt Ulrich Hartz, er ist stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Neuss. „Ich war sehr betroffen“, sagt er, die Augen klein und die Wangen gerötet. Er ist hier, um die Mitarbeiter, die heute aussagen, zu betreuen. Und fügt hinzu: „Es ist eine komische Situation.“

Jobcoach Armin K. sagt als Zeuge vor Gericht, dass er von seinem Kunden Ahmed S. erst einmal einen positiven Eindruck gehabt habe. Und dass er der Meinung ist, dass der Angeklagte ihm trotz der Sprachprobleme in seinen Ausführungen zu der Datenschutzerklärung folgen konnte. „Sag die Wahrheit“, ruft Ahmed S. da mit heiserer Stimme durch den Gerichtssaal. Bei diesem Thema wird der Angeklagte nervös, er spricht immer wieder mit seiner Übersetzerin, bewegt seinen Oberkörper und die Arme. Es sei schwierig gewesen mit der Unterschrift unter der Datenschutzerklärung, sagt Armin K. und fügt hinzu: „Ich habe gemerkt, dass er große Zweifel hatte und das nicht unterschreiben wollte.“ Am Ende unterschrieb Ahmed S. aber doch.

Das Neusser Jobcenter ist in einem schmucklosen Bürohochhaus am Rande eines Gewerbegebietes untergebracht. Die Büros befinden sich im vierten und fünften Stock des Hauses 4b an der Stresemannallee. „Wo wollen Sie hin? Haben Sie einen Termin?“ fragt eine Frau in dunkelblauer Kleidung einen Besucher der Behörde, als dieser aus dem Aufzug geht. Erst auf Nachfrage stellt sie sich vor: „Ich arbeite für eine Sicherheitsfirma, hier ist doch im vergangenen Jahr eine Frau erstochen worden. Und deshalb darf hier niemand so rein“, sagt die Mittfünfzigerin entschuldigend. Eine Kontrolle gibt es nicht, es genügt der Hinweis des Mannes, er interessiere sich für Broschüren zum Programm „Visionen 50plus“. Der Flur des Jobcenters ist gelb gestrichen, im Eingangsbereich erinnert nichts an die Bluttat aus dem September.

Autor: Kathrin Aldenhoff, dapd