Vizekanzler Robert Habeck. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Flensburg | Zusammenfassung | Die zuständige Staatsanwaltschaft Flensburg hat am Freitag ein Ermittlungsverfahren gegen die Teilnehmer der Blockade des Fähranlegers im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel eingeleitet. Am Freitag begann eine politische Debatte um die Blockade und der Bauernverband distanzierte sich.

Es könne den Straftatbestand der Nötigung erfüllen, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie weitere, unbeteiligte Passagiere daran gehindert wurden, mit ihren Fahrzeugen die Autofähre zu verlassen, bestätigt ein Behördensprecher dem „Spiegel“. Das Vorliegen weiterer Straftaten wird dem Sprecher zufolge geprüft – etwa des Landfriedensbruchs oder des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Protestierende Landwirte und weitere Demonstranten waren am Donnerstagnachmittag ins nordfriesische Schlüttsiel gereist, wo der Vizekanzler auf dem Rückweg von einem privaten Besuch auf der Hallig Hooge eintreffen sollte. Dort angekommen, blockierte eine Menschenmenge auf mitunter gewaltförmige und konfrontative Weise den Anleger. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums hatte Habeck den aufgebrachten Landwirten angeboten, einzelne Vertreter zu ihm auf die Fähre zu schicken, da die Sicherheitslage es nicht zugelassen habe, dass der Grünenpolitiker die Fähre verlasse.

Das Angebot aber sei von den Protestierenden abgelehnt worden. Die Stimmung sei „aufgeheizt“ gewesen, wie ein Polizeisprecher dem „Spiegel“ sagte. Die Beamten hätten Pfefferspray eingesetzt.

Nach etwa zwei Stunden sei die Fähre mit Habeck an Bord zurück nach Hooge gefahren.

Bauernverband distanziert sich von Aktion gegen Habeck

Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, hat die übergriffigen Proteste von Bauern gegenüber Vizekanzler Robert Habek (Grüne) scharf kritisiert. „Das geht gar nicht und das ist auch nicht unser Protest“, sagte er am Freitag dem TV-Sender „Welt“. „Es geht nicht an, dass man die Privatsphäre von Leuten verletzt, egal welche Positionen sie bekleiden, es geht nicht an, dass man mit Gewalt und Nötigung arbeitet.“

Krüsken sagte weiter, der Bauernverband habe seiner Mitgliedschaft schon seit Weihnachten gesagt, es gebe Spielregeln, man stehe für demokratischen, friedlichen Protest. Krüsken kündigte für die anstehende bundesweite Aktionswoche der Bauern vom 8. Bis 15. Januar Konsequenzen an: „Wir unterstützen Rettungsdienste, Pflegedienste, die Infrastruktur, die Ordnungskräfte und vor allen Dingen: Wir halten auch die Lebensmittelketten frei von Blockaden.“ Es gehe nicht darum, etwas „stumpf“ zu blockieren, sondern man habe ein Anliegen, eine Botschaft und das bringe man „konstruktiv“ rüber, so Krüsken.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte unterdessen vor wachsender politischer Aggression in Deutschland. „Wenn Politiker von einem aufgepeitschten Mob zu Hause aufgesucht und als Volksverräter beschimpft werden, wenn sie symbolisch an Galgen aufgehängt werden oder wie jetzt Vizekanzler Robert Habeck in seinem Privatleben bedroht und bedrängt werden, dann sind das massive und inakzeptable Grenzüberschreitungen“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wir sollten nie vergessen, wo politische Aggression hinführen kann. Das rechtsextremistische Mordattentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, wie brandgefährlich Hetze sein kann.“ Faeser rief die demokratischen Kräfte dazu auf, der Radikalisierung früher entgegenzutreten. „Der Rechtsstaat greift durch, wenn die roten Linien des Strafrechts überschritten werden und verbales Aufhetzen in Radikalisierung und Gewalt mündet, aber dem schon viel früher Einhalt zu gebieten, ist die Verantwortung aller demokratischen Kräfte“, sagte sie.

„Diese Verantwortung muss viel ernster genommen werden.“ Dazu gehöre eine klare Abgrenzung von radikalen Kräften. Diese Abgrenzung zeige sich zuerst in der Sprache.

„Die zunehmende Vergiftung von Debatten muss ein Ende haben“, fordert Faeser. „Wir erleben eine oftmals vernichtende Sprache, die immer härter gegen politisch verantwortliche Personen gerichtet wird, statt sich mit den zugrunde liegenden Themen zu beschäftigen. Dem muss man deutlich entgegentreten, laut widersprechen – und man darf sich keinesfalls sprachlich oder politisch an Radikale und Populisten anbiedern.“

Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht zeigte dagegen Verständnis für die Bauern-Blockierer und bezeichnete Habecks Reaktion auf den versuchten Angriff auf ihn als „peinlich“ und „weinerlich“. Wagenknecht sagte dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“: „Die Ampel macht Bauern zu Melkkühen ihrer verfehlten Politik, jeder Euro Mehrbelastung für Landwirte in Deutschland ist einer zu viel. Ich unterstütze die Proteste und fordere die Bundesregierung auf, die geplanten Streichungen komplett zurücknehmen.“

Dass sich Habeck jetzt als Opfer der Proteste „inszeniert“, sei „peinlich“. Wagenknecht sagte dem RND weiter: „Statt sich weinerlich über Proteste zu beschweren, müsste die Bundesregierung jedem dankbar sein, der heute noch Landwirtschaft in Deutschland betreibt. Wir brauchen die Abschaffung des unsinnigen CO2-Preises, die Rücknahme aller Agrarkürzungen und ein großes Entlastungsprogramm für die Landwirtschaft gegen das Höfesterben. Es ist absurd, dass ab dem kommenden Jahr das Herausreißen funktionsfähiger Heizungen mit Abermilliarden gefördert wird, und dafür unter anderem diejenigen, die für unsere Lebensmittel sorgen, zur Kasse gebeten werden“, sagte Wagenknecht.

Reederei drängt auf Bestrafung nach Habeck-Blockade

Nach der Blockade und versuchten Erstürmung einer Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bord durch Landwirte und andere Protestierende übt der Chef der Wyker Dampfschiff-Reederei, Axel Meynköhn, scharfe Kritik an den Beteiligten und fordert deren Bestrafung. „Das war ganz klar Nötigung“, sagte der Firmenchef der „Bild“. Der Kapitän habe „buchstäblich in letzter Sekunde“ abgelegt.

„Die Demonstranten haben versucht, das Schiff zu stürmen, als er die Hydraulikbrücke hochgefahren hat. Einige sind sogar noch darauf gesprungen. Zuvor haben sie einen völlig unbeteiligten Lkw aufs Schiff zurückgedrängt, der herunterfahren wollte.“

Es sei „unfassbar“, was passiert sei, sagte Meynköhn. „Wir haben sowas in der Unternehmensgeschichte trotz zweier Weltkriege noch nicht erlebt“, so Meynköhn. An Bord des Schiffs seien 30 Passagiere gewesen, überwiegend Unbeteiligte.

„Eine Odyssee für die Passagiere. Wir würden Anzeige erstatten, wenn wir wüssten, wer konkret dahintersteckte. Mir fehlt das Verständnis für diese Aktion. Es hätten ja auch alte oder kranke Menschen auf dem Schiff sein können“, so der Reederei-Chef. „Und die Demonstranten haben sich noch selbst gefährdet.“

So reagiert die Politik auf den Vorfall in Schüttsiel

Fähren-Blockade: Kühnert fürchtet „Akzeptanz des Faustrechts“

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat die demokratischen Akteure in Deutschland zu einer Distanzierung von den Blockaden gegen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) aufgefordert. „Wer bereit ist, das Faustrecht zu akzeptieren, wenn es politisch grad in den Kram passt, der spielt mit unserer Demokratie“, sagte Kühnert dem „Tagesspiegel“ (Samstagausgabe). „Jede klammheimliche Freude über solche Einschüchterungen verbietet sich. Die Ablehnung von Gewalt als Mittel der Politik darf von Demokraten niemals als eine Frage der Opportunität behandelt werden.“ Er könne „nur allen empfehlen, in solchen Momenten sehr genau zu registrieren, wer keine glasklare Verurteilung der Geschehnisse über die Lippen bekommt“. Was in Schlüttsiel passiert sei, „muss uns als Gesellschaft grundsätzlich zu denken geben“, sagte der SPD-Generalsekretär.

„Der organisierte Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des Vizekanzlers – um nichts anderes ging es – markiert das Aufkündigen grundlegender demokratischer Spielregeln durch die Angreifer.“ Wer die Aktion vom Donnerstagabend als bloßen Protest gegen politische Entscheidungen der Ampel-Koalition verstehe, „der verkennt, welche Grenzüberschreitung gestern stattgefunden hat“, sagte Kühnert. „Das Drangsalieren von Amts- und Mandatsträgern war bislang eine Domäne von Pegida, Reichsbürgern und Rechtsaußen-Parteien wie der AfD.“

Aiwanger sieht Schuld für Fähren-Blockade bei Ampel

Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat Verständnis gezeigt für die Blockade einer Fähre in Schlüttsiel, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) befand. „Die Schuld für die Bauernwut liegt allein bei der existenzgefährdenden Ampelpolitik“, sagte der Freie-Wähler-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstagsausgabe). „Viele fürchten um die Zukunft ihrer Höfe, weil die angekündigten Einschnitte Tausende Euro Mehrbelastung im Jahr bringen. Die Bauern merken seit Jahren, dass es ihnen durch immer mehr falsche Vorgaben ideologisch an den Kragen geht.“ Trotz der Ankündigung der Bundesregierung, doch auf die Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu verzichten und die Subventionen auf Agrardiesel nur schrittweise abzubauen, will der bayerische Wirtschaftsminister am Montag an der Seite der Bauern demonstrieren. Die Bauern seien „nur ein Symbol“ dafür, wie die Bundesregierung mit den Stützen der Gesellschaft umgehe, sagte er.

„In meinen Augen sind das gezielte gesellschaftspolitische Verschiebungen Richtung links. Man will diese bürgerlichen Bevölkerungskreise schwächen und auch dieses Höfesterben forcieren“, so der Freie-Wähler-Chef. „Insgesamt geht es in die Richtung, den Menschen als in deren Augen Störer der heilen Welt zurückzudrängen und konservative Strukturen, die die Bauern aufrechterhalten, kaputt zu machen.“

Protestierende hatten am Donnerstagabend Habeck, der von einem Urlaub auf Hallig Hooge kam, und andere Passagiere daran gehindert, die Fähre zu verlassen. Ein Gesprächsangebot des Grünen-Politikers wurde dem Ministerium zufolge von den Protestierenden abgelehnt. Der Reederei zufolge sollen die Demonstranten versucht haben, das Schiff zu erstürmen.

AfD-Chefin Alice Weidel schrieb auf der Plattform X von einer „Fährenflucht“ Habecks.

Huber spricht sich nach Fähren-Blockade für Gewaltfreiheit aus

CSU-Generalsekretär Martin Huber hat nach der Blockade einer Fähre mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) an Bord für Gewaltfreiheit geworben. „Klar ist: Protest muss gewaltfrei und ohne Bedrohungen stattfinden“, sagte der CSU-Politiker dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben). „Einzelne Fehlverhalten dürfen nicht das berechtigte Anliegen der Landwirte untergraben.“

Huber forderte die Ampel auf, die vorgesehenen Kürzungen beim Agrardiesel komplett zurückzunehmen. „Das permanente Hin und Her der Planlos-Ampel verunsichert das Land“, sagte der CSU-Generalsekretär. „Halbherzige Korrekturen reichen nicht, die Unterstützung beim Agrardiesel muss bleiben: Das ist nicht klimaschädlich, sondern gewährleistet die Versorgung mit guten regionalen Lebensmitteln.“

Steinmeier zeigt sich schockiert über Fähren-Blockade

Nach der Blockade einer Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bord durch Landwirte und andere Protestierende hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erschüttert gezeigt. „Zu sehen, wie ein Minister auf einer privaten Reise von einer aggressiven Menschenmenge eingeschüchtert wird und sich nach Bedrohungen in Sicherheit begeben musste, hat viele in unserem Land schockiert, auch mich“, sagte Steinmeier der „Bild“ (Samstagausgabe). „Das dürfen wir nicht hinnehmen.“

Der Bundespräsident zeigte sich besorgt über das gesellschaftliche Klima und forderte die Landwirte auf, friedlich zu demonstrieren und die Gesetze einzuhalten. „Demonstrationen gehören zur Demokratie. Kritik an der Regierung ist legitim. Aufrufe zu Hass und Gewalt überschreiten jedoch die Grenze dessen, was gerechtfertigt ist“, erklärte Steinmeier. „Wer so handelt, verletzt die Grundregeln unserer Demokratie und schadet damit seiner eigenen Sache.“