Den Archäologen auf dem rathausvorplatz ist ein Sensationsfund gelungen: Die Ausgrabungen brachten dutzende Schiefertäfelchen zutage. Dies gab das Team um Projektleiter Sven Schütte heute bekannt. Auf den Schiefertafeln befinden sich Schreibübungen von Schülern, religiöse Texte und Notizen unterschiedlichster Art auf Hebräisch, Deutsch und Latein. Manchmal sind nur Gekritzel oder kleine Zeichnungen zu erkennen, manchmal auch längere Texte. Herausragend ist ein literarischer Text aus der Zeit vor 1349, der in Deutsch abgefasst ist, aber in hebräischer Schrift geschrieben wurde. Es handelt sich um ein sehr seltenes Zeugnis direkt niedergeschriebener Literatur auf Stein in Mittelniederdeutsch. Der große Bestand an Texten ist laut Schütte ist bisher einzigartig. Die Auswertung und Entzifferung der Texte werde noch geraume Zeit und viel Spezialistenwissen in Anspruch nehmen.

Infobox: Das Jüdische Viertel in Köln
Im Jahr 1349, in der Nacht vom 23. auf den 24. August, wurde das Jüdische Viertel in Köln, das bis dahin für Juden einigermaßen sicher war, für Tausende zur Todesfalle. Das Viertel wurde überfallen und fast alle Bewohner ermordet. Einige Menschen flüchteten in die Synagoge und verbrannten sich selbst als Märtyrer, um dem Morden zu entgehen. Kurz darauf wurde die Synagoge zerstört und geplündert. Was den Plünderern nicht brauchbar erschien, füllten sie in große Gruben oder ließen es an Ort und Stelle liegen. In einer dieser Gruben fand das Team um Projektleiter Sven Schütte nun tausende Fragmente der zerstörten Synagoge.
 
Die Reste einer vollständigen Synagogenausstattung sind erhalten geblieben und bieten so, ähnlich wie in Pompei, eine Momentaufnahme des mittelalterlichen Kölns. Herzstück der Synagoge war die mit Blättern, Tieren und Pflanzen reich verzierte Bimah, die Lesekanzel. Dort fanden die Lesungen aus der Thora statt, die danach wieder feinsäuberlich im Thoraschrein verstaut wurde. In Köln wurden die bisher vollständigsten Reste einer solchen Lesekanzel aus Stein gefunden. Die Synagoge diente aber auch als Schule und als Wohnung des Gemeindevorstehers – und so fand man auch Möbel, Buchbeschläge, Reste von verbranntem Pergament, Kinderspielzeug, Medizinfläschchen und sogar Speisereste, die auf die damaligen Essgewohnheiten schließen lassen. Die Funde sind sensationell: „Es handelt sich dabei um den größten archäologischen Bestand an Funden aus einer deutschen Synagoge“, erläutert Projektleiter Sven Schütte.

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