Köln | „Berlin brennt, Köln pennt!“ hieß es 1968 spöttisch. Dass Köln alles andere als pennte, sondern auf eine ganz besondere Art bei den weltweiten Jugend- und Studenten-Unruhen mitmischte, zeigt jetzt die Ausstellung „Köln 68! Protest, pop, provokation“ im Stadtmuseum in einer bunten, unterhaltsamen, aber nie oberflächlichen Mischung.

Flugblätter – aufwändig gedruckt auf Wachsmatritzen – waren das propagandamittel in der politischen Auseinandersetzung.

1968 war ein bewegtes Jahr. Heintje kämpfte mit „Mama“ gegen Beatles und Rolling Stones um Platz 1 in der deutschen Hitparade. Die Proteste gegen die Notstandsgesetze blieben ohne Erfolg. Und nach dem Attentat auf Rudi Dutschke wird nicht nur in Berlin die Auslieferung der BILD-Zeitung blockiert. Dasselbe geschieht auch in Köln vor dem DuMont-Pressehaus an der Breite Straße, wo das Springer-Produkt gedruckt wird.

In Prag walzten Panzer die Hoffnung auf einen „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ nieder. In Frankreich brachten Studentenunruhen die Regierung von Charles de Gaulle ins Wanken.

Im Schutz von Idol Che Guevara können Ausstellungsbesucher ihre Erinnerungen and as Jahr 1968 niederschreiben. Papier liegt in der Schublade.

1968 hat auch in Köln eine Vorgeschichte

Was heute kurz „68er-Bewegung“ genannt wird, hat eine globale Vorgeschichte, mit der die Kölner Ausstellung eingeleitet wird. Nicht zuletzt der Vietnam-Krieg bewegte international die Jugend. Ebenso die Revolution in Kuba – ein Poster von Che Guevara hing in vielen Studentenbuden – auch in Köln. In Deutschland kam der Protest gegen NS-Größen hinzu, die ihre Karriere in der Bundesrepublik hatten fortsetzen können. Studenten wollten an den Entscheidungen der Universität beteiligt werden.

In Köln begann 1968 schon zwei Jahre früher mit dem Sitzstreik gegen KVB-Preiserhöhungen. Es flogen Steine, die Polizei schlug zu – und die lokale Boulevardpresse hetzte gegen die protestierende Jugend. Proteste gab es auch 1967 gegen des Besuch des Schah, ehe wenige Tage später – am 2. Juni – in Berlin der Student Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den persischen Herrscher erschossen wurde.

Den roten „Kittel“ mit schwarzer Mütze (Bildmitte) trug der Uni-Hausmeister noch in den 1960er Jahren bei festlichen Anlässen.

Rosa Luxemburg löste Albertus Magnus als Uni-Paten ab

Köln pennte also keineswegs – und es ging 1968 weiter. Etwa mit der Besetzung des Universitäts-Rektorats durch den der SPD nahestehenden Sozialistischen Hochschulbund (SHB). Der Protest richtete sich gegen den Ausschluss der studentischen Vertreter aus einer Senatssitzung – die Demokratisierung der Hochschulhierarchie war in ganz Deutschland ein zentrales Thema. Kurzfristig wurde die Kölner Uni in Rosa-Luxemburg-Universität umbenannt.

Kurios muten heute die mittelalterlichen Kostüme für Uni-Professoren und Hausmeister an, die noch in den 1960er Jahren getragen wurden. Als auch linke Studenten noch „ordentlich“ gekleidet studierten. „Wir trugen Anzug und Krawatte“, erinnert sich etwa Kölns alternativer Ehrenbürger, der 2015 verstorbene Kurt Holl.

Künstler mischten sich in die politische Diskussion ein

Doch es waren nicht nur die Studenten, die in Köln für Unruhe sorgten. „Berlin war das politische Zentrum der Protestbewegung, Frankfurt das der Theorie und Köln das Zentrum der Avantgarde-Kunst“, ordnet Ausstellungsleiter Stefan Lewejohann die deutschen Unruheherde von 1968 ein. Er hat die Ausstellung in Zusammenarbeit mit Kölner Geschichtsstudentinnnen und –studenten organisiert.

In Köln standen auch die Künstler in vorderster Front gegen verkrustete Vorstellungen – nicht nur in der Kunstszene, auch solche in der Politik. Angriffsziel war etwa der Traum von einem autogerechten Köln: Fluxus- und Happeningkünstler Wolf Vostell karikierte ihn mit einem Siebdruck, für den er den Dom in die Mitte eines Autobahnkreuzes stellte. Das Filmemacherpaar Birgit und Wilhelm Hein begründete eine neue Untergrund-Kultur für Dokumentarfilme. Als sie in der U-Bahn-Baustelle am Neumarkt ihre Filme zeigten, beendete gleich am ersten Tag eine Polizeirazzia die Veranstaltung, Höhepunkt des sich anschließenden Protests war die Störung einer Opernaufführung am nächsten Abend.

Vom Ruhm der Weltkunstmetropole ist verblasst

Das aber ist nur noch Experten in Erinnerung. Der Ruhm von Köln als Weltmetropole der Avantgardekunst ist längst verblasst, geblieben sind die artCologne – immerhin die erste Kunstmesse der Welt – und der „Ruhende Verkehr“, der von Vostell einbetonierte Opel Kapitän, den die Stadt sinnentleert auf dem Mittelstreifen des Hohenzollernrings deponiert hat.

Die Ausstellung erinnert aber auch an die Musikstadt Köln, an die Avantarde-Popgruppe Can, an das Kabarett „Floh de Cologne“ und an Klaus den Geiger, dessen Straßenmusiker-Karriere damals begann und der seine Geige als Exponat zur Verfügung stellte. Die Ausstellung zeigt, wie die jugendliche „Protest-Mode“ kommerzialisiert wurde, wie die Buchverlage von der Wiederentdeckung sozialistischer Theorie-Schriften auflebten und wie – nicht nur die Jugend – von Mobilität träumte. Hiervon zeugt ein Velo-Solex – damals Traum wohl aller jungen Menschen.

Die Ausstellung steht neuen Erinnerungen offen

Rund 300 Exponate sind zu sehen: Fotos, Bücher, Mode, Plakate, Transparente, Musikinstrumente, Filme. Fast zwei Drittel davon von privaten Leihgebern. Nach einem Aufruf des Stadtmuseums hatten sich fast 100 Zeitzeugen gemeldet. Viele stellten nicht nur ihre materiellen Erinnerungen zur Verfügung, sondern auch ihre wörtlichen – nachzulesen im 500 Seiten dicken Katalog oder an zehn Beispielen in der Ausstellung zu hören. Und es haben sich kritische Stimmen gemeldet. Schließlich steht eine „antike“ Schreibmaschine bereit, auf der Besucher ihre Erinnerungen an 1968 niederschreiben können.

So könnte die Ausstellung nicht nur zu Diskussionen über den historischen Stellenwert des Jahres 1968 anregen. Hausherr Mario Kramp und Habbo Knoch, Geschichtsprofessor an der Uni Köln, hoffen, dass die Ausstellung auch Anlass gibt, über die aktuelle Bedrohung der Demokratie von Rechts nachzudenken.

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[infobox]„Köln 68! protest. pop. Provokation“ – 20. Oktober 2018 – 24. Februar 2019. Kölnisches Stadtmuseum, Zeughausstr. 1-3, 50667 Köln. Tel. 0221 / 221-22398.Öffnungszeiten: Di 10-20 Uhr, Mi-So 10-17 Uhr, Feiertage: 10-17 Uhr, geschlossen am 24., 25. Und 31. Dezember 2018 und am 1. Januar 2019. Eintritt: 5/3 Euro, an den KölnTagen ist der Eintritt für alle Kölnerinnen und Kölner frei (jeweils 10-22 Uhr). Katalog: 29.80 Euro. Das umfangreiche Begleitprogramm unter www. koelnisches-stadtmuseum.de

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Autor: ehu | Fotos: ehu
Foto: Mit dem Protest gegen die KVB-Preiserhöhung kündigte sich 1969 in Köln an. Trotz strömenden Regens wurde demonstriert. Fotos: ehu