Ein Antiquariat in Outremeuse trägt den Namen des berühmten Kommissars. Foto: Eppinger

Köln Das Viertel Outremeuse in Kölns Partnerstadt Lüttich dürfte vielen Rheinländern durch den berühmten Trödelmarkt, der dort jeden Freitagvormittag stattfindet, gut bekannt sein. Es liegt gegenüber des historischen Zentrums auf der „Schäl Sick“ der wallonischen Metropole mit ihren knapp 200.000 Einwohnern. Streng genommen befindet sich Outremeuse auf einer Insel mitten in der Maas.

Wie Willy Millowitsch in Köln hat auch Georges Simenon in Lüttich seine Bank für die Ewigkeit bekommen. Foto: Eppinger

Bekannt ist das Viertel mit seinen verwinkelten Gassen und den urigen Kneipen, aber vor allem durch seinen berühmtesten Bewohner – dem Schriftsteller Georges Simenon (1903-1989), der in diesem Jahr 120 Jahre alt geworden wäre. Berühmt wurde dieser durch seinen Kommissar Jules Maigret, der in insgesamt 75 Kriminalromanen und 28 Erzählungen ermittelt.

Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Outremeuse, das sich seit 1870 von einem volkstümlichen Gartenviertel mit großen Wasserflächen, trockengelegt, zu einem neuen Wohnviertel verwandelt hatte. Es ist ein Viertel, das mit seinen Bewohnern den Schriftsteller und mit ihm auch sein Werk stark geprägt hat und das wie bei „Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien“ auch Schauplatz seiner Kriminalromane war.

Vor 120 Jahre wurde der Schriftsteller in Lüttich geboren

Geboren wurde Simenon allerdings am 13. Februar 1903 im historischen Zentrum von Lüttich auf der anderen Seite der Maas. Dort befindet sich noch sein Geburtshaus an der vornehmen Rue Leopold schräg gegenüber des Rathauses, wo der Schriftsteller, ähnlich wie der kölsche Volksschauspieler Willy Millowitsch in Köln, als Bronzeskulptur auf einer Bank sitzt. Der Platz wurde nach Simenons Kommissar Maigret benannt, dessen Markenzeichen wie bei seinem Schöpfer die Pfeife, der Mantel und der Hut waren.

Zum 120. Geburtstag wurde in Lüttich ein neuer Stadtrundgang auf den Spuren von Georges Simenon mit insgesamt 17 Stationen gestaltet, den sich Besucher der Stadt als App herunterladen können. Zu den Stationen im historischen Zentrum gehört das Rathaus, wo sich Simenon als junger Volontär bei der Polizeistation mit Neuigkeiten versorgt hat. Dort lernte er den Fahrer eines Kommissars kennen, der ihn bei seinem berühmten Ermittler stark beeinflusst hat.

Am zentralen Platz St.-Lambert, wo Simenons Mutter in einem großen Kaufhaus gearbeitet hatte, bestimmt die Baustelle der neuen Tram, die vom Bahnhof Liege-Guilliemes ins Zentrum führt, das Geschehen, was bei Besuchern aus Köln Erinnerung an den Bau der Nord-Süd-Bahn wecken dürfte.

In Outremeuse finden sich schöne alte Gassen. Foto: Eppinger

Die Tour führt nun über die Brücke Pont des Arches, nach der Simenons erster Roman benannt wurde, und die in Lüttich lange die einzige Brücke über die Maas war. Im Jahr 1905 überquerte seine Familie diese, um sich in Outremeuse niederzulassen. Schon länger im Viertel zu Hause war der Großvater des Schriftstellers, der an der Rue Puits en Sock einen Hutladen betrieb. Simenon beschreibt in seinem Werk das Leben mit und unter Brücken, wie beim großen sonntäglichen Markt La Batte am Maasufer.

Von der Brücke fällt der Blick auf die Kirche Saint-Pholien, die im ersten Roman um Kommissar Maigret aus dem Jahr 1931 eine zentrale Rolle spielt. Dieser war der Start von Simenons großer Karriere als Schriftsteller und beruht auf einer wahren Begebenheit. Denn im März 1922 wird Simenons Freund Joseph Jean Kleine erhängt an der Türklinke der Kirche gefunden.

Über eine schmale Gasse gelangen Besucher zu „La Caque“. Foto: Eppinger

Direkt gegenüber befindet sich am Boulevard de la Constitution das Antiquaritat „A L’Enseigne Du Commissaire Maigret“, in dem der Besucher mit der ganzen Vielfalt der Literatur empfangen wird. Hinter der Kirche führt eine schmale Gasse zu „La Caque“, einem versteckten Raum, in dem sich Simenon und seine 20 Künstlerfreunde über einer Schreinerei regelmäßig getroffen haben.

Am Boulevard liegt etwas weiter entfernt die Kaserne, in der Simenon seinen Militärdienst abgeleistet hat. Diese beherbergt heute eine Kunsthochschule, bei der es einen Studiengang für Comiczeichner gibt. Auf Initiative seines Sohnes, John Simenon, ist gerade ein biografisches Comic zum Leben des Schriftstellers entstanden. Dazu kommt eine Comicserie von acht Adaptionen zu Romanen des Belgiers.

Zwei Ausstellungen in Lüttich sind derzeit Georges Simenon gewidmet

Zum Thema gibt es noch bis zum 12. Mai eine Ausstellung im Fonds patrimoniaux unweit des Museums Grand Curtius, wo eine weitere Schau bis zum 27. August Simenons Reisefotografien unter dem Titel „Bilder einer Welt in der Krise“ zeigt. Seine Reisen führten ihn zwischen 1930 und 1935 unter anderem nach Frankreich, Kongo, Osteuropa, in die Türkei und nach Nordafrika.

Der Rundgang in Outremeuse führt nun zur Rue Simenon, wo sich an der Hausnummer 25 das Wohnhaus seiner Familie sowie schräg gegenüber die Grundschule befand, die der Schriftsteller besuchte. Vor der nach ihm benannten Jugendherberge erinnert ein ungewöhnliches Denkmal an Simenon. Der Bildhauer Daniel Dutrieux hat einen großen, runden Stein mit Ketten im Boden verankert. Auf sieben kofferförmigen Betonbänken, die um den Stein gruppiert wurden, ist der Anfang des Werkes „Die Witwe Couderc“ zu lesen.

In der Kirche Saint-Nicolas war Simenons Großvater für den Klingelbeutet verantwortlich. Foto: Eppinger

An der Kirche Saint-Nicolas, in der Simenons Großvater für den Klingelbeutel zuständig war, beginnt die kleine Straße Rue des Récollets, die mit ihrer mittelalterlichen Bebauung fasziniert. Unweit davon geht es durch ein Gittertor, dem „Löwenkäfig“ in die Gasse La Roture, wo sich das urige Zentrum des Nachtlebens in Outremeuse befindet.

Der Tchantchés hat viele Ähnlichkeiten mit dem kölschen Tünnes. Foto: Eppinger

Wie volkstümlich das Viertel mit seiner intensiven Marienverehrung geblieben ist, zeigen die großen Feierlichkeiten zum Maria Himmelfahrtstag um den 15. August in der „Freien Republik Outremeuse“, wo auch Kommissar Maigret als übergroße Figur durchs Viertel läuft. Der Protagonist ist aber Tchantchés, eine Marionettenfigur, die an den kölschen Tünnes erinnert. Beide sind aufsässig, ähnlich gekleidet und verteidigen das einfache Volk. Allerdings hat der Tchantchés keinen Schäl, sondern seine Gefährtin Nanésse und trinkt statt Kölsch lieber einen guten Schnaps. Ihm sind in Outremeuse ein eigenes Marionettenmuseum und ein Denkmal gewidmet.

Service: Lüttich

Buchtipps: Neben Simenons ersten Kriminalroman „Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien“ spielt auch „Maigret im Gai-Moulin“ mitten in Lüttlich, und zwar im Einkaufs- und Vergnügungsviertel Le Carré unweit der Kathedrale. Im „Stammbaum“ blickt Simenon mit Ende 30 auf sein Leben zurück. In Deutschland erscheint sein Werk beim Hoffmann und Campe Verlag.

Reise: Vom Kölner Hauptbahnhof braucht der Thalys etwa eine Stunde bis zum Bahnhof Liège-Guillemins. Von dort fahren Linienbusse in die Innenstadt. Eine Alternative sind die Schiffstaxis „Navette Fluviale“ vom Maasufer unweit des Bahnhofs. Ein besonderer Übernachtungstipp ist das kleine Hotel Neuvice in einer der ältesten Straßen Lüttichs.