ehu | Viele Romane wollen auf die Bühne und scheitern. Doch ein Roman ist wie für die Bühne gemacht: Joachim Meyerhoffs „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“. Er erzählt von der Kluft zwischen Lachen und Weinen, vom Drahtseilakt zwischen Rolle und Person und der ständigen Frage nach Verortung – und das passenderweise im Theater der Keller.

„Nicht so drängeln. Fröhlich sein. Das ist doch eine Komödie!“, bereits beim Einlass in die ausverkaufte Premiere stimmt der Herr des Hauses Heinz Simon Keller beim Abreißen der Eintrittskarten auf die Stimmung der bevorstehenden Inszenierung ein. Markus J. Bachmann betritt die Bühne. „Welche drei Rollen hast du uns mitgebracht?“, ertönt es wie bei einer Castingsituation aus den hinteren Reihen des Saals. Verunsichert steht der junge Schauspielschüler, gekleidet in ALF-Shirt und 80er-Jahre Jeansjacke auf der großen, kleinen Bühne. Mitgebracht habe er nur eine. „Ach diese Lücke“ von Meyerhoff.

Erste Etappe: Champagner

Joachim Meyerhoff erzählt im dritten Roman seines autobiografischen Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“ von seiner Ausbildung an der Falckenberg-Schauspielschule in München und der skurrilen Beziehung zu seinen äußerst speziellen Großeltern. Schon früh wird klar, wie Mathias Köhler und Julia Fischer Meyerhoff auf die Bühne bringen wollen: Starker Text trifft auf starkes, exzentrisches Schauspiel. Und ein Paar macht dies in Perfektion.

Susanne Seuffert und Ralf Harster, die sich als Inge und Herrmann an diesem Abend durch sämtliche Alkoholika kämpfen müssen, sorgen für beherzte Lacher im Zuschauerraum. Morgens gibt es Champagner, mittags Weißwein, gefolgt von Rotwein, Whisky und Cointreau. Fünfaktschema mal anders. Zwischendrin erleben die Zuschauerinnen und Zuschauer viel Witz, beim angesäuselten, repetitiven Philosophieren über den Magnolienschmerz: „Schau mal Hermann! Die Iris!“, „Der Frühling kam früh dieses Jahr, Inge. Oh schau! Eine Knospe!“ oder bei Atemübungen mit der bezaubernden Julia Doege, die die durchgeknallte Schauspiellehrerin Gretchen Kinski verkörpert: „Und nun fahren lauter kleine Bötchen über den Stimmsee.“

Zwischen Wohnzimmer und Bühne

Joachim hasst die Schauspielschule. Im ersten Jahr soll er ein Nilpferd und Fontane verkörpern. Er geht in einen Zoo, um das Nilpferd zu verstehen und konsultiert seine Großeltern, die ihm auch nicht so recht erklären können, was Effi Briest mit einem im Fluss lebenden Paarhufer zu tun haben soll. Alles spielt sich hierbei zwischen Wohnzimmer und Bühne ab, was Ran Chai Bar-zvi so einfach und doch genial umsetzt. Auf einer rotierenden Stange hängt ein klassischer, roter Bühnenvorhang oder wahlweise eine extravagante Tapete in blassem Türkis und Gold. Zum Interieur gehören auch Inge und Hermann, bis der Großvater stirbt: Er zieht langsam sein Jackett aus, legt es um seine trauernde Ehefrau und sagt: „Ich werde immer weniger.“

Zwischen Rolle und Person, Weinen und Lachen

Hermann tanzt frei und losgelöst zur Musik, bevor er Inge und Joachim verlässt und hinterlässt eine Lücke, eine entsetzliche Lücke. So viel auch bei der Inszenierung hemmungslos gelacht werden konnte und auch sollte, schaffen es Fischer und Köhler auch, Raum für Trauer und Reflektion zu schaffen, wenn zum Beispiel Joachim sich in seiner Rolle als Schauspieler verliert und seinen Wesenskern in der Trauer um den Verlust seines verstorbenen Bruders und durch Goethes Werther findet: „Ach diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle! – Ich denke oft, wenn du sie nur einmal, nur einmal an dieses Herz drücken könntest, diese ganze Lücke würde ausgefüllt sein.“ Im Theater der Keller wurde die Lücke in den Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer geschlossen. Mit der richtigen Dosis von Tränen der Heiterkeit und Trauer.

„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ – die nächsten Vorstellungen: 20. und 31. Dezember, 9., 16., 20., und 26. Februar, jeils 18 bzw. 20 Uhr. Theater der Keller, Kleingedankstraße 6, 50677 Köln, Tel. 0221-31 80 59 oder verwaltung@theater-der-keller.de

Autor: Bettina Freund | Foto: MeyerOriginals / TdK
Foto: Füllen im Theater der Keller eine „Lücke“ mit Lachen und Weinen: Julia Doege, Ralf Harster, Susanne Seuffert und Markus J. Bachmann (v.l.). Foto: MeyerOriginals / TdK