Eine Demonstration für die Ukraine am 17. Februar 2024 in Deutschland. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Berlin | Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, hat wenig Verständnis für die Debatte über eine zunehmende Kriegsmüdigkeit in Deutschland und anderen westlichen Staaten. „Mit Verlaub: Die Menschen im Westen sind möglicherweise kriegsberichterstattungsmüde, kriegsmüde hingegen können nur diejenigen sein, die selbst im Krieg sind“, sagte der Diplomat den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Makejew ergänzte: „Wenn Sie die Leute in der Ukraine fragen, ob sie kriegsmüde seien, dann sagen sie: Wir sind erschöpft zwei Jahre nach Beginn dieser genozidalen russischen Invasion und zehn Jahre nach Besetzung der Krim und östlichen Gebieten von Donbass.“ Natürlich gebe es überall schlaflose Nächte im Land und bei den Ukrainern in Europa: „Aber haben wir eine andere Wahl als das zu tun, was wir tun? Wir sind in einem Überlebenskampf. Aufgeben ist keine Option.“

Ökonomen: Ukraine-Krieg kostet Deutschland über 200 Milliarden Euro  

Der Ukraine-Krieg hat Deutschland nach Berechnungen führender Wirtschaftsforscher bislang deutlich mehr als 200 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung gekostet. „Die wirtschaftlichen Kosten für Deutschland nach zwei Jahren Ukraine-Krieg dürften deutlich höher liegen als 200 Milliarden Euro“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der „Rheinischen Post“.

„Vor allem die hohen Energiekosten haben das Wachstum in Deutschland im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpunkte oder 100 Milliarden Euro und im Jahr 2023 bis heute um eine ähnliche Größenordnung nochmals reduziert“, sagte der DIW-Chef. „Diese 200 Milliarden Euro sind jedoch nur die direkten finanziellen Kosten. Weitere Kosten entstehen durch die wegen des Krieges eskalierenden geopolitischen und geoökonomischen Konflikte, vor allem mit China, welche gerade die deutschen Exportunternehmen hart treffen“, sagte Fratzscher.

Auch nach einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) dürfte der Ukraine-Krieg Deutschland bislang weit mehr als 200 Milliarden Euro gekostet haben. Die Studie kommt auf volkswirtschaftliche Kosten von rund 240 Milliarden Euro seit dem ersten Quartal 2022, in dem der Krieg ausgebrochen war. „Während die Ausfälle im Jahr 2022 bei rund 100 Milliarden Euro liegen, stiegen sie im Jahr 2023 wieder auf gut 140 Milliarden an“, heißt es in der unveröffentlichten IW-Studie, über die die „Rheinische Post“ berichtet.

Allerdings wirkten 2022 und 2023 auch die Folgen der Corona-Pandemie fort, sodass sich eine genaue Abgrenzung der Effekte des Ukraine-Kriegs nicht berechnen lasse, sagte IW-Forscher Michael Grömling. Für die Berechnungen stellte das Institut die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung einem kontrafaktischen Szenario ohne Ukraine-Krieg gegenüber. Rechne man die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der geopolitischen Entwicklungen (Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt) seit Anfang 2020 zusammen, ergebe sich ein Wachstumsverlust von insgesamt vier Prozent der Wirtschaftsleistung.

Damit gingen Konsumausfälle „von gut 400 Milliarden Euro bezogen auf die Jahre 2020 bis 2023 einher“, heißt es in der Studie. „Das entspricht gut 5,5 Prozent des Konsums in dieser Zeit und einer Konsumeinbuße je Einwohner von insgesamt rund 4.800 Euro“, schreibt das IW.

Die Kosten des Ukraine-Kriegs würden vor allem Menschen mit geringen Einkommen besonders hart treffen, „denn diese erfahren eine zwei- bis dreimal höhere Inflation als Menschen mit hohen Einkommen“, warnte DIW-Chef Fratzscher. „Der deutsche Staat stützt vor allem die energieintensiven Unternehmen mit massiven Subventionen, Menschen mit geringen Einkommen müssen den Gürtel dagegen deutlich enger schnallen“, sagte er.

Der Ukraine-Krieg habe als Weckruf für die deutsche Politik und Wirtschaft gewirkt. „Er hat die verfehlte Energiepolitik und die viel zu langsame ökologische Transformation der vergangenen 15 Jahre schonungslos offengelegt. Der Ukraine-Krieg zwingt Unternehmen und Politik nun zu einer längst überfälligen Kehrtwende in der Industriepolitik und in der Energiepolitik“, sagte der DIW-Chef.

Hofreiter traut Kiew höchstens Stopp des russischen Vormarschs zu 

Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), kann die Ukraine im Krieg mit Russland vorerst bestenfalls einen weiteren Vormarsch der Invasoren abwenden.

„Es ist entscheidend, dass es der ukrainischen Armee gelingt, dieses Jahr die Front zu halten“, sagte der Grünen-Politiker dem Internetportal des Senders ntv. „Wenn in dieser Zeit hoffentlich Europas Produktion von Munition und weiterer Ausrüstung nach oben geht, könnte die ukrainische Armee 2025 in die Lage versetzt werden, im Verteidigungskrieg gegen Russland die Oberhand zu gewinnen.“

„Ich sehe nicht, dass die Ukraine dieses Jahr eine Offensive starten kann“, sagte Hofreiter weiter. Es fehle ihr dazu an Munition und an Rückhalt aus den USA. Wenn Russland zumindest keine weiteren Geländegewinne erziele, sei dies „immer noch das Beste, was der Ukraine in den kommenden Monaten gelingen kann“.

Hoffnungen auf eine mögliche Verhandlungsbereitschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin über einen Waffenstillstand seien „naiv“, sagte der Grünen-Politiker. „Solange sich der Westen zögerlich, nicht geschlossen und schwach zeigt, sieht Putin keinen Grund, den Krieg zu beenden.“

Den Widerstandsgeist der Menschen in der Ukraine hält er für ungebrochen: „Die Verzweiflung darüber, dass dieser Krieg immer noch andauert, darüber, dass so schrecklich viele Menschen sterben, nimmt natürlich zu“, sagte Hofreiter. Die Menschen wollten sehnlichst ein Ende des Krieges, aber angesichts ihrer Erfahrung mit den Besatzern „wünschen sie sich eben auch, dass die Russen aus der Ukraine verschwinden“.

Der Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine jährt sich am Samstag zum zweiten Mal.