Köln | Professor Edgar Schömig ist Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Kölner Uniklinik. Im Interview spricht er über die Herausforderungen seines Hauses in der Coronakrise und über seinen Eindruck zu den aktuellen Lockerungsdiskussionen.

Wie nehmen Sie im Moment die Situation in Köln wahr?

Professor Edgar Schömig: Ich erlebe sowohl in der Stadt als auch hier in der Uniklinik eine unwahrscheinliche Disziplin bei der Mehrheit der Menschen. Die Abstandsregeln wurden extrem gut verstanden und angenommen. So konnte die exponentielle Dynamik bei den Neuinfektionen, die uns ungebremst zum Abgrund geführt hätte, gebrochen werden. Vor dieser Achtsamkeit im Umgang zum Beispiel beim Besuch von Geschäften habe ich großen Respekt.

Was sind momentan die größten Herausforderungen für Sie als Chef der Uniklinik?

Schömig: Wir müssen den Betrieb aufrechterhalten und alle Menschen, die unsere Hilfe benötigen, versorgen. Das gilt für Covid-Patienten genauso wie für Nicht-Covid-Patienten. Aufgrund der aktuellen Lage ist es derzeit sehr schwer zu beurteilen, wie sich die Situation entwickeln wird. Das ist im Moment die größte Herausforderung für die Uniklinik.

 

Wie entwickelt sich die Situation der Covid-Patienten bei Ihnen?

Schömig: Wir haben im Moment etwa 20 Covid-Patienten, die schwerer erkrankt sind. Ein Teil davon wird beatmet. Die Tendenz ist insgesamt abnehmend, sodass wir gut mit der Situation umgehen können. Das Programm wird im Moment wieder etwas verstärkt auf den Bereich der Nicht-Covid-Patienten ausgerichtet. Uns ist aber bewusst, dass wir uns in einer sehr fragilen Situation befinden, die sich in zwei oder drei Wochen wieder dramatisch ändern kann. Das wäre der Fall, wenn bei den Menschen die Achtsamkeit wieder verloren geht.

Wie sehen Sie die aktuellen Lockerungsdiskussionen?

Schömig: Der Blick in die Zukunft ist schwierig. Man muss die Balance finden zwischen die Gesellschaft und die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen und zeitgleich dem Virus in seiner Ausbreitung keine Chance zu geben. Das Ganze ist eine einmalige Situation, die es so noch nie gegeben hat und auf die sich niemand wirklich vorbereiten konnte. Wenn jetzt Lockerungen beschlossen werden, müssen die Auswirkungen gerade bei der Reproduktionsrate der Infektionen extrem gut beobachtet werden. Dazu kommen wie bei den Geschäftsöffnungen flankierende Sicherheitsmaßnahmen wie Abstandsregeln und Mund-Nase-Schutz. Auch die App zur Ermittlung von Kontaktpersonen bei Infektionen halte ich für sehr wichtig. Wird zu viel über Lockerungen diskutiert, könnte das das falsche Signal an die Bevölkerung sein, die ihre Achtsamkeit dann vernachlässigen könnte. Uns allen muss klar sein, wenn wir das Rennen gegen den Virus gewinnen wollen, müssen wir auf die Marathon- und nicht auf die Sprintdistanz gehen. Das wird ein Ritt auf der Rasierklinge, denn wenn wir die Regeln nicht beachten, wird das Geschehen explodieren und das kann das Gesundheitssystem so nicht aushalten. Da kommt es jetzt auf jeden Einzelnen an.

Wie ist unser Gesundheitssystem für die Krise aufgestellt?

Schömig: Man konnte sich auf die Krise nicht einstellen, aber diese hat gezeigt, dass unser Gesundheitssystem in Deutschland das beste der Welt ist. Wir haben genügend Intensivbetten und genügend gut ausgebildetes Personal dafür. Aber lässt man sich das Virus frei verbreiten, wird das auch das beste Gesundheitssystem nicht aushalten können. Wir sind also gut aufgestellt, dürfen aber trotzdem auf keinen Fall jetzt leichtsinnig werden.

 

Wie stellt sich die Versorgung mit Mundschutz, Desinfektionsmitteln und Schutzkitteln in der Uniklinik dar?

Schömig: Ende Februar bzw. Anfang März war die Situation hier extrem angespannt. Auf dem Weltmarkt gab es kein Schutzmaterial mehr und wenn man etwas bestellen konnte, wurde es an den Grenzen gestoppt. Jetzt ist der Nachschub wieder in Gang gekommen und wir können über ausreichend Schutzmaterial verfügen. Zwischendurch waren kreative Lösungen gefragt. So hat unsere Apotheke Mittel zur Händedesinfektion selbst hergestellt und auch Schutzmasken wurden selbst genäht.

 

Wann wird der Normalbetrieb in die Uniklinik zurückkehren?

Schömig: Sowohl in der Gesellschaft als auch im Gesundheitswesen wird das erst der Fall sein, wenn wir einen Impfstoff haben. Positive Prognosen gehen hier vom Ende dieses Jahres aus, pessimistische Prognosen sprechen von mehreren Jahren. Bis dahin bleibt alles ein Balanceakt, auch bei uns in der Uniklinik.

Wie stehen die Chancen bei den Therapien von Covid-Patienten?

Schömig: Bei der Therapie sind schnellere Erfolge als beim Impfstoff wahrscheinlich. Da gibt es bei uns die entsprechenden klinischen Studien, die herausfinden sollen, welche Ansätze helfen und welche nicht. Da wird es in drei Monaten schon deutliche Fortschritte geben. Schon jetzt ist bei uns die Sterblichkeit deutlich geringen als zum Beispiel in den USA, Italien oder Frankreich. Der Durchbruch ist zwar noch nicht geschafft, aber die Perspektiven sind durchaus positiv.

 

Wie sieht momentan Ihr beruflicher Alltag aus?

Schömig: Ich habe das Gefühl, in einem völlig neuen Beruf tätig zu sein. Der Alltag hat sich dramatisch verändert. Jeden Tag müssen neue Fragestellungen zu Covid geklärt und entschieden werden. Wir sind mit der Kölner Uniklinik schon sehr weit vorne. Wir waren die erste Uniklinik, die die Mundschutzpflicht eingeführt hat und auch bei den Tests der eigenen Mitarbeiter auf mögliche Infektionen sind wir sehr weit vorne. Außerdem wird auch jeder neue Patient getestet. Wir haben hier viele Hochrisikopatienten, entsprechend groß ist unsere Verantwortung, diese und die Mitarbeiter effektiv zu schützen.

 

Wie gehen Sie privat mit der Krise um?

Schömig: Die Krise bedeutet sowohl beruflich als auch privat eine große Belastung. Und sie verändert die persönliche Lebensgestaltung massiv. Gerne hätte ich jetzt den 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter groß gefeiert. Und auch bei mir steht ein runder Geburtstag an. Das muss jetzt alles ausfallen. Auch die Möglichkeit, sich irgendwo zurückzuziehen und sich dort zu entspannen, gibt es aktuell nicht. Reisen ist derzeit nicht möglich. Schwer ist auch, die eigenen erwachsenen Kinder nur am Telefon zu erleben und das schon seit acht Wochen.

Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: Uniklinik