Das Archivfoto aus der George Grantham Bain-Sammlung der Library of Congress zeigt Separatisten der Rheinischen Republik vor dem Kurfürstlichen Schloss in Koblenz, am 22 November 1923. In der Mitte mit Barett und Fliege schreitet Josef Friedrich Matthes, der als Ministerpräsident der Rheinischen Republik gilt. | Foto: gemeinfrei

Köln | Es ist der 21. Oktober 1923 als Leo Deckers und Dr. Guthardt die „Freie und unabhängige Republik Rheinland“ im Kaisersaal des Aachener Rathauses ausrufen. Ihre Farben: grün-weiß-rot. Es brodelte im Rheinland von Wiesbaden bis Aachen. In Köln hatte Oberbürgermeister Konrad Adenauer das Sagen, der sich aber zurückhielt, ganz anders als einige Jahre zuvor.

Die Rheinland-Fantasien

Noch in den 1950er Jahren waren die Ereignisse rund um die Rheinische Republik durchaus präsent. Dies zeigt eine Bundestagsdebatte aus dem Jahr 1954. Heute ist das Thema weitgehend vergessen und selbst 100 Jahre danach im Rheinland nicht mehr präsent.

Erinnern wir uns.

In der 61. Sitzung des zweiten Deutschen Bundestags am 15. Dezember 1954 erinnerte Adenauer als Bundeskanzler in seiner Rede an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in der Debatte zum Thema Wiedervereinigung an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und die schweren inneren Unruhen. Er nannte den Kapp-Putsch, die Aufstände im Ruhrgebiet, die Unruhen in Oberschlesien, die Ermordung von Erzberger und Rathenau und die Besetzung des Ruhrgebiets. Das Rheinland nannte Adenauer nicht. Daraufhin rief der Abgeordnete Peter Blachstein, SPD: „Rheinland!“. Das hatte Adenauer ausgelassen. Aus der Mitte des Deutschen Bundestages gab es den Gegenruf: „Unerhört!“

In seiner Replik ging Erich Ollenhauer kurz auf den Vergleich Adenauers mit der Weimarer Zeit ein und stellte für die Sozialdemokratie fest, dass es vor allem Friedrich Ebert gewesen sei, dem es gelang die Einheit der Republik zur Weimarer Zeit zu sichern. In den folgenden Zurufen aus dem Plenum mit der Frage wer damals die Einheit bedroht habe, ruft der Abgeordnete Otto Arnholz, SPD: „Gewisse Rheinländer in der Rheinischen Republik!“. Klar wen er meinte: Konrad Adenauer. So dokumentiert es das Sitzungsprotokoll.

Die Rheinische Republik wird auch in Köln zunächst verhandelt

Was passierte also damals und warum beteiligte sich Köln nicht an der „Freien und unabhängigen Republik Rheinland“, obwohl Adenauer durchaus ein Faible für die Farben grün-weiß-rot hegte in den Tagen der Novemberrevolution 1918. Es ist der 9. November 1918 als Mitglieder der katholischen Zentrumspartei den damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer aufsuchen und ihm die Idee einer Rheinischen Republik unterbreiten. In einem Kölner Haus wurde am 4. Dezember 1918 auf einer Veranstaltung des Zentrums die Rheinische Republik ausgerufen. An diesem Tag fand in Köln auch eine Großkundgebung statt. Die Resonanz auf die Ausrufung gering. Adenauer hielt sich davon allerdings fern. Dennoch rief er am 1. Februar 1919 alle Oberbürgermeister des linksrheinisch besetzten Rheinlands ins Kölner Rathaus zu einer Tagung ein, deren einziger Tagesordnungspunkt war die Gründung einer Rheinischen Republik.

In seiner damaligen Rede bei diesem rheinischen Gipfeltreffen spricht sich Adenauer für die Gründung einer westdeutschen Republik aus. Dabei setzte Adenauer auf Konsens und war sich sicher, dass diese westdeutsche oder rheinische Republik nur dann von Erfolg gekrönt sein würde, wenn alle Parteien und die Bevölkerung dies unterstützten. Gleichzeitig widersprach Adenauer der Vorstellung er sei ein Separatist und wolle sich vom Deutschen Reich lossagen. Adenauer fantasierte von einem größeren Staatenbund, der sich nicht nur auf die preußisch-rheinischen Provinzen beschränken, sondern weitere Gebiete integrieren sollte. Dies sah Adenauer als Gegenbewegung zu der von ihm befürchteten französischen Überfremdung, da die Besatzungsmacht etwa in hessischen Schulen Französisch-Unterricht erzwang. Adenauer sagte vor den Oberbürgermeistern: „Entweder wir kommen direkt oder als Pufferstaat an Frankreich, oder wir werden eine Westdeutsche Republik; ein Drittes gibt es nicht.“

Was Adenauer nicht tat: Er rief nicht die Rheinische Republik aus. Er bestand auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dass das Rheinland Teil des deutschen Reiches bleibe. An diesem Tag im Kölner Rathaus wurde lediglich ein „Westdeutscher Politischer Ausschuss“ beschlossen. Nach dieser Veranstaltung war der Kölner Oberbürgermeister Adenauer nicht mehr an der Spitze der Bewegung einer Republik Rheinland zu sehen. Ganz im Gegenteil mit diesem Schachzug verhinderte Adenauer genau dies. Denn es gab schon eine provisorische Reichsverfassung und die Nationalversammlung. Es war zu dieser Zeit undenkbar, dass sich etwa das Ruhrgebiet einer westdeutschen Republik angeschlossen hätte. Die Arbeit des am 1. Februar 1919 in Köln gegründeten Ausschusses verlief im Sand, da Adenauer sich nicht mehr engagierte. Der war mehrfach als Kandidat für das Amt des Reichskanzlers im Gespräch auch schon 1921, blieb aber Oberbürgermeister von Köln.

Das Jahr 1923

Nach den Ereignissen in den Jahren 1918 und 1919 bildeten sich in vielen rheinischen Städten separatistische Bewegungen. Reichskanzler Scheidemann betonte die Einheit des Reiches und pochte auf die Einhaltung der Verfassung. Am 1. Juni 1919 wurde in Wiesbaden eine „selbstständige Rheinische Repubklik“ ausgerufen und analog zu den Kölner Ideen sollte auch Hessen und die Rheinpfalz dazugehören. Es kam zu einem Generalstreik und Gegenbewegungen. Die Bevölkerung und Verwaltungen lehnten die separatistischen Bewegungen ab. Der Kopf der Wiesbadener Bewegung Hans Adam Dorten wurde vom Reichsgericht per Haftbefehl gesucht nachdem er wegen Hochverrats angeklagt worden war. In den französisch besetzten Gebieten war er sicher, aber seine Bewegung gewann nicht mehr an Bedeutung. Durch die Verschlechterung der Lage, den Ruhrkampf kam es in der Folge immer wieder zu separatistischen Bewegungen in Wiesbaden.

Am 15. August 1923 kam es zu einem Treffen separatistischer Bewegungen in Koblenz, der damaligen Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz. Sie gründeten die „Vereinigte Rheinische Bewegung“. Ihre Führungsfiguren waren Dorten, Josef Friedrich Matthes und der frühere Kölner SPD-Vertreter Josef Smeets und der Aachener Fabrikant Leo Deckers. Sie wollten die rheinische Sache voranbringen und das taten sie auch.

Am 16. Oktober 1923 hissten die Separatisten die grün-weiß-rote Fahne in Eschweiler. Der Putsch in Eschweiler misslang. Am 21. Oktober 1923 schließlich riefen Deckers und Dr. Guthardt im von ihnen und ihren Getreuen besetzten Aachener Rathaus im dortigen Kaisersaal die „Freie und unabhängige Republik Rheinland“ aus. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern und Gegnern. Es ging hin und her bis zum 2. November. Die Separatisten waren auf rund 1.000 Mann angewachsen und besetzten das Rathaus erneut. Die Belgier als Besatzungsmacht schritten ein und die Aachener Stadtverordnetenversammlung legte ein „Treuebekenntnis zum Deutschen Reich“ ab.

Köln gehörte nicht dazu, ganz im Gegenteil. Die Kölner warnten die Wiesbadener und die Mainzer am 21. Oktober dass auch dort die Ausrufung einer Republik geplant sei. Es folgten Tage in denen um die Rathäuser und die Errichtung einer Rheinischen Republik gekämpft wurde. Die Gewerkschaften lehnten eine Rheinische Republik ab. Auf dem Land etwa im Westerwald liefen die Kämpfe gewalttätiger als in den Städten ab.

Die Separatisten sind kurz an der Macht

Die französischen Besatzer nannten die Separatisten am 26. Oktober „Inhaber der tatsächlichen Macht“. Hans Adam Dorten und er Redakteur Josef Friedrich Matthes erhielten Generalvollmacht von den Franzosen. Ein Regierungskabinett wurde gebildet und Matthes Vorsitzender, also Ministerpräsident der rheinischen Republik. Es folgte eine Zeit die als chaotisch bezeichnet werden kann. Nächtliche Ausgangssperren und eine Einschränkung der Pressefreiheit folgten. Die Verwaltungen verweigerten die Zusammenarbeit und die Bevölkerung wartete ab. Zwischen Dorten und Matthes kam es zu Streitereien. Es gab rheinisches Papiergeld und die Koblenzer Regierung ordnete Requirierungen im ganzen Land an. Die Rheinland-Schutztruppen nutzten dies für Plünderungen und lösten damit Widerstand in der Bevölkerung aus.

Bekannt wurde der Widerstand im Siebengebirge. Dort in Aegidienberg formierte sich eine „Heimwehr“. Es kam zur „Schlacht bei Aegidienberg“ bei der nach Angaben der französischen Besatzer rund 120 Menschen den Tod fanden. Das Ende der Rheinischen Republik nahte. Das Koblenzer Kabinett spaltete sich in zwei Lager. Dorten und Matthes flohen beide nach Frankreich. Matthes begegnete dort Kurt Tucholsky, der aus der Geschichte, dass Matthes die Wiedereinreise nach Deutschland verweigert wurde, das Essay „Für Josef Matthes“ am 13. August 1929 in der Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ veröffentlicht. Der warf in seinem Essay der damaligen Reichsregierung vor ihre Londoner Zusage vom 31. August 1924 völliger Amnestie im Fall Matthes zu brechen. Nach der Kapitulation Frankreichs lieferte ihn das Vichy-Regime 1941 nach Deutschland aus. Matthes starb 1943 im Konzentrationslager Dachau.

Nationalsozialisten bemächtigen sich der Geschichte

Die Nationalsozialisten ermächtigten sich der Geschichte. Sie stilisierten den Widerstand der Bauern und Menschen auf dem Land gegen die Plünderungen zu treudeutscher Gesinnung. Die Separatisten galten ihnen als Verräter und sie ließen sie von der Gestapo überwachen. Im Siebengebirge wollten die Nationalsozialisten ein Denkmal errichten. Zu dessen Grundsteinlegung kam Reichspropagandaminister Goebbels. Das Denkmal wurde nicht realisiert.

ag