"Der Mann hatte eine Anpassungsstörung"
Über 1.100 Pergament-Seiten umfasst die Akte. Peinlich genau wird darin die Untersuchung gegen de Kollegiatgeistlichen Jacobus Schoegen aus dem Kölner Kanonikerstift St. Aposteln festgehalten. Er war mit den Statuten des Stifts in Konflikt geraten und hatte eine Affäre mit seiner Dienstmagd. Darüber beschwerten sich seine Mitgeistlichen und legten sein Techtelmechtel als mangelnden Respekt gegenüber den anderen Geistlichen aus. Die Geschichte zog weite Kreise und beschäftigte sogar den Papst in Rom. Im Verlauf des Verfahrens kam es zu zahlreichen Schriftwechseln, Verhören und Protokollen. Sie geben einen genauen Einblick in die Komplexität eines solchen, kirchlichen und nach römisch-kanonischem Recht ablaufenden Verfahren.

Doch nicht nur deswegen ist die Akte historisch bedeutsam, betonte heute Dr. Bettina Schmidt-Czaia, Leiterin des Historischen Archivs. Denn die Geschichte von Schoegen lässt auch den Wandel des Klerus-Lebens erlebbar machen. Noch einige Jahre zuvor lebten Geistliche durchaus nicht enthaltsam. Oftmals waren sie verheiratet und hatten Kinder, so Schmidt-Czaia. "Der Mann hatte also bloß eine Anpassungsstörung", so die Archiv-Leiterin. Er wollte die Jahrhunderte geltende Tradition nicht aufgeben. Eine weitere Besonderheit der Archivalie: Die Akte ist in eine alte, handschriftliche Messschrift eingebunden. Ungeklärt ist dabei die Frage, warum die Geistlichen die Alte in eine sakrale Schrift einbanden, die dafür ja zerstört werden musste.


Archiv-Leiterin
Dr. Bettina Schmidt-Czaia (m.) zeigt Kölns Kulturdezernent Georg Quander (l.) und Dr. Stefan Lafaire, neuer Vorsitzender der Stiftung Stadtgedächtnis die restaurierte Archivalie


Puzzle-Arbeit auf 1.100 Seiten Pergament
Die Disziplinarakte war im Historischen Archiv der Stadt Köln gelagert. Beim Einsturz des Gebäudes 2009 wurde auch sie stark beschädigt. So hatte sich etwa der Einband des Dokuments gelöst und war teilweise zerstört. Der vordere Deckel ist zudem mit Wasserflecken überzogen. Auf einer Seite hatte sich sogar schon Schimmel gebildet. Zahlreiche Seiten wiesen zudem Risse auf. Um die Akte auch für folgende Generationen zu erhalten, übernahm die Stiftung Stadtgedächtnis in diesem Jahr eine Patenschaft für das Dokument. Insgesamt kostete die Restauration 13.000 Euro.

Über vier Monate arbeitete nun Diplom-Restaurateurin Alexandra Haas an der Akte. Zunächst entfernte sie mit einem weichen Pinsel und einem kleinen Naturkautschuk-Schwamm den Schuttstaub auf jeder einzelnen der 1.100 Seiten. Anschließend entfernte Haas den Schimmel im Buch und desinfizierte die Blätter, um sie vor weiterem Schimmelbefall zu schützen. Danach wurde der Einband des Buches geglättet. Er hatte sich aufgrund der Feuchtigkeit beim Einsturz stark gewellt. Zuletzt kittete Haas die Risse am Einband und auf den Seiten und ließ die gesamten Blätter neu ableimen. Vorsichtig setzte sie dabei auch die einzelnen Fragmente des Einbandes wieder zusammen. "Das war Puzzle-Arbeit", berichtete die Restaurateurin heute. Doch die hat sich gelohnt: Denn nun ist die Messschrift auf dem Buchdeckel wieder fast lesbar. Nur die Schwemmränder auf dem Einband konnten nicht wieder rückgängig gemacht werden.

Akte kehrt ins Archiv zurück
Nachdem die Restauration nun abgeschlossen werden konnte, überreichte Kölns Kultur-Dezernent Georg Quander das Dokument heute wieder an Schmidt-Czaia zur Aufbewahrung im neuen Historischen Archiv. Dort wird die Akte nun in einer speziell für sie angefertigten Papp-Kassette gelagert und für nachfolgende Generationen aufbewahrt. "Wer weiß, was die in 200 Jahren noch alles aus der Akte entdecken können", so Dr. Stefan Lafaire, neuer Vorsitzender der Stiftung Stadtgedächtnis.

Cornelia Schlößer für report-k.de | Kölns Internetzeitung