… ihre Dienstkarossen, die da parken, wo früher das Volk stand und natürlich in die Kameras der Foto-, Video und TV-Journalisten.

 Wer an das obligatorische Familienfoto als Journalist kommen will, am Tag der Deutschen Einheit, der musste früh aufstehen, denn Sicherheitscheck, Fahrt mit dem Shuttlebus unter Polizeibegleitung nahm viel Vorlaufzeit in Anspruch. An der Bonner Südbrücke hängen handtuchgroße Fahnen schlapp herunter und verkünden „Freiheit, Einheit, Freude“. Den Claim dazu gibt es auf der Pressemappe: „Bewegt mehr“. Wir haben die drei Begriffe „Freiheit, Einheit, Freude“ genauer unter die Lupe genommen, an diesem Feiertagsmorgen und sie mit unseren subjektiven Eindrücken verglichen. Eine objektive Fotostrecke, denn Bilder lügen nicht, subjektiv kommentiert finden Sie hier >>>

„Freiheit“
Fast keine Straße an der „Feiermeile“ und im Bonner Süden, die frei zugänglich ist. Der Bund hat seine Katastrophenschutzorganisation aus Ehrenamtlichen, das Technische Hilfswerk (THW) nach Bonn in Marsch gesetzt. Die haben überall Straßensperren und Kontrollpunkte aufgebaut. An besonders „brenzligen“ Punkten in der Bonner Südstadt werden Sie von Polizeikräften unterstützt. Überhaupt es wimmelt nur so von Polizeibeamten, uniformiert, zivil und SEK. An der Deutschen Welle checkt die „freie“ Presse ein. Sicherheitscheck, wilder als am Flughafen, sogar der Gürtel wird abgetastet. Dann Bustransfer zum Rathaus. Zwei Fototermine stehen an, Familienfoto vor dem Rathaus und Eintrag ins Goldene Buch. Der Bustransfer wird begleitet von zwei Damen des Bundespresseamtes und einem Polizeibeamten. Die Fahrt führt über Umwege zum Rathaus. Aus dem Busfenster zu sehen: Ein Rettungswagen der Bonner Feuerwehr wird von einem Spürhund untersucht. Im Bus witzeln die Kollegen vom Boulevardfernsehen, dass der ja nun gleich Drogen wie Morphium finden wird. Auch der dahinter stehende Notarztwagen, wird von einem Polizeibeamten durchwühlt. Wir haben freie Fahrt vors Rathaus, werden die letzten Meter aufs Fotografenpodest eskortiert. Dies dürfen die Journalisten nicht einmal zum Kauf eines Kaffees im nahe gelegenen Burgerrestaurant verlassen. Daher kauft eine der Begleitdamen des Presseamtes Kaffee für die Journalie, die sich artig dafür bedankt: „Ach das ist aber lieb“. Auf dem Platz vor dem Rathaus mehr als 100 sichtbare Polizeibeamte, der Platz wirkt hermetisch abgeriegelt. Kein Fenster steht offen, keine Jubelfähnchen sind aufgehängt, statt dessen Scharfschützen in den Fenstern des Rathauses und auch in den umliegenden Häusern.

Frei bewegen dürfen sich jetzt nur noch Staatsangestellte. Hannelore Kraft kommt und wird vom Oberbürgermeister der Stadt Bonn Jürgen Nimptsch empfangen. Sie stehen auf dem Roten Teppich, warten auf die anderen Gäste. Hannelore Kraft nutzt den Augenblick, geht zweimal spontan zu den wenigen Bürgern und Touristen,  unterhält sich. So wie man sie kennt, menschlich und freundlich. Lammert, Vosskuhle, Merkel und Wulff winken einmal kurz der mittlerweile auf rund 70 Personen angewachsenen Bevölkerung zu. Die allermeisten davon haben die Rentengrenze längst überschritten. Die Tür zum Rathaus geht zu, die Damen und Herren der Politik tragen sich hinter verschlossener Tür ins Goldene Buch der Stadt Bonn ein.

„Einheit“
Die Tür öffnet sich wieder, der große Augenblick naht und das Familienfoto auf der Treppe des Bonner Rathauses steht an. Die Objekte der Fotografen klicken wild und dauerdynamisch, einer flucht: „Können die nicht alle wenigstens einmal gleichzeitig nach vorne blicken“. Die Politiker schaffen es nicht, ist ja auch eine schwierige Sache, so mit der „Einheit“. Aber was sehen Sie eigentlich, die Spitzen des Staates, Herr Bundespräsident, Frau Bundesratspräsidentin, Herr Bundestagspräsident, Frau Bundeskanzler und der oberste Verfassungsrichter? Links von Ihnen das Minihäuflein Bevölkerung, 50 Meter vor sich die Fotografentribüne und dahinter ihre geparkten Staatskarossen. Danach hätte eigentlich das Volk Aufstellung nehmen können, nur es war keiner da. Ausgenommen viele Polizeibeamten und Sicherheitskräfte.

Nun hätte man ja wenigstens ein paar nette „Einheits“-Fotos mit dem Volk an der Seite machen können. Das verhinderten aber die netten Damen vom Bundespresseamt. Wieder keine Möglichkeit Einheit zwischen Politik und Volk ins rechte Licht zu rücken. Einig war man sich dann sehr schnell, dass man nun wieder die dunkle Limousine, jeder für sich alleine, besteigen wollte. Das Protokoll ruft. Ach, noch schnell ein Winken zu den Fotografen und ein Lächeln. Abfahrt ohne Klatschmarsch und tschö. Auch die anderen Termine der hohen Damen und Herren fanden unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit statt. Geladene Gäste und sicherheitsgecheckte Journalisten ausgenommen.

„Freude“
Nur wenige Minuten nach Abfahrt der Politik, baute man den roten Teppich ab und der jetzt wieder frei zugängliche Platz füllte sich rasch mit „Bevölkerung“. Die strebte etwa zum Hofgarten, Menschen mit roten T-Shirts auf denen „Zugleitung“ steht, inspizierten die Wege oder Bürgerinnen kamen von einer Reise mit Koffern an. Zurück blieb das schwarze, überdimensionierte Fotografenpodest mit den Kaffeepappbechern, das in gebührendem Abstand aufgebaut war, um die Freude der Politiker über den Tag der Einheit zu dokumentieren. Die Scharfschützen des SEK trugen dunkle Sonnenbrillen und ihre Präzisionsgewehre in Holzkoffern davon. Klar dass der Kollege aus dem Boulevard wieder einen zum Besten geben musste: „Die gehören zum Polizeiorchester und haben da ihre Instrumente drin“. Die Damen des Bundespresseamtes organisierten schon den nächsten Termin „High End Politik meets Bürger“ per Smartphone: „… ja links da steht dann die Bevölkerung“.

Auf der Bühne hat der Soundcheck begonnen, bekannte Töne werden angespielt  und die ersten wärmenden Sonnestrahlen des Tages zaubern ein Lächeln auf die Gesichter der jetzt wieder anwesenden Bevölkerung und verbliebenen Restpolizeibeamten. Manch einer wippt schon im Takt und freut sich auf einen groovigen Tag. Da kommt sie dann doch noch auf die „Freude“ und die Musik „vereint“ so ganz „frei“ ohne Politik, die ihrem Volk dafür ja Brot und Spiele und wie kann es im Rheinland anders sein, am Nachmittag einen Umzug schenkte. Übrigens waren da dann auch die Roten Funken aus Köln mit von der Partie und die verstehen was von „Freude“ schenken und „Mehr bewegen“. Eine Gegendemonstration gab es natürlich auch, die hatte den Titel „Friede. Freude. Eierkuchen“.

[ag]