Köln | Es dampft und zischt in der Keupstraße und ganz Köln ist zu Gast in der Keupstraße in Köln-Mülheim. Da wird gebraten und die Grills glühen, da gibt es lecker Süßes und es kommt zu Begegnungen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten und es doch lange nicht waren, sind und um die man sich auch in Zukunft wird bemühen müssen. Wie etwa, wenn das NRW Polizeiorchester gemeinsam mit dem türkischen Nationalorchester musiziert.

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Es ist der Köln-Tag bei Birlikte – Zusammenstehen. Da tritt die Karnevalstanzgruppe Kölsche Domputzer am einen Ende der Straße und eine türkische Tanzgruppe am anderen Ende der Straße auf. Die Restaurants sind völlig überlaufen und die Männer an den Grills kommen kaum damit nach Spießchen und Leckeres vom Lamm zu grillen und sogar Bratwürste liegen selig einen Rost weiter.

Da ist aber auch die andere Seite, der Grund warum die Menschen in die Keupstraße kommen. Morgen jährt sich der Nagelbombenanschlag zum zehnten Mal. Der Anschlag, der immer noch viele Fragen aufwirft und die man nicht so einfach bei Gegrilltem weglächeln kann. Das wird denen klar, die im ISS Bildungszentrum den Opfern und ihren Anwälten zuhören. Die berichten vom NSU Prozess, aber auch immer noch von Ungeheuerlichkeiten bei der Aufarbeitung und Ermittlungen.

Andrea Asch: „Es kann nicht zu Ende sein am Montag“

Es ist ein kölscher Sonntag, der nun auch die alternative Szene ins rechtsrheinische Pilgern lässt. Im Linksrheinischen kennt man diese kölschen Sonn- oder Samstage von vielen, vielen Straßenfesten. Es sind diese Tage, die auch die, die sonst an Köln zweifeln mit der Stadt versöhnen, weil man so leicht und nett miteinander umgeht und feiert. Umso schöner in der Keupstraße, wo das Leben noch bunter und vielfältiger tobt. Auch die Menschen in der Keupstraße sind begeistert. Zübeyir, der auch einen Laden in der Straße betreibt ist begeistert, spricht von einem guten Publikum und dass es eine Abwechslung für die Gegend und gut für Mülheim sei. „Uns gefällt es“ und eine junge Frau neben ihm nickt und verkauft das nächste Brot. So denken viele und alle sagen das Gleiche wenn man sie fragt. Viele betonen diesen Aspekt, dass es gut für Mülheim sei, so auch Andrea Asch von den Grünen, die für Mülheim im Landtag von NRW aktiv ist: „Das ist unglaublich großartig was hier passiert ist, dass aus dieser Gewalttat und dem Versagen der Behörden – sieben Jahre in die falsche Richtung ermittelt und die Opfer zu Tätern gemacht hat – jetzt so eine Energie entstanden ist: Dieses Fest heute, dass das türkische Nationalorchester mit dem NRW Polizeiorchester spielt, im Theater spielen Keupstraßen-Bewohner mit professionellen Theaterleuten und morgen Arsch huh. Das ist eine unglaubliche Energie und das zeigt den Rechten ihr habt nicht das letzte Wort, sondern es siegt die Gemeinsamkeit der Kulturen und Menschen hier im Viertel.“ Auf die Frage, was dieser Tag mit Mülheim noch machen wird, antwortete Asch: „Das ist die große Frage und das dürfen wir nicht vergessen. Es kann nicht zu Ende sein am Montag. Sondern wir wollen eine Zukunftswerkstatt, die sich hier weiterentwickelt, die das weiterführt, was jetzt hier so wunderbar entstanden ist. Das Mahnmal für den Anschlag. Das ist jetzt der zentrale nächste Schritt. Ein Mahnmal nicht nur an der Keupstraße, sondern ein Mahnmal für ganz Köln, denn es betrifft uns alle. Der Wunsch, dass das Theater weiter hier eine Dependance behält, weil ganz viel der Aktivitäten einfach durch den Intendanten Stefan Bachmann und seine Leute, wie Dramaturg Thomas Lau angestoßen worden sind. Das wäre wichtig, dass die hier ein Standbein behalten und das weiterführen können.“

„Es waren Anschläge gezielt gegen türkische Mitbewohner“

Der Botschafter der Türkei in Deutschland Hüseyin Avni Karslıoğlu, der gemeinsam mit Oberbürgermeister Jürgen Roters das Fest eröffnete sagte bei seiner Ansprache: „Der traurige Anlass, warum wir das hier machen, war der 9. Juni. Der Nagelbombenanschlag des NSU. Dabei wurden vier Menschen schwer verletzt und viele andere verletzt. Das ist der Anlass und das darf man nicht vergessen. Das diese Menschen gelitten haben und immer noch leiden. Man kann sich das an diesem Ort gar nicht mehr vorstellen, dass hier dieser rassistische Anschlag begangen wurde. Das friedliche Zusammenleben in Köln, in ganz Deutschland wurde einfach beschädigt. Wir konnten es und wir möchten es nicht glauben, aber es ist eine Tatsache. Es wurde nicht zufällig die Keupstraße gewählt. Es war ein gezielter Anschlag auf die friedlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und von allen Farben die hier leben. Das friedliche Zusammenleben wollte man beschädigen und Deutschland durfte das nicht zulassen. Man wurde aber durch die Keupstraße nicht klüger, sondern danach kamen die acht NSU Morde, die gegen türkischstämmige Menschen verübt wurden. Es war nicht gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Es waren Anschläge gezielt gegen türkische Mitbewohner. Es wurden nicht italienische, griechische oder spanische oder russische Menschen gewählt, es wurden Türken gewählt. Die hier lebten, die hier wohnen und die in ganz Deutschland seit Generationen wohnen. Die sich hier wohl fühlen, so wie mein Vater. Der ist auch Deutsch-Türke. Der fühlt sich auch wohl hier. Man wollte das zerstören und das muss auch beim Namen genannt werden. Deutschland darf hier nicht zusehen und es hinnehmen. Es waren rassistisch motivierte Menschen die die Taten begangen haben und das wollen wir jetzt alle gemeinsam bekämpfen. Das Wir-Gefühl müssen wir wieder neu entdecken, so wie hier bei Birlikte. Aber wir müssen das auch kräftig zeigen gegen Rassismus, Faschismus und gegen alle Vorurteile. Das haben auch die letzten Wahlen in Europa gezeigt. Für mich gibt es Menschen und Menschenwürde, keine Rasse zu bewahren, wie John Lennon es gesagt hat.“

Norbert Fuchs, Bezirksbürgermeister von Köln-Mülheim: „Diese Straße und dieser Stadtteil Mülheim sind genau der richtige Ort um bundesweit heute hier an Pfingsten ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für Versöhnung. Ein Zeichen für Solidarität und ein Zeichen für ein friedliches Miteinander. Gleichzeitig auch ein Ort des Gedenkens. Wir gedenken der Opfer des Nagelbombenanschlags und wir gedenken der Opfer des NSU-Terrors. Wir wollen Birlikte und Zusammenstehen auch in der Zukunft. Es soll kein gegenwärtiges Zusammenstehen sein, sondern es muss in die Zukunft gerichtet sein. Und da bin ich zuversichtlich, dass uns dies hier auf der Keupstraße und in Mülheim und in ganz Köln gelingt.

Lernen miteinander zu leben

Stefan Bachmann, Intendant des Kölner Schauspiels: „Das war der Opener. Heute hier das Kunst- und Kulturfest und morgen die große Kundgebung nebenan. Das ist ein absoluter Wahnsinn. Wir dürfen nicht vergessen warum wir hier sind. Diese Straße ist verwundet worden. Nicht nur durch das Bombenattentat selbst, sondern durch die Stigmatisierung der Opfer, durch das Umdeuten der Opfer zu Tätern. Wir gedenken heute, aber wir feiern auch, weil wir daran glauben, dass es eine Zukunft gibt. Wir müssen auch lernen miteinander und nicht nebeneinander zu leben. Wir vom Schauspiel sind nebenan. Es war uns ganz wichtig uns hier auch einzubringen und mitzumachen um genau das vorzuleben, dass wir miteinander leben und das wir uns aufeinander zubewegen. Heute ist ein Symbol. Morgen ist es ein noch viel größeres Symbol, aber Dienstag geht es erst richtig los.“

Meral Sahin von der IG Keupstraße: „Dieses Fest bedeutet uns und dieser Straße wahnsinnig viel. Um Euch einen Eindruck zu vermitteln, was es bedeutet für die Menschen, die hier in den letzten zehn Jahren gelebt haben, ist dies heute überwältigend und es ist wunderschön. Ich bin stolz darauf, dass es so geklappt hat. Gerade dieses Fest, wie es heute ist, das ist das wichtigste. Ihr seid hier auf der Keupstraße, nicht wegen der großen Namen, sondern wegen dieser Sache. Diese Sache ist Herzblut, ist Menschlichkeit und ein Zeichen gegen Rassismus. Ich möchte Euch alle hier umarmen und Euch das Gefühl geben, wie herzlich ihr alle eingeladen und willkommen auf dieser Straße seid. Wir werden neue Seiten aufmachen, für die Keupstraße. Alle gemeinsam werden wir gegen Vorurteile arbeiten, das versprechen wir als Keupstraße. Genießt diese Straße, diese Straße hat so große Sachen für Euch zu bieten. Bleibt und kommt uns auch nach dem großen Fest besuchen. Habt keine Angst, die wollen wir auch abbauen. Genau diese Angst wollen auch wir abbauen.

Auch Kölns Oberbürgermeister betonte das friedliche Zusammenleben und dass ganz Deutschland auf Köln sehe und rief den Menschen zu: „Die Keupstraße ist mitten in Köln“. Als Zeichen für den Frieden, ließ man weiße Tauben fliegen.

Zuhören und viele offene Fragen

Neben den Feiern und Genüssen, die die durch die Straße pilgernden Menschen erlebten, gab es in den Hauseingängen Lesungen aus Ermittlungsprotokollen und im ISS-Bildungszentrum in der Genovevastraße erzählten die Opfer und Ihre Anwälte vom Anschlag, der Zeit danach und den Ermittlungen, die bis heute andauern. Der kleine Raum, war randvoll mit Menschen als Reinhard Schön mit seinen Mandanten vor das Mikrofon tritt. Es ist brütend heiß, die Luft zum Schneiden, immer wieder dringt fröhliche Musik von draußen herein. Drinnen merkt man, der Anschlag und das Durchlittene ist noch nicht vorbei. Die Entschädigung von 5.000 bis 17.000 Euro für die Opfer, die die Anwälte Reinecke und Schön vertreten, werden als zu gering eingestuft. Schön kritisiert vor allem die Ermittlungen, spricht von Ermittlungspannen. Etwa das Zeuge M erst neun Jahre nach dem Anschlag vernommen wurde und dass obwohl der den Anschlag hautnah mitbekam. Dass Polizeibeamte vor Ort waren und später behaupteten, sie hätten nichts mitbekommen. Eines der Opfer beschrieb, wie man mit den Opfern nach dem Anschlag umgegangen war. Erst nach anderthalb Stunden sei man in die Klinik gebracht worden. Danach sei man sechs bis sieben Stunden verhört worden, habe sich nackt ausziehen müssen. Ein Raunen geht durch den kleinen stickigen Raum. Am 23.11.2011 habe man dann von Bundespräsident Wulff einen Brief erhalten und später einen von Gauck, nachdem man in Berlin gewesen war. Beide Briefe habe man aber eher als komisch, denn als Entschuldigung empfunden. Anwalt Schön hält viele Fragen im NSU Prozess für nicht geklärt. Dass der Mitangeklagte im NSU Prozess Emminger auf freiem Fuß sei, irritiert den Anwalt. Vor allem sei Emminger am 8.6.2004 mit einem LKW nach Euskirchen gefahren und am 9.6.2014 wieder weggefahren. Schön möchte wissen, was Emminger in dem LKW transportiert hat. Etwa die Fahrräder die die Täter beim Nagelbombenanschlag benutzt hatten? Schön ärgert aber auch, dass die Politik und Verwaltung sich eigentlich bislang nur medial entschuldigt hätten, aber es keine Prozesse vor Verwaltungsgerichten gegeben habe. Es sind noch viele Fragen offen, merkt man, wenn man den Rechtsanwälten aus dem NSU-Prozess zuhört.

Auf der Straße geht das Fest derweilen unvermindert weiter, Bands spielen, Einzelkünstler am Klavier an der kleinen Bühne mitten in der Straße. Und wenn dann alle gegessen und viel Ayran getrunken haben, kommt ja vielleicht auch noch der ein oder andere Dialog zu Stande in der Straße, die jetzt mitten in Köln liegt.

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Autor: Andi Goral
Foto: Weiße Tauben zum Beginn des Kunst- und Kulturfestes