Berlin | aktualisiert | Nach dem mutmaßlichen Abschuss eines Passagierflugzeugs in der Ukraine fordern erste Politiker, die Fußball-WM 2018 von Russland nach Deutschland zu verlegen. In der „Bild“ (Donnerstag) erklärte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Außenexperte Karl-Georg Wellmann: „Man kann die Fußball-WM an kein Land vergeben, das andere Staaten mit Krieg überzieht. Deutschland wäre als amtierender Weltmeister natürlich als alternativer Austragungsort geeignet, am besten im Verbund mit Polen und der Ukraine, die haben ebenfalls moderne Fußballstadien.“

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs erklärte, „Deutschland weiß, wie man solche Großereignisse veranstaltet“. Auch in der SPD gibt es Zustimmung zu einer WM 2018 in Deutschland. Die sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Michaela Engelmeier-Heite, sagte der Zeitung, es wäre gut, „wenn Deutschland bereitstände und in der Lage wäre, die WM zu übernehmen – falls die Fifa Russland die WM entzieht“.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der bayerischen Grünen, Dieter Janecek betonte: „Lieber ein deutsches Sommermärchen 2018 als Putin-Propaganda-Spiele.“ Selbst beim DFB gibt es offenbar große Zweifel, ob Russland für die WM noch der geeignete Austragungsort ist. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte der „Bild“, man beobachte „mit sehr großer Sorge die politische Entwicklung in Russland, die bei der Vergabe der WM im Dezember 2010 so nicht absehbar war“.

Sportpolitik-Professor: Debatte über WM-Verlegung nicht zielführend

Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln, hält die innerdeutsche Debatte über eine mögliche Boykott-Drohung oder Verlegung der Fußball-WM 2018 in Russland für nicht zielführend. „So richtig die Beobachtung ist, dass der Sport im Allgemeinen und Sportgroßveranstaltungen im Besonderen nie unpolitisch, sondern angesichts ihrer medialen und öffentlichen Resonanz immer auch Verstärker gesellschaftlicher und politischer Interessen sind, so falsch ist eine einfache Instrumentalisierung des Sports durch die Politik“, sagte Mittag „Handelsblatt-Online“. „Die weitgehend wirkungslosen Boykotte der Olympischen Spiele 1976 bis 1984 haben gezeigt, dass der Sport kein Austragungsort für Konflikte der internationalen Politik sein kann.“

Gleichwohl stellten Sportgroßveranstaltungen „eine globale Bühne dar, die auch den Resonanzboden für öffentliche Debatten bilden“, sagte Mittag weiter. „Gefordert ist deswegen eine Politik mit Augenmaß, die längerfristige Entwicklungen, aber auch die Verantwortung der Sportorganisationen berücksichtigt.“ Jetzt eine Entscheidung über die WM 2018 zu treffen, wäre hingegen verfrüht, fügte der Sport-Professor hinzu.

„Gefordert sind aber auch die internationalen Sportorganisationen, die bei ihrer Vergabepolitik stärker als bisher den Blick auch auf die politischen, humanitären und sozialen Bedingungen in den Austragungsstaaten zu richten haben.“ In den vergangenen Tagen waren Forderungen nach einem Boykott der Weltmeisterschaft 2018 in Russland laut geworden. Mehrere deutsche Politiker hatten eine Verlegung des Turniers nach Deutschland ins Gespräch gebracht.

Mittag wies darauf hin, dass solche Vorstöße, aber auch Überlegungen zu einem Boykott von Sportereignissen in den vergangenen Jahren „geradezu reflexartig erfolgt“ seien, wenn ein internationales Sportgroßereignis in einem politischen Konfliktherd angestanden habe. „Dies ist im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass die großen internationalen Sportorganisationen wie Fifa oder IOC Sportgroßveranstaltungen vorzugsweise an wirtschaftlich dynamische Wachstumsmärkte vergeben, die politisch jedoch nicht in vollem Umfang den demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben des Westens entsprechen“, erläuterte der Wissenschaftler.

Autor: dts