Köln | Amy Winehouse wartet schon, ihr folgen Lemmy Kilmister, David Bowie und Prince in eine Art Vorhölle. In „Heroes“ bietet das Orangerie-Theater den Ausnahme-Stars eine letzte Bühne, einen Ort der Reflexion und Selbstinszenierung.

Die meisten Flaschen sind schon leer. Sie dienen Amy Winehouse (Bibiana Jiménez) als Stütze, mit der sie über die kreuzförmige Bühne kriecht. Wer früher stirbt, ist länger tot. Doch lange bleibt Amy nicht alleine: Nach und nach werden die Ikonen Lemmy Kilmister, Sänger der Rockband Motörhead, David Bowie und Prince zum Leben erweckt. Die Trockenhaube bringt sie direkt in die Vorhölle. Sie tragen Tour-Badges, „Welcome to Hell“ steht darauf.
Regisseurin Andrea Bleikamp, von der auch das Konzept stammt, hat ein Gesamtkunstwerk entwickelt: Sie lässt die vier so verschiedenen Ausnahmekünstler für eine letzte Revue auftreten. Anhand von Originalzitaten (Text: Charlotte Luise Fechner) wird deutlich, was sie vereint: Sie alle streben auf der Bühne ganz nach vorne, sie vergleichen ihre Trauerfeier, wollen, dass die Nachwelt sich an sie erinnert. An welchen Ort bringen Fans die meisten Blumen? Die vier Musiker haben über ihre Lebenszeit hinaus andere Künstler beeinflusst, haben ganze Generationen geprägt und so trauernde Fans hinterlassen. „Kann man jemanden vermissen, den man nicht kennt?“, gibt Lemmy Kilmister zu bedenken.

Die vier Darsteller leben ihre Rollen

Der Rockstar (Tomasso Tessitori), Cowboy-Boots, Jeansweste, lange Haare, ist die wohl nachdenklichste Figur, von ihm stammen viele leise, nachdenkliche Töne. David Bowie (Fabian Ringel), Starman-Blitz im Gesicht, enge, schwarz-weiß gestreifte Hose, silberne Schuhe, glänzender Blouson, ist dagegen erstaunlich frech und aggressiv. Prince (Torsten-Peter Schnick), ganz der androgyne Exzentriker, trägt über dem asymmetrischen Glitzertop eine Fransenjacke, dazu eine rot-schwarze Schlaghose (Ausstattung: Claus Stump). Amy Winehouse hatte von allen in der Vorhölle Anwesenden das kürzeste Leben und hat sich am wenigsten öffentlich geäußert. Deshalb verkommt sie in „Heroes“ leider zur aufräumenden Nebendarstellerin.
Die vier begeben sich durch ihre Texte und Interviewausschnitte auf eine Reise zu sich selbst und beginnen zu reflektieren – über Erfolg, Ruhm, Drogen, Alkohol. Natürlich kommt auch die Musik nicht zu kurz. „Kiss“ von Prince, „Back to Black“ von Amy Winehouse, ein letztes Mal die großen Hits der ehemals großen Stars. Die vier Darsteller leben ihre Rollen, sie nutzen den gesamten Raum, springen von vorne nach hinten, tanzen mit dem Publikum und verteilen Schnaps.

Am Ende finden sie ihre letzte Ruhe

Zum postdramatischen Gesamtkunstwerk gehören aber auch die Videoinstallationen von Jens Standke. Manche Episoden, etwa von einem Videospiel über Amy Winehouse‘ Drogenkonsum, ergänzen das Geschehen. Andere – so ein Filmausschnitt aus „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ (1978) – erweitern die Inszenierung und verleihen ihr eine zweite Ebene, wenn Marlene Dietrich als Baroness von Semering in dem Film sagt: „Champagner? Dom Perignon, mein Lieblingschampagner. Tanzen, Musik, Champagner – die beste Möglichkeit zu vergessen, bis man wieder etwas findet, an das man sich erinnern möchte.“
Vergessen sind die Musikidole noch lange nicht. Nicht nur die Videos, auch die einfallsreiche Inszenierung des Lichts (Peter Behle) und witzige Ideen, etwa die bunt leuchtenden Eiswürfel, zeugen vom modernen Anspruch des Ensembles. Vier Stars haben ihren letzten Auftritt, bis keiner sie mehr sehen kann – und sie wirklich ihre letzte Ruhe finden dürfen.

„Heroes“ – die nächsten Vorstellungen: 24., 25., 26. und 27. Januar, 20 Uhr. Orangerie-Theater im Volksgarten, Volksgartenstr. 25, 50677 Köln, Tel. 0221 / 952 27 09.

Autor: Fabian Schäfer | Fotos: Meyer Originals
Foto: Fabian Ringel, Torsten-Peter Schnick, Bibiana Jiménez, Tomasso Tessitori (v.l.): Sie kämpfen selbst auf der kleinen Bühne um die erste Reihe.