Köln | 7. November 1918 und 7. November 2018 jeweils 19 Uhr. Dazwischen liegen 100 Jahre und die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland. Der Kölner DGB lud ins Forum VHS im Rautenstrauch-Joest Museum zur Veranstaltung „Erkämpfte Demokratie-Gefährdete Demokratie 100 Jahre Novemberevolution“. Es sprach unter anderem Heribert Prantl und forderte die rund 300 Gäste auf sich etwas zu trauen und die Zukunft zu gestalten, denn nicht das Rad der Geschichte entscheide darüber wie die Zukunft aussehe sondern alleine der Mensch.

Der 7. November 1918 in Köln

Die „Rheinische Zeitung“ berichtete am 8. November 1918 unter dem Titel „Die Volksbewegung in Köln“ über den Revolutionsabend. Der Kölner DGB-Vorsitzende Witisch-Rossmann las vor: „Ueber Nacht hat nunmehr die Sturmflut der Revolution auch Köln ergriffen! Seit heute morgen wird Köln von revolutionären Truppen beherrscht, die die Stadt in kleinen und größeren Gruppen durchziehen. Bereits am gestrigen Nachmittag konnten aufmerksame Beobachter des Kölner Straßenlebens merken, daß sich in den Hauptverkehrsstraßen auffällig viele Soldaten zu Gruppen vereinigten und zum Bahnhofsvorplatz zogen. Von unbekannter Seite war in der Stadt ein Gerücht verbreitet worden, wonach Abgesandte des Kieler Arbeiter- und Soldatenrats abends in Köln eintreffen würden, um ihre gefangenen Kameraden im Kölner Festungsgefängnis zu befreien. Mit den zunehmenden Abendstunden wuchs die Menge vor dem Hauptbahnhof mehr und mehr an. Das Hauptkontingent der Versammelten stellten unbewaffnete Soldaten. Gegen 7 Uhr abends rückte eine Kompanie Infanterie, die Maschinengewehre bei sich führte, feldmarschmäßig ausgerüstet, zum Bahnhofsvorplatz, um die Kieler Revolutionäre dort mit Waffen zu erwarten. Durch diese verkehrte Maßnahme wuchs die Erregung unter der Menge ungeheuer: auch eine nachträgliche Anordnung des Gouvernements der Festung Köln, durch eine sofortige Zurückziehung des Militärs befohlen wurde, konnte die weitere Entwicklung der Dinge nicht mehr aufhalten. Die Kieler Abgesandten waren inzwischen eingetroffen und mischten sich unter die Menge. Gegen 11 Uhr nachts waren die Ansammlungen derart stark geworden, dass der Verkehr am Hauptbahnhof nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Der Vorsitzende des Sozialdemokratischen Vereins, Stadtverordneter Sollmann, ergriff in der Bahnhofsvorhalle vor einer tausendköpfigen Menge das Wort und ersuchte die Versammelten eindringlich, Ruhe und Ordnung zu bewahren und ruhig auseinanderzugehen. Jubelnden Beifall fand Sollmann, als er das Ultimatum der sozialdemokratischen Parteileitung, in dem die Abdankung des Deutschen Kaisers und des Kronprinzen gefordert wird, bekannt gab. Für die unabhängige Sozialdemokratie sprach Hecker: er forderte gleichfalls zur Ruhe auf und gab bekannt, dass am heutigen Vormittag auf dem Neumarkt neue Kundgebungen stattfinden sollen. Der Aufforderung zum Auseinandergehen kam die erregte Menge nicht nach; unter Hochrufen auf die soziale Republik durchzogen während der Nacht starke Trupps das Stadtinnere und befreiten sämtliche Kölner Militär- und Zivilgefangenen.“

Am nächsten Tag fanden in Köln auf dem Neumarkt um 9 Uhr große Kundgebungen statt. Unter anderem wurde die Entscheidung des Gouverneurs der Festung Köln begrüßt, der die Freilassung aller politischen Gefangenen zustimmte. Gegen 11:30 Uhr fanden in allen größeren Sälen der Stadt Versammlungen statt, auch im Kölner Gürzenich. Dort wurden Arbeiter- und Soldatenräte gewählt.

Prantl übersetzt ins Jetzt

Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ und Leiter des Meinungsressorts, zeigte die Entwicklungen in München auf und skizzierte vor allem die Person Kurt Eisners, der in München die Novemberrevolution anführte und Bayern zum Freistaat machte. Er war der erste Ministerpräsident Bayerns und wurde vom Mitglied des Königlich Bayerischen Infanterie-Leib-Regiment Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. Prantl zeigte auf, dass die Bilanz der Novemberrevolution und der darauf folgenden 15 Jahre Demokratie nicht schlecht sei, vor allem wenn man die Verfassung der Weimarer Republik betrachte. Sie brachte nicht nur das soziale Deutschland hervor sondern vor allem das Frauenwahlrecht. Prantl stellte dazu fest: „Gleichberechtigung fällt nicht vom Himmel, sie braucht Gesetz und Quote“.

Prantl stellte heraus, dass für ihn die Behauptung die Novemberrevolution habe den Boden für die Hitlerdiktatur bereitet, eine falsche Interpretation sei und zu Unrecht der Revolution zugeschrieben werde. Es seien aber die Mehrheitssozialisten und ihr Handeln gewesen, die sich als Konkursverwalter des alten Regimes verstanden und etwa im Staatsapparat an den alten Kameraden festhielten und damit mehr Verantwortung an der weiteren historischen Entwicklung tragen. Prantl: „Die Weimarer Verfassung hatte nicht die Nazidiktatur im Schoß.“ und weiter „Hitler ist keine Folge oder Kollateralschaden der Revolution sondern ein Ziehkind der Inflation der 20er Jahre“.

Dass die Novemberevolution und damit die Begründung der ersten deutschen Demokratie nicht gebührend gefeiert und größer begangen werde, kritisierte Prantl und begründete dies damit, dass sie die Grundlage des deutschen Sozialstaates sei. Die Sozialversicherung, die Arbeitsgerichtsbarkeit oder das in der Verfassung festgelegt ist, dass Eigentum verpflichte, gründen auf der Revolution von 1918. Sozialstaat und Demokratie gehören für Prantl zusammen. Der beklagt zudem, dass die Begrifflichkeit Solidarität heutzutage inflationär verwendet werde und fordert eine neue Konkretion des Begriffs.

Für Prantl haben sich die Menschen 1918 etwas getraut, genauso wie die 1989, als die Mauer fiel. Die ständige Lehre für ihn sei: „Trauen wir uns. Nicht der Fatalismus ermöglicht Populismus sondern Phlegma“. Es sei, so Prantl wichtig, zu verstehen, dass Zukunft geformt werde und nicht schicksalhaft zu begreifen sei. Die populistischen Kräfte hätten das schon lange begriffen. Debatte insbesondere sich den aktuellen Gefährdungen der Demokratie widmen.

Autor: Andi Goral
Foto: Der Kölner DGB-Chef Witich-Rossmann führte in den Abend ein