Köln | Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi sprach im Senatshotel gegenüber des Kölner Kommunalparlaments dem Spanischen Bau. Innenstadt statt Porz oder Frechen, denn dort wurden die Veranstaltungen untersagt, beziehungsweise der Saalbesitzer kündigte den Vertrag. Rund 300 Menschen waren ins Kölner Senatshotel gekommen. Alle Reden waren in türkischer Sprache, eine Übersetzung gab es nicht. Statt Türkei, Türkei-Rufen skandierte man nach der Werbung für das Präsidialsystem, den Namen des Präsidenten: Recep Tayyip Erdogan.

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Es ist kurz nach 18 Uhr. Die Kölner Polizei ist mit einer Hundertschaft rund um das Senatshotel aufgezogen. Informiert über die Besuche der türkischen Minister werde man nicht, erklärte eine Sprecher der Polizei. Es finden sich Gegendemonstranten ein, sie werden auf die gegenüberliegende Straßenseite gebracht, die Polizei baut einen lockere Sperre mit Beamten auf. Die Gegendemonstranten mahnen Demokratie in der Türkei und Freiheit für die 155 inhaftierten Journalisten an. Einzelne Demonstranten sprechen die an, die zur Veranstaltung der UETD streben. Die Atmosphäre auf dem Laurenzplatz ist schnell vergiftet, die Fronten sofort verhärtet, man beschimpft sich und wirft sich gegenseitig vor, dass weder in Deutschland noch der Türkei Demokratie herrsche. Das irritiert vor allem spätestens dann, wenn der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi ans Mikrofon tritt und indirekt Wahlkampf für die Verfassungsänderung in der Türkei macht.


Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi bei seiner Rede im Kölner Senatshotel

Der Minister kam aus Leverkusen, wo er eine Kulturveranstaltung begleitete und zum Schluss ein Grußwort sagte. Die Veranstaltung wurde vom türkischen Staatsfernsehen TRT übertragen. Zeybekçi spricht in Köln leise, wenig aufpeitschend, eher staatstragend und süffisant. Alle Reden sind vollständig in türkischer Sprache, es geht schließlich um den Wahlkampf in der Türkei. Emotional wird es im Saal immer dann, wenn der Name Erdogan skandiert wird. Zu Beginn wurde die türkische Nationalhymne gesungen, nachdem eine Koransure vorgetragen worden war. In der Türkei hatte der türkische Staatspräsident zuvor Deutschland “Nazi-Prakltiken” vorgeworfen, weil seine Minister nicht sprechen dürften. Nihat Zeybekçi stattdesssen bedankt sich dafür in Deutschland sprechen zu dürfen, allerdings mit einem süffisanten Unterton. Zentrale Punkte sind Wirtschaftsthemen, wirtschaftlicher Erfolg, die Auseinandersetzung um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker und Minister. Die AKP-Anhänger im Saal rufen nicht mehr den Namen ihres Heimatlandes, sondern nur noch ihres Präsidenten Erdogan. Nach rund eineinhalb Stunden reist der Minister wieder ab. Mit eigener Limousine und eigenem sehr umfangreichen Begleitsicherheitsteam. Die Kölner Polizei steht daneben und sieht zu. Als der Minister fährt, gibt es keinen Gegenprotest mehr, wie bei seinem Eintreffen.

Streit um Wahlkampfauftritte: Grüne und Linke für EU-Koordination

Im Streit um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland haben Grüne und Linke eine stärkere Absprache zwischen EU-Staaten gefordert. „Die EU-Staaten mit größerem Anteil türkischer Staatsbürger sollten untereinander koordiniert vorgehen“, sagte Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir der „Welt“. Außerdem sollten „alle demokratischen Parteien sich an die in ihren Ländern lebenden Türken richten und sie auffordern, bei dem Referendum für die Demokratie und gegen die Errichtung einer Diktatur zu stimmen“.

Angesichts der Bedeutung der Stimmen aus der EU für das Referendum in der Türkei könne dies ein wirksamer Beitrag dazu sein, ein klares Stoppsignal zu senden, sagte Özdemir. „Wer Erdogan und sein Agieren in der EU stoppen will, der muss jetzt alles dafür tun, dass er an den Wahlurnen in der Türkei in die Schranken gewiesen wird – mit einem klaren Nein zu seinen Sultanatsträumen.“ Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, sagte der „Welt“: „Ein gemeinsames Vorgehen der EU wäre wichtig, um den politischen Druck auf Erdogan zu erhöhen. Dazu zählen unter anderem ein Stopp der Waffenexporte und ein Einfrieren der Vorbeitrittshilfen.“ Zudem müsse Deutschland „sofort die Bundeswehr aus Incirlik abziehen“. Ein Verbot der Wahlkampfauftritte hält Bartsch hingegen für unangebracht.

„Eine klare Aussage der Bundesregierung, dass diese Auftritte nicht erwünscht sind, wäre das richtige Zeichen.“ Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hatte sich in der „Welt am Sonntag“ für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker ausgesprochen. „Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU, um solche Wahlkampfauftritte zu verhindern, wäre sinnvoll“, sagte Kern. Damit könnte verhindert werden, dass einzelne Länder wie Deutschland, in denen solche Auftritte untersagt würden, unter Druck der Türkei gerieten.

Kauder: Erdogans Nazi-Vergleich „unglaublich und nicht akzeptabel“

Volker Kauder, der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU, hat die Vorwürfe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wonach Deutschland Nazi-Methoden angewandt habe, als die Auftritte türkischer Politiker gestoppt worden seien, scharf kritisiert: „Das ist ein unglaublicher und nicht akzeptabler Vorgang, dass der Präsident eines Nato-Mitgliedes sich so über ein anderes Mitglied äußert“, sagte Kauder im „Bericht aus Berlin“. „Und vor allem einer, der mit dem Rechtstaat ja erhebliche Probleme hat.“ Am Samstag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch mit Ministerpräsident Binali Yildirim telefoniert, doch zu einer Beruhigung der deutsch-türkischen Beziehungen hat das offenbar nicht beitragen können: „Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand Erdogan im Augenblick deeskalieren kann“, so Kauder.

„Der hat nur seine Idee im Kopf, sein Präsidialsystem durchzusetzen und man merkt aus seiner Reaktion, dass er durchaus ja auch die Sorge hat, verlieren zu können, und deswegen reagiert er so.“ Ein Auftrittsverbot für türkische Politiker in Deutschland lehnt Kauder weiterhin ab: „Ich bleibe aber dabei, dass wir genau nicht in diese Falle tappen dürfen, dass wir das jetzt machen, was Erdogan macht – nämlich Grundrechte zu beschneiden.“ Allerdings mahnt er mit Blick auf einen möglichen Auftritt von Erdogan in Deutschland: „Wenn weiter solche Formulierungen kommen, dann muss das schon auch zu der Reaktion führen, um klar zu sagen, das dulden wir auf deutschem Boden nicht.“

Die Linken-Bundestagesabgeordnete Sevim Dagdelen bekräftigte im „Bericht aus Berlin“ ihre Forderung nach einem Auftrittsverbot für türkische Regierungsvertreter. „Wir dürfen als Demokratie nicht zuschauen, wenn einfach eine Demokratie abgeschafft wird und eine Diktatur errichtet wird“, betonte sie. „Meinungsfreiheit beinhaltet nicht die Freiheit für die Einführung der Todesstrafe, gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland sozusagen zu hetzen. Und Deutschland zu einer Wahlkampfarena der türkischen Regierung zu machen, wo die Opposition gleichzeitig in der Türkei in den Foltergefängnissen eingekerkert ist.“ Erdogans Nazi-Vergleich kritisierte Dagdelen als „eine ungeheuerliche Verharmlosung des deutschen Faschismus“ und als eine Verhöhnung der Opfer. „Und wenn etwas hier irgendwie an den früheren Faschismus erinnert, dann ist das doch die Methode Erdogans: Nämlich Journalisten, Presse und auch die Opposition auszuschalten. Seine Gewaltpolitik und gleichzeitig auch die Säuberung des Staatsapparates und seine Hetztiraden.“

Autor: Andi Goral, dts
Foto: Gegenprotest beim Wahlkampauftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekçi im Kölner Senatshotel