Das erfolgreiche Broadway-Musical „Chicago“ ist erstmals in der englischsprachigen Inszenierung in Köln und Düsseldorf auf der Bühne.

Köln | „Chicago“ zählt nach dem „Phantom der Oper“ zu den längsten am New Yorker Broadway laufenden Musicals aller Zeiten. Seit 22 Jahren begeistert es am Big Apple seine Fans. 31 Millionen Zuschauer haben das Stück in den 30.000 Vorstellungen bislang weltweit gesehen. Dabei tat es sich in der Originalinszenierung von John Kander, Fred Ebb und Bob Fosse 1975 zunächst schwer. Schon zwei Jahre nach der Premiere fiel der Vorhang scheinbar zum letzten Mal.

Mit einer Premierenkritik von Andi Goral: Chicago am Rhein feiert „Chicago – The Musical“

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Chicago am Rhein feiert „Chicago – The Musical“

PREMIERENKRITIK von Andi Goral | OK, mit „Chicago am Rhein“ assoziiert Köln eigentlich eine andere Story rund um die Friesenstraße in den 1960er Jahren, aber die Zeile passt doch: Noch bis zum 16. Juni ist das großartige Musical „Chicago“ im Musical Dome direkt am Rhein zu sehen, zu spüren und zu bejubeln. Und dieses Mal ist es das Original, sogar vom Broadway. Begeistert feierte das Premierenpublikum am Mittwoch „Chicago – The Musical“ und die Geschichte von Roxie Hart in der Gangsterstadt Chicago der 1920er Jahre in den USA – der Stadt die damals als die Gangsterstadt galt. Neid, Eifersucht, Gier, Wollust, Sex, Betrug und Verrat öffentlich ausgebreitet. Kaum vorstellbar, wenn es damals schon soziale Medien gegeben hätte. Aber gerade aus diesem Grund lebt das Stück auch Aktualität: wenn Roxie Hart nach den Pressefotografen giert, nach ihrem Bild in den damals boomenden Zeitungen, dem Medium der Zeit. Heute würde sie sich bei Instagram oder Youtube inszenieren und zwar um jeden Preis. „Chicago – The Musical“ ist Unterhaltung und Boulevard pur. Rasant und opulent, witzig und charmant, mit einem Augenzwinkern und für alle Fans des swinging Jazz der 1920er Jahre ein Muss. Das Orchester und Dirigent Bryan Schimmel, der auch mal in die Rolle des Erzählers schlüpft, sind Augen- und Ohrenschmaus, hinreißend und grandios. Band und Bandleader leben die Phrase vor: There is no business like showbiz.

Überhaupt sind die Akteure auf der Bühne überragend. Craig Urbani, der Star-Anwalt Billy Flynn mimt, ist die Verkörperung des eleganten und galanten American Gentleman wie aus dem Bilderbuch. Mit weißer Einsteckrose könnte er als Late-Night-Talker mit Millionenpublikum durchgehen. Seine Bühnenpräsenz und Stimme immens.

An Samantha Peo, die die Velma Kelly singt und spielt, kann man sich weder satt sehen noch hören. Mit allen ihren Sinnen setzt sie den – nennen wir es modern Bitch-Fight – mit ungeheurer Bühnenpräsenz um und wenn ihre Stimme so richtig dreckig wird, stellen sich die kleinen Härchen die zur Gänsehaut gehören auf. Was für eine Stimme! Ihre Duette mit Carmen Pretorius in der Hauptrolle der Roxie Hart gehören zu den absoluten musikalischen Höhepunkten der Glamourshow. Ilse Klink als Mama Morton ist da nur noch das Sahnehäubchen oben auf. Mit seiner Interpretation des Stückes „Mr. Cellophane“ setzt sich Grant Towers, der als Amos Hart auf der Bühne agiert, selbst ein Denkmal und schreibt sich ins Gedächtnis und Herz der Premierenbesucher ein. Die Tänzerinnen und Tänzer sind nicht nur sexy sondern das Beste was seit langem auf der Bühne im blauen Zelt stand. Exakt getaktet wie ein Schweizer Uhrwerk, kreativ in der Choreografie und fulminant inszeniert. Da war jede Bewegung, jedes Detail auf dem Punkt. Am Ende belohnt das Kölner Publikum Show und Darsteller mit langanhaltendem Jubel. Zu Recht. Wer rasante, sexy inszenierte, coole Musik und Ausnahmedarsteller derzeit im Chicago am Rhein sehen will der ist im Musical Dome bei „Chicago – The Musical“ richtig.

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Chicago – The Musical

Das Comeback im November 1996 verdankt das Stück um zwei junge, attraktive Mörderinnen im Chicago der goldenen 20er Jahre der renommierten Tänzerin und Choreografin Ann Reinking, die die Inszenierung ihres Mentors Fosse überarbeitete und erneut in New York auf die Bühne brachte. Zahlreiche Auszeichnungen folgten, für den deutschen Musicalstar Ute Lemper war es der internationale Durchbruch am Broadway. Jetzt feiert das Stück im Kölner Musical Dome seine Premiere. Ende des Monats gibt es ein weiteres Gastspiel im Düsseldorfer Capitol Theater.

„Ich habe das Genie Fosse schon zu einem frühen Zeitpunkt meiner Karriere getroffen. Bereits als Kind kannte ich seinen Namen und den seiner Frau, die in vielen populären Fernsehshows aufgetreten sind. Die erste persönliche Begegnung mit ihm hat mein Leben komplett verändert. Jetzt möchte ich diese sehr spezielle Art des Tanzens, für die Fosse steht, an die nächste Generation übergeben“, sagt Reinking.

Fosses Choreografie ist bis auf die kleinste Geste ausgefeilt und prägte Chicago ganz entscheidend. Er selbst war Tänzer in zahlreichen Burlesque-Shows und verbindet in seiner Bewegungssprache Modern Dance mit klassischen Ballett, wobei er für das Musical gekonnt Elemente der Nachtclubtänzerinnen integriert. Einflüsse bei Fosse kamen auch von Fred Astaires Stepptanz und von verschiedenen Sportarten. Zu seinem Stil gehören eigenwillige Elemente wie gespreizte Finger, wiegende Hüften, nach innen geknickte Beine, das typische Schulterrollen gepaart mit einer alles durch strömenden Sinnlichkeit.

Die Art des Tanzens sei für alle Tänzer eine große Herausforderung, der man sich ohne Angst stellen sollte. „Der Stil von Fosse ist auch in meiner Inszenierung erhalten geblieben. Aber ich habe ihn auf meine Art und Weise umgesetzt. Der Geist der Originalszenen ist dabei erhalten geblieben. Wir haben viel reduziert, das gilt für das Bühnenbild genauso wie für die Kostüme. Und wir haben die Liveband auf die Bühne geholt“, sagt Reinking.

Wenn man sie nach den Gründen fragt, warum das Stück seit 22 Jahren am Broadway ein Erfolg ist, fallen der früheren Primaballerina gleich mehrere Gründe ein: „Wir hatten immer ein sehr gutes Ensemble mit sehr guten Solisten und die Geschichte des Musicals ist wirklich gut. Es ist wichtig, dass die Darsteller wirklich daran glauben. Dazu kommt das Genie Fosse und die Musik aus dem Chicago der 20er Jahre. Es ist die Symbiose von Text, Musik und Bewegung, die das Musical ausmacht. Auch die Verfilmung von Chicago hat anders als bei vielen anderen Musicals dem Stück wirklich geholfen. Jetzt geht Chicago mit jungen Tänzern auf eine internationale Tour“, freut sich Reinking.

Das Musical spielt in den 20er Jahren in der „Gangsterstadt“ Chicago und beruht in der Handlung auf wahren Begebenheiten. Es ist die Geschichte von Roxie Hart, einer Nachtclubsängerin, die kurzerhand ihren Liebhaber erschießt, als dieser sie verlassen will. Roxie landet hinter Gittern und trifft dort die berühmt berüchtigte Doppelmörderin und Tänzerin Velma Kelly. Um einer Verurteilung zu entgehen, engagieren die beiden Frauen den gewieften Anwalt Billy Flynn. Er vermarktet ihre Verbrechen in der Boulevardpresse und sorgt für Schlagzeilen – woraus sich ein raffiniertes, emotionales Dreiecksspiel um große Liebe, Ruhm und Reichtum entwickelt, ausgelöst durch Eifersucht, Gier und Missgunst.

Produzent der erfolgreichen Inszenierung von Ann Reinking ist Barry Weissler: „Ich habe Chicago in den 70ern mit meiner Frau gesehen. Es war direkt die große Liebe zur Idee, den Texten und der Musik des Musicals. Es war mir wichtig, dieses Stück zum Broadway in einer frischen, neuen Version zurückzubringen. Dabei war es zunächst nicht einfach, das Projekt finanziert zu bekommen. Am Ende war es die richtige Entscheidung. Chicago war 15 Jahre am Londoner West Ende und seit 22 Jahren ist es hier am Broadway“, sagt der US-Amerikaner.

In der Originalversion der 70er Jahre habe Fosse zu viel auf die Bühne bringen wollen. „Wir haben das sehr reduziert, um die Geschichte besser erzählen zu können. Chicago ist bis heute ein Spiegel für die Gesellschaft. Alles, was derzeit in der Welt passiert, findet sich in dieser Geschichte“, sagt der Mann, der einst Ute Lemper für die Hauptrolle ausgewählt hat.

[infobox]„Chicago“ ist bis zum 16. Juni zu Gast im Kölner Musical Dome an der Goldgasse. Ein weiteres Gastspiel gibt es vom 25. bis zum 30. Juni im Düsseldorfer Capitol Theater. www.bb-promotion.com/veranstaltungen/chicago-the-musical/

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Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: Stephan Eppinger | Premierenkritik: Andi Goral