Bochum | In knapp zwei Wochen wird die Ruhrtriennale eröffnet. Mehr als 900 Künstler treten dabei in 37 Produktionen auf der Bühne. Seit zwei Jahren ist Heiner Goebbels der künstlerische Leiter der Triennale. Was er sich für die erste Saison des Kulturfestivals unter seiner Regie vorgenommen hat, darüber sprach dapd-Korrespondentin Sandra Hottenrott mit Heiner Goebbels in Bochum.

900 Künstler aus aller Welt

Knapp zwei Wochen vor der Eröffnung der Ruhrtriennale stehen noch zahlreiche Proben für das internationale Kulturfestival ins Haus. Viele der mehr als 900 Künstler treffen derzeit im Ruhrgebiet ein, unter anderem aus den USA, Neuseeland, Israel, Polen und Slowenien, wie Geschäftsführer Lukas Crepaz sagte. Die Darsteller hätten zuvor bereits mehrfach die Spielorte besucht und sich in ihren Heimatländern auf das Festival vorbereitet. Bei der Ruhrtriennale vom 17. August bis zum 30. September werden 37 Produktionen in mehr als 100 Veranstaltungen gezeigt.

Kulturstaatssekretär Klaus Schäfer ist von der Qualität der Darbietungen bereits überzeugt. „Die Ruhrtriennale ist eines der innovativsten und außergewöhnlichsten Kulturfestivals Europas“, betonte Schäfer in Bochum. Heiner Goebbels sei als neuer Intendant für die Spielzeit 2012 bis 2014 die richtige Wahl. Dies bestätige auch die bevorstehende Auszeichnung des 59-Jährigen mit dem Internationalen Ibsen-Preis in Norwegen. Die mit rund 340.000 Euro dotierte Theaterauszeichnung wird Goebbels im September im Rahmen des Ibsen-Festivals im Nationaltheater in Oslo verliehen.

Die Ruhrtriennale verfügt nach Angaben des Veranstalters über einen Etat von rund 13 Millionen Euro. Gespielt wird in Bochum, Bottrop, Duisburg, Essen und Gladbeck. Für die Vorstellungen stehen etwa 45.000 Tickets zur Verfügung. Rund 30 Veranstaltungen sind den Angaben zufolge bereits ausverkauft, darunter das Eröffnungsstück „Europeras 1 & 2“ sowie das Abschlusskonzert „utp“ in der Jahrhunderthalle in Bochum.

Heiner Goebbels: „Die Ruhrtriennale ist eine einmalige Chance“

Heiner Goebbels ist ein gefragter Komponist und der geschäftsführende Direktor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen. Vor knapp zwei Jahren wurde der 59-Jährige zudem mit der künstlerischen Leitung der Ruhrtriennale für die Spielzeit 2012 bis 2014 betraut.

Herr Goebbels, Sie haben für die Ruhrtriennale das Komponieren unterbrochen. Warum war Ihnen das Festival so wichtig?
Goebbels: Das ist eine einmalige Chance. Das kann man nur einmal machen, auch nur für drei Jahre. Da darf man nicht lange überlegen, sonst ist die Chance vorbei. Meine ganze Biographie besteht aus solchen Chancen, die ich wahrgenommen habe – ich bin nie einem größeren Plan gefolgt.

Das ist Ihre erste Saison bei der Ruhrtriennale. Welche Schwerpunkte setzen Sie?
Von außen könnte man meinen, es gäbe einen Schwerpunkt „Tanz“, weil es sehr viele Choreografen im Programm gibt. Aber was sie machen, ist gar nicht unbedingt Tanz. Jerome Bel arbeitet mit Schauspielern, die an dem Down Syndrom leiden. Boris Charmatz mit Kindern und lässt diese daliegen, springen, hüpfen und singen. Anne Teresa de Keersmaker arbeitet intensiv mit einem Chor. Alle arbeiten eher an einem Nachdenken über Bewegung – und lassen die Zuschauer daran teilhaben. Ein anderer Schwerpunkt sind vielleicht Kunstwerke, in denen mehrere Disziplinen aufeinanderstoßen: Zum Beispiel Musik und Tanz, Skulptur und Tanz oder Bildende Kunst und Theater. Mehrere Kunstformen, die gleichberechtigt ihre Konflikte miteinander austragen.

Warum sind Sie so stark an diesen Kombinationen interessiert?
Das ist etwas sehr Persönliches. Wenn mir bei einer Arbeit die Sicherheit ausgeht, sie einordnen zu können, dann ist das, glaube ich, die Arbeit, die mich am meisten interessiert. Mich interessiert es nicht, Kunst in Schubladen zu denken. Eher die Vagheit, das Rätsel, das Geheimnis.

Haben Sie bei den Proben Überraschungen erlebt?
Sehr, sehr viele Überraschungen. Bei der Oper „Europeras 1&2“ von John Cage erlebe ich sie täglich. Am Anfang dachte ich zum Beispiel, dass das Zusammenspiel mehrerer Arien und vieler einzelner Orchesterstimmen aus den verschiedensten Opern vielleicht eine abschreckende und verstörende Dissonanz erzeugen würde. Das ist aber gar nicht so. Die europäische Oper, aus deren historischem Material sich dieses neue Werk speist, hat ein doch relativ überschaubares Formelwesen. Alles klingt so, als wäre es in derselben Tonart.

Warum haben Sie sich für „Europeras“ als Eröffnungsstück entschieden?
Ich habe gar nicht lange darüber nachgedacht. Das Werk beschäftigt mich schon seit vielen, vielen Jahren – auch in der Lehre. Wenn ich mit meinen Studierenden über Musiktheater arbeite, wenn ich die Theatermittel zur Sprache bringe und mit ihnen Projekte zu Licht, Text, Musik und Raum mache. Dann ist dieses Stück eine zentrale Referenz, weil es auf radikale Weise alle Zusammenhänge dem Zufall überlasst, die sich zwischen den Mitteln ereignen.

Dann stellt sich mir die Frage: Was passiert eigentlich, wenn wir etwas sehen und hören, das scheinbar nicht zusammenpasst? Genau dann setzt nämlich unsere Imagination ein. Wir bilden aus dem Gesehenen und Gehörten unseren eigenen Raum. Das ist durchaus etwas sehr Vergnügliches, das die Zuschauer dazu ermächtigt, über Sinn und Unsinn zu entscheiden. Außerdem habe ich damals die Uraufführung von John Cage verpasst. Deswegen wollte ich die erste Chance ergreifen, die Oper selbst in Szene zu setzen.

Ist das Stück für jeden zugänglich?
Es ist eine Oper für alle. Weil sie nach allen Seiten offen ist, weil da durch dieses jahrhundertealte Genre eine frische Luft weht. Es ist sowohl für Operngänger interessant, die darin vieles wiederentdecken können, als auch gerade für Leute, die mit der Oper bisher nichts anfangen konnten und in diesem kaleidoskopartigen Zusammenspiel von Bildern und Tönen plötzlich etwas ganz Neues entdecken.

Sie beschäftigen sich sehr viel mit Musiktheater. Ist das auch Ihre Vision für die Ruhrtriennale in den kommenden Jahren?
Ich bin kein Visionär. Mit Musiktheater hat die Ruhrtriennale vor zehn Jahren angefangen und ich sehe auch einen Auftrag darin, dass sie als Produktionsfestival Dinge tut, die es sonst schwer haben in den Institutionen, die das ganze Jahr lang – landauf landab – das Repertoire spielen. Und da die Oper ein besonders unter seiner eigenen Schwerkraft leidender Apparat ist, hat die Ruhrtriennale hier auch den Auftrag, mit ihren Mitteln Werke zugänglich zu machen, die vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind.

Warum haben Sie das Museum Folkwang in Essen erstmals als Spielort aufgenommen?
Wir haben diese Group-Show zusammen mit dem Manchester International Festival produziert und suchten hier einen Ort, an dem sich verschiedene Zuschauerschichten treffen können. Das Kunstpublikum und das Theaterpublikum. Zugleich ist eine Ausstellung, die den ganzen Tag läuft, auch ein urbanes Event. Da kann man auch mal spontan zwischen zwei Einkäufen hingehen.

Die Ruhrtriennale geht bereits in ihr elftes Jahr. Wie schätzen Sie die Bedeutung des Festivals in der Kulturlandschaft Deutschlands ein?
Ich glaube, die Ruhrtriennale ist eines der wichtigsten Festivals in Deutschland, weil sie auch Produktionsfestival sein kann und nicht nur Abspielort. Wobei ich gar nichts gegen Abspielorte habe. Auch davon haben wir zu wenige. Wir haben in Deutschland sehr wenige Orte, an denen die wichtigsten internationalen Theaterkünstler auf hohem Niveau produzieren und deren Arbeiten gezeigt werden können. Manches ist in Berlin, einiges in München. Aber die Ruhrtriennale ist wahrscheinlich einer der potentesten Mitspieler.

Autor: Sandra Hottenrott/ dapd | Foto: Roberto Pfeil/ dapd
Foto: Heiner Goebbels, künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale