Berlin | Bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager sind insgesamt 90 sogenannte Teilgebiete in der engeren Auswahl gelandet. Das geht aus dem Zwischenbericht Teilgebiete hervor, der am Montagvormittag von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) veröffentlicht wurde. Demnach wurden Teilgebiete mit einer Gesamtfläche von circa 240.874 Quadratkilometern ermittelt, welche günstige geologische Voraussetzungen für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle erwarten lassen.

Die Gebiete überlagern sich teilweise, da sie sich in erdgeschichtlich unterschiedlichen Einheiten befinden. Berücksichtigt man die Überlagerung einiger Teilgebiete, ist in der Bundesrepublik eine Fläche von circa 194.157 Quadratkilometern, also ein Anteil von ca. 54 Prozent der Landesfläche als Teilgebiet ausgewiesen. Im Wirtsgestein Tongestein wurden neun Teilgebiete mit einer Fläche von circa 129.639 Quadratkilometern ausgewiesen.

Für das Wirtsgestein Steinsalz konnten insgesamt 74 Teilgebiete mit einer Fläche von circa 30.450 Quadratkilometern ausgewiesen werden. Hinzu kommen insgesamt sieben Teilgebiete mit einer Fläche von 80.786 Quadratkilometern im kristallinen Wirtsgestein. Der Salzstock Gorleben wurde nach Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien nicht als Teilgebiet deklariert.

„Wichtig ist: Der Zwischenbericht Teilgebiete ist kein abschließendes Ergebnis, sondern ein erster Zwischenstand“, sagte BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz. Die Bürger sollten schon einen „umfangreichen Einblick“ in die Arbeit der BGE erhalten, bevor „Fakten geschaffen werden“, fügte er hinzu. Nach der Veröffentlichung des Zwischenbericht soll die Zahl der Gebiete, die infrage kommen, in den kommenden Jahren anhand weiterer Kriterien weiter eingeschränkt werden.

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Die politische Debatte

Söder nach Endlager-Zwischenbericht skeptisch

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat sich nach der Vorstellung des Zwischenberichts zur Atommüll-Endlagersuche kritisch geäußert. „Es bleiben eine Menge Anfragen und eine große Portion Skepsis“, sagte Söder am Montagmittag in München. Bereits jetzt bestehe in Bayern „de facto eine absolute Hauptlast“ in der Frage der Lagerung des Atommülls.

Bayern sei auch durch tschechische Überlegungen, ein Endlager an der niederbayerischen Grenze zu errichten, betroffen – und damit stärker als nahezu jedes andere Land. „Insofern haben wir auch das Recht und die Möglichkeit darüber zu reden, wie es weitergehen soll“, so Söder. Dem Zwischenbericht zur Endlagersuche zufolge seien momentan in Bayern zwei Drittel der Fläche und insgesamt acht Millionen Einwohner betroffen.

Von bayerischer Seite werde es trotzdem keine „Totalblockade“ des Verfahrens geben, so Söder. „Im Gegenteil, wir werden dieses Verfahren sehr konstruktiv, aber auch kritisch begleiten“, sagte der Ministerpräsident. „Wir werden im gesamten Verfahren auch eigene wissenschaftliche Expertise einfließen lassen.“ Man werde sich außerdem nachhaltig dafür einsetzen, dass keine „politisch motivierte Entscheidung“ getroffen werde.

Endlagersuche: SPD kritisiert Söder

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist mit seiner Kritik an der Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland bei der SPD auf Unverständnis gestoßen. „Ich wusste nicht, dass Herr Söder jetzt auch noch Hobby-Geologe ist“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil der RTL/n-tv-Redaktion. „Da kann man nur ganz klar sagen: Er muss aufhören mit dieser Realitätsverweigerung.“
Der CSU-Chef hatte sich zuvor skeptisch gezeigt, ob in Bayern ein Endlager möglich ist. „Was nicht geht, ist, dass ein ganzes Bundesland sich dieser Diskussion verweigert und sagt: Wir profitieren gerne vom Atomstrom, aber wenn es darum geht, Verantwortung zu tragen für den Atommüll, dann sind wir völlig raus“, so Klingbeil. Das sei egoistisch.

Laut Wissenschaftlern gebe es mögliche Standorte in Bayern, außerdem habe die CSU mit dafür gesorgt, dass die Endlagersuchkommission eingesetzt wurde. Diese sei überparteilich und wissenschaftlich getrieben. „Das disqualifiziert ihn ja auch für bundespolitische Aufgaben“, so Klingbeil über Söders Vorgehen.

Der SPD-Generalsekretär kritisierte auch die von dem Ministerpräsidenten geforderten Steuersenkungen. „Da versucht Herr Söder wieder einmal, den schnellen Applaus zu bekommen. Ich bin gespannt, wie er diese Vorschläge konkretisiert und wo er vor allem sagt, was dafür gekürzt werden soll.“

Er müsse aufzeigen, wie Steuersenkungen gehen sollen, während der Staat wegen der Coronakrise ohnehin weniger Geld habe. Es gebe Vorschläge aus der Union, den Mindestlohn zu kürzen, so Klingbeil. Es werde sich in den nächsten Tagen zeigen, ob Söder das auch wolle. „Ich sehe überhaupt keine Spielräume für Steuersenkungen“, so der SPD-Politiker.

Die Grünen

Endlagersuche: Trittin begrüßt Gorleben-Aus

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sieht durch das Ausscheiden des Salzstocks in Gorleben als möglicher Endlagerstandort für Atommüll die Glaubwürdigkeit des Verfahrens gestärkt. „Die oft kritisierte `weiße Landkarte` als Ausgangspunkt hat sich bewährt. Dass nach der geowissenschaftlichen Abwägung nunmehr bereits im ersten Schritt der Ausschluss von Gorleben erfolgte, sollte all jene nachdenklich stimmen, die sich diesem Verfahren bisher beharrlich verweigert haben“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesumweltminister dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Trittin übte scharfe Kritik an der bayerischen Landesregierung: „Dass das Bundesland Bayern jetzt den Zwischenbericht der BGE attackiert, ist ein Stück aus dem Komödienstadl“, sagte er. „Zu Zeiten von Franz-Josef Strauß galt im Freistaat noch der Satz von `Pacta sunt servanda`, das Prinzip der Vertragstreue. Dass der Strauß-Epigone Markus Söder sich daraus nun davonschleichen will, ist mehr als peinlich.“

Der Grünen-Politiker warf dem bayerischen Ministerpräsidenten „Provinzialismus“ vor. „Bayern hat in den vergangenen Jahrzehnten mit seinen Atomkraftwerken massiv zur nun zu lagernden Menge Atommüll beigetragen. Nun will es zur Lösung des Problems keinen Beitrag leisten“, kritisierte Trittin.

Hofreiter warnt Länder vor Verweigerungshaltung bei Endlagersuche

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat die Bundesländer davor gewarnt, sich der weiteren Suche nach einem Atom-Endlager zu verweigern. „Niemand darf sich jetzt aus der Verantwortung stehlen“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagsausgaben). „Die Zeiten, in denen politisch nach Gutsherrenart Atompolitik gemacht wird, müssen nun endgültig vorbei sein.“
Gorleben sei allein auf Basis wissenschaftlicher Kriterien ausgeschlossen worden. Für den weiteren Prozess komme es darauf an, dass sich die Menschen konstruktiv beteiligten und Fachleute ihr Wissen beisteuerten, so Hofreiter. Der Zwischenbericht sei „ein großer Schritt auf der Suche nach einem sicheren Endlager“.

Heinen-Esser: NRW wird kein Endlager-Hotspot

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) erwartet nicht, dass es in ihrem Bundesland ein Atommüllendlager geben wird. „Wenn die planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien angewendet werden, wie zum Beispiel Besiedlungsdichte, Wasserschutzgebiete oder Kulturdenkmäler, wird die Zahl der infrage kommenden Gebiete deutlich verringert werden“, sagte Heinen-Esser dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstagsausgabe) zur am Montag vorgelegte Liste möglicher Endlagerstätten. „Ich vermute daher, dass das Gros der derzeit in NRW noch ausgewiesenen Gebiete in der nächsten Verfahrensstufe keine weitere Berücksichtigung finden und Nordrhein-Westfalen kein Endlager-Hotspot wird“, so die Ministerin wörtlich.

Bei dem Zwischenbericht der Endlager-Kommission würden lediglich Gebiete mit geologischen Schichten erfasst, „die für ein Atom-Endlager theoretisch infrage kommen“. Das Rheinland und die Eifel gehörten wegen des dort vorhandenen Vulkanismus beziehungsweise der Erdbebengefahr nicht dazu. Im nördlichen NRW seien hingegen Salz- und Tonschichten vorhanden, die den Kriterien für ein Atom-Endlager entsprechen würden.

Linken-Chef begrüßt Gorleben-Aus bei Endlagersuche

Linken-Chef Bernd Riexinger begrüßt, dass Gorleben nicht mehr als mögliches Endlager für Atommüll gelistet wird. „Dass Gorleben vom Tisch ist, ist gut“, sagte Riexinger der „Welt“ (Dienstagsausgabe). „Die Entscheidung für ein Endlager darf nicht nach dem Motto `Hauptsache nicht bei uns` verlaufen. Sie muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.“ Allerdings kritisierte Riexinger, dass das Risiko der Endlagerfinanzierung beim Steuerzahler liege. Dass die Unternehmen, die „jahrelang Profite mit der Atomenergie gemacht“ hätten, sich „für einige Milliarden aus der Verantwortung heraus kaufen konnten“, sei ein „schwerer politischer Fehler“ gewesen, so Riexinger.

Autor: dts | Foto:Thomas Bethge/fotolia