Bochum | Ohrfeige für Gerhard Cromme: Rund 30 Prozent der Aktionäre haben dem ThyssenKrupp-Aufsichtsratsvorsitzenden auf der Hauptversammlung des größten deutschen Stahlkonzerns die Entlastung verweigert. Vor einem Jahr hatte der 69-jährige Manager noch 95 Prozent der Stimmen hinter sich.

Doch nach dem Milliardendebakel des größten deutschen Stahlkonzerns in Amerika hatten zahlreiche Aktionäre auf der Hauptversammlung personelle Konsequenzen auch im Aufsichtsrat gefordert. Jens Meyer vom Deka Investmentfonds appellierte an Aufsichtsratschef Gerhard Cromme: „Es wäre eine ehrbare Entscheidung zu sagen, ich trete zurück.“ Auch andere Aktionäre und Investmentfonds forderten den 69-jährigen Manager auf, über eine Nachfolgereglung nachzudenken.

Cromme selbst räumte vor den Aktionären ein, dass in der Vergangenheit im Kontrollgremium nicht alles optimal gelaufen sei, bestritt aber schuldhafte Versäumnisse. „Wenn Sie mich fragen, ob wir als Aufsichtsrat in der Vergangenheit etwas hätten besser machen könne, dann will ich ehrlich sagen: Ja, wir haben zu lange vertraut, wir hätten früher handeln können.“

Doch habe der Aufsichtsrat sofort Konsequenzen gezogen, als die Fakten auf dem Tisch gelegen hätten. Mehrere Gutachten unabhängiger Experten hätten dem Gremium bestätigt, seinen Überwachungspflichten in allen Phasen des Projekts „auf hohem Niveau gerecht geworden“ zu sein.

Angesichts des Verlusts von fast fünf Milliarden Euro im vergangenen Jahr verzichtete der Aufsichtsrat auf die Hälfte seiner Vergütung. Das entspricht insgesamt rund 700.000 Euro. Cromme verliert rund 100.000 Euro. Der Aufsichtsrat wolle mit dieser Geste seine Betroffenheit und Solidarität mit den Aktionären zum Ausdruck bringen, sagte Cromme.

„Bei weitem noch nicht zukunftsfähig“

Rückendeckung bekam Cromme von ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger. Der Vorstandsvorsitzende sagte vor den Aktionären, es sei der Aufsichtsrat unter der Führung Crommes gewesen, der den derzeitigen Wandel bei dem Unternehmen eingeleitet und ihn an die Konzernspitze berufen habe. Von Anfang an habe er für seinen Erneuerungskurs die volle Rückendeckung vom Aufsichtsrat erhalten, auch bei schwierigen Entscheidungen wie dem Verkauf der Edelstahlsparte oder des amerikanischen Stahlgeschäfts.

Hiesinger räumte ein, bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren sei ihm nicht annähernd bewusst gewesen, wie tiefgreifend der nötige Veränderungsprozess sein werde. „Unsere alte Führungskultur war an vielen Stellen von Seilschaften und blinder Loyalität gekennzeichnet. Fehlentwicklungen wurden lieber verschwiegen als korrigiert“, sagte der Manager.

Der eingeleitete Erneuerungsprozess sei schmerzhaft. Doch gebe es dazu keine Alternative. „Wer dabei nicht mitzieht, hat bei uns nichts zu suchen“, sagte Hiesinger.

Mit Blick auf die wirtschaftliche Situation bei ThyssenKrupp betonte Hiesinger, der notwendige Konzernumbau werde mehrere Jahre dauern. Im gegenwärtigen Zustand sei der Konzern „bei weitem noch nicht zukunftsfähig“. Die Profitabilität der fortgeführten Aktivitäten müsse weiter erhöht werden. Es gebe aber keine Überlegungen, sich auch vom europäischen Stahlgeschäft zu trennen.

Autor: Erich Reimann, dapd