Köln, Garzweiler | Der Journalist Malte Kreutzfeldt begleitete für die „taz“ eine Gruppe Demonstranten in die Grube des Tagebaus. Als Augenzeuge machte er sich als Berichterstatter ein Bild vor Ort, wie gute Journalisten das tun. Zwar wurde er nicht wie andere Journalisten festgesetzt oder sogar verletzt, aber auch er wurde aus dem Tagebau hinauskomplimentiert. Was ist höher zu werten? Die Pressefreiheit oder das Hausrecht eines Konzerns? Aber auch wie eng arbeiteten Polizei und RWE zusammen? Malte Kreutzfeldt hat sich für die Pressefreiheit entschieden und schildert eindringlich, aber auch ruhig und sachlich, wie er als Journalist die Situation und Arbeitsbedingungen in und am Rande der Grube erlebt hat. Die Polizei in Düren hat heute eine lange Pressemitteilung veröffentlicht in der sie abstreitet mit RWE außer dem üblichen Rahmen zusammengearbeitet zu haben.

[infobox]

Der Augenzeugenbericht von Malte Kreutzfeldt

Report-K: Herr Kreutzfeldt, Sie waren bei den Protesten als Journalist mit vor Ort in Garzweiler. Können Sie uns Ihre Eindrücke schildern, aber auch wie Sie Polizei und die Mitarbeiter von RWE während der Protestaktionen erlebt haben?

Malte Kreutzfeldt: Ich war am vergangenen Samstag bei der Besetzung des Tagebaus in Garzweiler vor Ort und habe eine der vier Gruppen, die am Morgen losgezogen sind, auf dem Weg in den Tagebau begleitet. Natürlich nicht als Teilnehmer der Demonstration, sondern ich bin am Rand oder hinterher gegangen.

Ich hatte mich im Vorfeld nach den Arbeitsbedingungen vor Ort für Journalisten erkundigt. RWE teilte mit, dass ich auch als Journalist, selbst wenn es zu einer Besetzung der Grube kommen würde, den Tagebau nicht betreten dürfte und mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch zu rechnen habe. Ich hielt dies nicht für gerechtfertigt. Wenn fast 1.000 Menschen in den Tagebau hinabsteigen und dort von hunderten Polizisten und RWE-Mitarbeitern festgesetzt, eingekesselt, und teilweise abtransportiert werden, denn gibt es aus meiner Sicht eindeutig ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung vor Ort, das dann höher zu werten ist, als die Durchsetzung des Hausrechts von RWE.

Hat man versucht Sie von der Begleitung der Demonstranten abzuhalten?

Ich bin – immer in sicherem Abstand zur Abbruchkante oder Betriebsanlagen von RWE – mit in den Tagebau hinuntergegangen. Zunächst haben RWE-Mitarbeiter versucht, mich aufzuhalten, allerdings nicht körperlich, sondern vom Fahrzeug aus und mit Drohungen. Ich bin den Demonstranten trotzdem gefolgt. Als ich unten in der Grube war, konnte ich mich relativ frei bewegen und bin von RWE und Polizei in Ruhe gelassen worden. Ich konnte dokumentieren, was dort passiert. Ich habe fotografiert und gefilmt, teilweise sofort auf Twitter veröffentlicht und mitgeschrieben, um das Geschehene zu dokumentieren.

Wann und vom wem wurde Ihnen mitgeteilt, dass Sie nicht mehr erwünscht seien?

Nach etwa einer Stunde kam der örtliche Polizeieinsatzleiter zu mir und sagte, RWE würde jetzt darauf bestehen, dass die Presse aus der Grube verschwindet, und ich müsste mich darauf einstellen, dass ich bald abgeholt würde. Die meisten anderen Journalisten, die diese Gruppe begleitetet hatten, waren kurz danach weg. Ich habe aber anscheinend den ersten Transport verpasst und war noch eine ganze Weile länger in der Grube und habe weiter die Situation beobachtet.

Was haben Sie dann erlebt?

Zu dem Zeitpunkt gab es dort mehrere verletzte Demonstranten. Ich habe blutende Kopfwunden und gereizte Augen gesehen. Die Menschen konnten zunächst nicht richtig versorgt werden, weil kein Krankenwagen an den Ort des Geschehens gekommen ist. Die Polizei wollte zunächst nicht, dass die verletzten Demonstranten mit dem Krankenwagen abtransportiert werden, weil sie keinen Ausweis dabei hatten und noch nicht identifiziert waren. Also lauter Dinge, wo man sagen könnte, dass es ist schon ganz gut ist, wenn sie unabhängig dokumentiert werden.

Und dann komplementierte man Sie doch heraus?

Nach etwa einer weiteren Stunde fiel wohl auf, dass ich immer noch da war. Ich wurde dann von der Polizei zu einem RWE-Fahrzeug gebracht und von einem RWE-Mitarbeiter aus dem Tagebau herausgefahren. Auf dem Weg nach draußen, habe ich weitere Gruppen gesehen, die es in der Zwischenzeit auch in den Tagebau geschafft hatten. Auch die Gruppe, die den Bagger tatsächlich besetzt hatte. und eine weitere, die gerade in den Tagebau hinein marschierte.

Haben Sie mitbekommen, dass RWE-Mitarbeiter Demonstranten bedrängt haben?

Das RWE-Mitarbeiter Demonstranten misshandelt und bedroht haben, habe ich selbst nicht gesehen. Dort wo ich war, mischten zwar jede Menge RWE-Mitarbeiter mit, aber die waren vor allem damit beschäftigt, Polizisten zu transportieren. Die Polizei ist zu dem Ort, an dem ich war, nur mit RWE-Fahrzeugen gekommen. Die gesamte Polizei wurde darum in RWE Pick-up-Trucks bewegt. Auch die Demonstranten, die festgenommen und mit aufs Polizeirevier genommen wurden, sind später mit RWE-Bussen aus dem Tagebau heraustransportiert worden. Die erkennungsdienstliche Behandlung von Demonstranten, bei der die Menschen fotografiert und durchsucht wurden, fand auf oder vor einem RWE Pick-up-Truck – den Polizisten als eine Art mobiles Büro genutzt hatten – statt. Andere haben berichtet, dass RWE-Mitarbeiter auch direkt am Festsetzen von Demonstranten beteiligt waren. Das habe ich mit eigenen Augen nicht gesehen.

Als Sie aus dem Tagebau heraus waren, konnten Sie die Dinge, die in der Grube weiter passierten, journalistisch weiterverfolgen oder war dies aus der offiziellen Position gar nicht möglich?

Abgesetzt worden bin ich am Aussichtspunkt Jackerath. Man konnte von dort am Horizont die Menschen in der Grube sehen, aber überhaupt nicht erkennen, was dort passiert ist. Von dort oben konnte man nicht verfolgen, was unten geschieht.

Waren auch RWE-Pressesprecher vor Ort oder lief die Kommunikation nur über die Polizei?

In der Grube war kein Sprecher von RWE. Am Aussichtspunkt waren dafür gleich mehrere. Ich habe mich dort beschwert, dass wir Journalisten das Geschehen nicht aus der Nähe betrachten können. Bei RWE blieb man dabei, dass eine Berichterstattung in der Grube viel zu gefährlich und diese außerdem Privatgelände sei.

Gab es auch bei Ihrer ersten Anfrage im Vorfeld ein Angebot von Seiten der Polizei oder RWE, das Geschehen aus der Nähe journalistisch zu beigleiten?

Nein. Im Vorfeld hieß es ja, Journalisten dürfen nicht in die Grube. Und jetzt im Nachhinein kam RWE mit dem Argument, dass wir Journalisten keine Sicherheitsausrüstung dabei hatten. Diesen Aspekt habe ich im Vorfeld so nicht gehört. Das hat natürlich ein Geschmäckle, denn sonst werden ja auch Besuchergruppen in Bussen sicher durch den Tagebau gefahren. Diese Busse haben sie dann für den Abtransport der Demonstranten genutzt. Zumindest so wie man sonst Besucher mit Sicherheitsausrüstung ausstatten kann, hätte man vermutlich auch Journalisten versorgen können. Sagen wir mal vorsichtig, dies schien für RWE aber keine Priorität zu haben.

Herr Kreutzfeldt, herzlichen Dank für das Interview und den Augenzeugenbericht

Links zu den Artikeln von Malte Kreutzfeldt auf „taz.de“ über die Proteste in Garzweiler
Polizeieinsatz in Garzweiler
— — —
RWE liebt die Polizei

[/infobox]

— — —

Die Polizei in Düren hat mittlerweile Stellung bezogen

Bei der Dürener Polizei betont man, dass man sich neutral verhalten habe und es keine gemeinsame Einsatzplanung und Einsatzdurchführung mit dem Tagebaubetreiber gegeben habe, auch seien Medienvertreter nicht an der Ausübung der Pressefreiheit gehindert worden. Bei der Polizei legt man Wert auf die Feststellung, dass das widerrechtliche Betreten der deutlich abgegrenzten und gekennzeichneten Betriebsflächen im Vorfeld durch die zuständige Staatsanwaltschaft als Hausfriedensbruch qualifiziert worden sei. Man habe im Umfeld des Tagebaus, so die Polizei, auf Eskalationen verzichtet, um die Demonstranten nicht zu gefährden. Auch die Einkesselung der Demonstranten begründet die Polizei als Sicherheitsmaßnahme.

Die Polizeitransporte mit Fahrzeugen und Fahrern der RWE sei nicht abgesprochen gewesen, sondern lagebedingt erfolgt. Als Rechtsgrundlage für diese Aktionen nennt die Polizei § 6 des NRW-Polizeigesetzes. Die Dürener Polizei hat jetzt RWE aufgefordert für diese Transportdienstleistung Rechnungen zu stellen, weil RWE ein Entschädigungsanspruch zustehe. Dies gelte auch für den Transport der 800 Demonstranten aus dem Tagebau heraus. Auch das RWE Mitarbeiter Demonstranten festgehalten haben, sei durch das Festhalterecht gedeckt, argumentiert die Polizei.

Hat die Polizei von Anfang an die Medienarbeit behindert?

Auch bei der Frage ob die Polizei NRW Medienvertreter bei der Ausübung ihrer Rechte beschränkt habe, erklärt man schriftlich: „Bereits im Vorfeld des Einsatzes hat es umfassende Informationen an Medienvertreter gegeben. Hintergrundgespräche und Einzelkontakte beinhalteten immer auch die Fragestellung, ob das Betreten des Tagebaus auch für Medienvertreter verboten sei. Die Polizei hat dabei immer auf das Hausrecht des Tagebaubetreibers und dessen erforderliches Einverständnis und die natürlich auch für Medienvertreter bestehenden lebensgefährlichen Betriebsgefahren verwiesen. Zu keinem Zeitpunkt wurden Medienvertreter seitens der Polizei an der Ausübung ihrer Pressefreiheit aktiv gehindert. Um die zu erwartenden Bedürfnisse der Medienvertreter seitens der Polizei bevorzugt erfüllen zu können, hatte die Polizei unter anderem eine stationäre und mobile Betreuung für Medienvertreter direkt am Tagebau eingerichtet. Diese wurde auch umfangreich in Anspruch genommen. Die meisten Medienvertreter entschieden vor Ort, die Verbots- und Gefahrenmomente ernst zu nehmen und nicht in den Tagebau hinabzusteigen. Eine Begleitung von Medienvertretern durch die Polizei in das Tagebaugelände hinein war nicht möglich. Dem standen der Wille des Hausrechtsinhabers und die erheblichen Gefahren entgegen.“

Das Interesse der Öffentlichkeit steht über dem Hausrecht

Hier stellt sich allerdings die Frage, ob der Polizeiführer dabei die Rechtslage von Anfang an richtig beurteilt hat, denn dies wird auch gerichtlich bestätigt, dass die Ausübung der Pressefreiheit und das Interesse der Öffentlichkeit höher bewertet wird, als der Schutz des Hausrechts eines privaten Unternehmens. So hat die 11. Zivilkammer des Landgericht Stuttgart am 09.10.2014 (Aktenzeichen: 11 O 15/14) in einem Fall zwischen einem Unternehmen und dem „SWR“ ein Urteil zum Thema notwendige Interessenabwägung zwischen Eingriff in die Unternehmenssphäre und dem öffentlichen Informationsinteresse gefällt. Bei diesem Fall ging es um heimlich auf einem Firmengelände aufgenommene Filmaufnahmen um Missstände bei der Beschäftigung von Niedriglöhnern und Leiharbeitern aufzuzeigen. Klar stellt das Gericht dar, dass diese Filmaufnahmen eine Verletzung des Hausrechts darstellte. In dem Urteil heißt es aber: „Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die Geltung der Rechtsordnung nach sich ziehen muss. Hat ein Journalist sich rechtswidrig die Informationen beschafft, scheidet eine Rechtfertigung wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen analog § 193 StGB aus, da die Grundrechte der Meinungs-, Rundfunk- und Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG die rechtswidrige Informationsbeschaffung nicht schützen. Die Nachteile aus einer rechtswidrigen Informationsbeschaffung treten jedoch dann zurück, wenn ein eindeutig überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht (hier: an Recherchen zu Niedriglöhnen und Leiharbeitnehmern).“

Innenausschuss des Landtags nimmt sich des Themas an

Wenn also fast 1.000 Menschen demonstrieren, dürfte es unstrittig sein, dass ein eindeutig überwiegendes öffentliches Informationsinteresse besteht. Die Polizei hätte von Anfang an dafür Sorge tragen müssen, dass eine Berichterstattung zu jederzeit auch auf dem Gelände möglich ist. Sie hätte auch den Betreiber RWE über diesen Umstand in Kenntnis setzen müssen und RWE und seinen Mitarbeitern klar machen müssen, dass bei Eintritt eines eindeutig überwiegenden öffentlichen Informationsinteresses für die Möglichkeit von Berichterstattung Vorsorge zu treffen ist. Ein Aussichtspunkt weit weg vom Geschehen und außerhalb des Geländes als Angebot reicht da nicht aus. Der Innenausschuss des Landtages NRW beschäftigt sich mit dem Thema am kommenden Donnerstag. Mehrere Medien, darunter auch die „taz“ hat Beschwerde beim NRW Innenministerium eingelegt. Dort heißt es derzeit man prüfe die Fakten. Die Piratenfraktion im Düsseldorfer Landtag fragt, inwieweit RWE-Mitarbeiter bei der Einkesselung der Demonstranten geholfen haben, ob sie bei der Festsetzung von Demonstranten beteiligt waren und ob sie die Polizei dabei unterstützt haben, Pressevertreter vom Tagebaugelände zu transportieren. Ebenfalls soll beantwortet werden, welche Absprachen im Vorfeld der Demonstration von der Polizei mit dem RWE und den vor Ort verantwortlichen getroffen wurden und ob der Kräfteansatz der Polizei aus Sicht der Landesregierung angemessen und ausreichend war.

Autor: Andi Goral
Foto: Blick von einem Aussichtspunkt auf eine rheinische Tagebaugrube. Ist von einem solchen Punkt eine neutrale und richtige Berichterstattung über eine Demonstration möglich?