Berlin | Auf den vom türkischen Geheimdienst MIT übergegebenen Listen steht offenbar der Name der SPD-Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering und der Name einer Berliner CDU-Abgeordneten: Sie würden auf Tabelle 10 des MIT-Dossiers unter der Rubrik „Machzentren und Nichtregierungsorganisationen“, mit denen die Gülen-Bewegung angeblich „gute Beziehungen“ aufgebaut habe, geführt – also nicht als Mitglieder der Gülen-Bewegung, berichten „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR.

Die aus dem Ruhrgebiet stammende SPD-Abgeordnete Müntefering sei am Montag von Beamten des Bundeskriminalamts über die spezielle Einsortierung durch den türkischen Geheimdienst informiert worden. Sie ist seit Jahren Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe. Die Politikerin war zuletzt im Februar mit einer Parlamentariergruppe des Bundestages in der Türkei.

Zeitung: Ausländische Geheimdienste warnten vor mehr türkischen Spionageaktivitäten

Ausländische Geheimdienstler haben offenbar in den vergangenen Monaten mehrmals ihre deutschen Kollegen gewarnt, dass der türkische Geheimdienst seine Aktivitäten in der Bundesrepublik massiv ausgeweitet hat. Das berichtet die „Welt“. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet einen signifikanten Anstieg nachrichtendienstlicher Tätigkeiten der Türkei in Deutschland, wie die Behörde öffentlich erklärt.

Der Ex-Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, sagte laut „Welt“, dass Mitarbeiter der türkischen Botschaft in Wirklichkeit als Agenten arbeiteten und dass die Informanten vor allem in den vielen türkischen Organisationen und Vereinen in Deutschland geworben würden. „Selbstverständlich operierte der türkische Geheimdienst auch schon zu meiner Zeit in Deutschland. Doch damals ging es vor allem um die kurdische Terrororganisation PKK und die türkische Terrororganisation DHKP-C“, erklärte Hanning, der den BND von 1998 bis 2005 geleitet hatte.

„Die Türken wollten sich nicht allein auf die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes verlassen. Wir haben diese Spionage nie geduldet.“ Der Geheimdienstkoordinator in der Ära Kohl, Bernd Schmidbauer, sieht einen klaren Unterschied zu früheren türkischen Spionageaktivitäten in Deutschland.

„Das ist nicht neu, aber um türkische Oppositionelle ging es damals nicht. Ich habe wegen der Terrorismusbekämpfung auch immer versucht, einen Draht zum MIT zu haben. Mehrfach war ich deshalb in Ankara“, sagte Schmidbauer.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele fordert die Verfolgung und Ausweisung der mutmaßlichen Spitzel des türkischen Geheimdienstes MIT. „Sollten Diplomaten involviert sein, müssen diese ausgewiesen werden.“ Die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes müssten von der Bundesregierung endlich ernst genommen werden.

Türkische Spionage: CSU-Politiker Uhl erhebt Vorwürfe gegen Pistorius

Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl hat vor dem Hintergrund der türkischen Spionage in Deutschland schwere Vorwürfe gegen den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) erhoben. Er nahm dabei Bezug auf eine Pressekonferenz, bei der Pistorius detailliert über die Liste des türkischen Geheimdienstes MIT mit ausgespähten Verdächtigen berichtet hatte: „Dass Herr Pistorius die Informationen zur Liste des türkischen Geheimdienstes per Pressekonferenz öffentlich gemacht hat, halte ich für einen schweren nachrichtendienstlichen Fehler“, sagte Uhl dem „Handelsblatt“. Denn der BND-Chef müsse auch in Zukunft mit dem türkischen Geheimdienstchef „vertraulich“ über mögliche Gefahren durch islamistische Terroristen sprechen können.

„Vertrauliches muss vertraulich bleiben und darf nicht auf den Marktplätzen in die Öffentlichkeit getragen werden“, betonte der CSU-Politiker. „Mit seinem Verhalten hat Pistorius dem Geheimdienst-Austausch mit der Türkei einen Bärendienst erwiesen.“ Uhl äußerte zugleich scharfe Kritik daran, dass offenbar auch deutsche Politiker ins Visier des türkischen Auslandsgeheimdienstes geraten sind.

Der CSU-Politiker sprach von einem „rechtswidrigen“ Vorgehen. Der Umstand, dass die SPD-Abgeordnete Michelle Müntefering als Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe eine türkeizugewandte Position innehabe, erkläre das Interesse Ankaras an ihr. Aber, so Uhl: „Zu glauben, dass die deutschen Dienste dem türkischen Dienst hierbei Amtshilfe leisten, zeigt die Borniertheit der türkischen Regierung.“

Unter Recep Tayyip Erdogan entferne sich die Türkei „in Sieben-Meilen-Stiefeln“ von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien. „Das Verfassungsreferendum ist nichts anderes als ein Ermächtigungsgesetz. Die Ähnlichkeiten zum Führerprinzip Adolf Hitlers sind beängstigend“, sagte Uhl.

Autor: dts