Zwar würden viele Entscheidungen zwischen den Staats- und Regierungschefs der Eurozone beschlossen. "Trotzdem müssen wir unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen treffen und können nicht alles kommentarlos mittragen, was auf Gipfeltreffen beschlossen wird", sagte Bosbach dem "Handelsblatt". Derzeit gehe es um "epochale Entscheidungen" und damit um Gewissensfragen, da nichts weniger als das Verhältnis von Europa zu den Nationalstaaten neu justiert werde. Bosbach bezeichnete es als "kurios", als "Abweichler" tituliert zu werden. "Ich stehe doch nur zu dem, was CDU und CSU jahrelang zum Thema Euro gesagt haben", verteidigte er seine Position. "Wenn sich nichts Wesentliches ändert, kann ich daher auch den ESM nicht mittragen", sagte Bosbach.

Über den ESM soll der Bundestag Anfang des kommenden Jahres entscheiden. Der langjährige Bundestagsabgeordnete beklagte den Umgang in der Fraktion. Zwar nahm er die Entschuldigung von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla an, der ihn vergangene Woche in einer Fraktionsrunde beleidigt hatte. "Nach der Entschuldigung von Ronald Pofalla war die Sache für mich erledigt. Wir haben auch noch einmal telefoniert. Da bleibt weder politisch noch persönlich etwas zurück", sagte Bosbach. Dennoch habe er eine Situation wie derzeit in der Fraktion noch nie erlebt. "Die Atmosphäre in der Fraktion war zuletzt angespannt", sagte er. Abgeordnete wie er würden als Euro-Kritiker dargestellt und zuletzt sei es nur noch um die Kanzlermehrheit gegangen. "Entscheidend wurde dann das Ziel der Geschlossenheit bei der Abstimmung", so Bosbach. Der CDU-Politiker lies überdies offen, ob er 2013 noch einmal für den Bundestag kandidieren werde. "Jetzt beobachte ich erst einmal in Ruhe die politische Entwicklung der kommenden Monate und den persönlichen Umgang untereinander", sagte er. "Ich bin froh, dass ich mich nicht jetzt schon entscheiden muss."

10:20 Uhr > Grünen-Politiker Schulz verteidigt Kanzleramtsminister Pofalla
Der grüne Europaabgeordnete Werner Schulz hat Kanzleramtsminister Ronald Pofalla gegen die jüngste Kritik wegen der Beschimpfung seines Fraktionskollegen Wolfgang Bosbach (beide CDU) verteidigt. "In der Politik geht es manchmal rau zu", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". "Es gibt Situationen, in denen die Nerven blank liegen und die Sicherungen durchbrennen." Außerdem müssten "auch die Abweichler gut überlegen, wie weit sie gehen. Manche spielen sich unglaublich in den Mittelpunkt. Und schauen Sie, Bosbach ist Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, nicht der finanzpolitische Sprecher der Fraktion." Der Kanzleramtsminister hingegen habe "bedauert. Das muss man anerkennen", so Schulz. "Wir sitzen doch alle im Glashaus und haben die Taschen voller Steine. Ich schätze Pofalla als soliden und durchaus auch sachlichen Menschen." Schulz hatte als Bundestagsabgeordneter 2005 selbst für Aufsehen gesorgt, als er sich gegen die fingierte Vertrauensfrage des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder (SPD) zur Einleitung von Neuwahlen stellte und den Bundestag mit der DDR-Volkskammer verglich. Er war in den eigenen Reihen seinerzeit völlig isoliert.

[dts; Foto: Deutscher Bundestag/Jonas Fischer/photothek.net]