Das Archivbild zeigt das Logo der AfD bei ihrem Parteitag zur Europawahl im August 2023. | Foto: via dts nachrichtenagentur

Berlin/Köln | Ist ein Verbotsantrag gegen die AfD der richtige Weg im Umgang mit den neuen Rechten? Eine Frage die aktuell nach den Enthüllungen von „Correctiv“ wieder intensiver debattiert wird. Die einen lehnen ab, die anderen befürworten einen solchen Antrag. Ein Ausschnitt aus der aktuellen Debatte.

Ex-Verfassungsrichter Papier rät von AfD-Verbotsantrag ab

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält einen Verbotsantrag gegen die AfD derzeit für falsch. „Das würde der AfD nur in die Hände spielen“, sagte Papier dem „Tagesspiegel“ (Samstagausgabe).

Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Parteiverbot regelt, setze hohe Hürden. Für ein Parteiverbot müssten die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie angegriffen werden, und zwar in einer aggressiv-kämpferischen Art, etwa in Form eines mehr oder weniger gewaltsamen Umsturzes. Zudem müsste die Partei von ihrem Gewicht her in der Lage sein, diese grundlegende Werteentscheidung der Verfassung zu beseitigen.

Auch wenn die AfD nach Einschätzung Papiers im Gegensatz zur NPD dieses Gewicht hätte, sieht er einen Verbotsantrag kritisch. Man sollte ihn nur dann stellen, „wenn man hinreichende Informationen hat, um alle die genannten Punkte wirklich zu belegen und man mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Erfolg ausgehen kann“, sagte Papier, der von 2002 bis 2010 das Bundesverfassungsgericht geleitet hat. „Nach meinem Informationsstand halte ich einen Verbotsantrag derzeit für falsch.“

Statt eines Verbotsverfahrens sieht Papier die gemäßigten Volksparteien der demokratischen Mitte in der Pflicht. Sie müssten Wähler zurückgewinnen. „Die AfD hat Anhänger aus dem rechtsextremen Spektrum, aber viele ihrer Wähler sind keine Rechtsextremisten“, sagte er. „Sie haben ihre politische Heimat verloren. Die haben früher etwa Union gewählt oder sogar die Linke.“

Papier kritisierte, dass das „Ansehen der großen Volksparteien, die diesen Staat mit aufgebaut haben, verfällt“. Die Anliegen, die Probleme der Bevölkerung müssten von den Parteien aufgegriffen werden. „Da sehe ich seit Jahren erhebliche Defizite. Die Menschen fühlen sich zu einem großen Teil nicht mehr hinreichend vertreten“, kritisiert das CSU-Mitglied.

Ein Beispiel sei der Umgang mit Migration und Asylpolitik. „Seit etwa zehn Jahren gibt es gravierende Probleme, die nicht gelöst worden sind“, so Papier. Die etablierten Parteien hätten dieses Thema schlicht zur Seite geschoben. „Durch den Druck des Anwachsens extremistischer Parteien ist jetzt hier bei uns und in der Europäischen Union Bewegung in die Sache gekommen“, sagte er.

Eine echte lösungsorientierte Problembewältigung könne er in der Politik aber noch immer nicht erkennen. „Die schleichende Erosion unserer Demokratie beruht auf dem eklatanten Versagen der Volksparteien als Mittler zwischen Bürgerschaft und politischer Führung“, so Papier.

Bundespräsident steht AfD-Verbot skeptisch gegenüber

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht einem Verbot der AfD skeptisch gegenüber. „Ich kann die Erfolgsaussichten nicht beurteilen – ein Verfahren würde vermutlich sehr lange dauern“, sagte Steinmeier der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstagausgabe) zu Forderungen nach einem derartigen Verbot.

Er rate deshalb dazu, sich auf das konzentrieren, „was unmittelbar in diesem Jahr möglich und notwendig ist“, so Steinmeier. „Wir sollten die besseren Antworten geben, wir sollten demokratische Mehrheiten organisieren und diese stärken.“

Auf die Frage, ob die Demokratie in Gefahr sei, wenn die AfD Landtagswahlen gewinne, sagte der Bundespräsident, er „hoffe, dass jeder, der wählt, das nicht nur in einer Stimmung von Wut oder Frust tut – sondern auch im Bewusstsein über die Folgen“. Die gerade veröffentlichten Recherchen zu dem Treffen rechtsextremer Aktivisten in Potsdam würden zeigen, dass man „sehr wachsam“ sein müsse.

„Wenn wir in die Geschichte zurückschauen, stellen wir fest: Extremisten waren immer das Unglück unseres Landes“, sagte Steinmeier. „Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen, die Demokratie ist nie auf Ewigkeit garantiert.“ Sie lebe nicht nur vom Grundgesetz, sondern auch vom Engagement ihrer Bürger.

Er sei „deshalb erschüttert über die Beschimpfungen und die tätlichen Angriffe, die es sogar schon auf der kommunalen Ebene gibt“, sagte der Bundespräsident. „Wenn sich deshalb Verantwortungsträger zurückziehen oder sich Menschen erst gar nicht entschließen, Verantwortung zu übernehmen, dann trocknet die Demokratie von unten aus.“

Der Respekt vor demokratischen Institutionen und ihren Repräsentanten schwinde, klagte der Bundespräsident. „Immer mehr Menschen nehmen ihr eigenes Interesse für das Ganze und leiten daraus das Recht ab, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.“ Dabei denke er „nicht nur an den Umgang mit Vizekanzler Robert Habeck, der am Fähranleger in Schlüttsiel von Demonstranten bedrängt wurde, sondern auch an manche Aktivisten der Letzten Generation“, so Steinmeier.

Wanderwitz ruft Scholz und Merz zu Unterstützung von AfD-Verbot auf

Der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) hat Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Parteichef Friedrich Merz dazu aufgerufen, ein AfD-Verbotsverfahren zu unterstützen. „Ich wünsche mir von beiden, dass sie die Dramatik der Lage und die Größe des Problems sehen und ein Verbotsverfahren unterstützen“, sagte Wanderwitz dem „Stern“.

Ausgerechnet von einem politischen Gegner erhält der sächsische CDU-Abgeordnete am meisten Zuspruch in seinem Kampf für ein AfD-Verbot. „Im Verhältnis zur Größe der Partei bekomme ich die meiste Unterstützung von den Grünen“, sagte Wanderwitz. „Aber auch aus Union, SPD, Linkspartei und von parteilosen Kommunalpolitikern kommt viel Zuspruch.“ Allerdings halte sich bei allen Parteien „die Führungsspitze noch bedeckt“.

Insgesamt hält Wanderwitz die Chancen für ein AfD-Verbot für besser denn je. „Die AfD radikalisiert sich immer weiter. Und das bleibt nicht ohne Folgen“, so der ehemalige Ostbeauftragte. „In allen anderen Parteien ist die Sensibilität gewachsen, dass hier große Gefahr für unser Land und unsere Demokratie droht. Das Thema AfD-Verbot gewinnt an Fahrt.“

Eine Garantie für den Erfolg eines solchen Verfahrens gebe es nicht, so Wanderwitz. „Aber wenn wir eine weitere Radikalisierung abwarten, kann es zu spät sein.“ Zu Beginn seines Kampfes für ein AfD-Verbot vor zwei Jahren sei ihm oft gesagt worden, die Partei sei „nicht relevant genug“ für ein solches Verfahren. „Jetzt erzählen einige, sie sei zu groß. Da kann ich nur antworten: Was ist denn die Alternative?“, so Wanderwitz. „Wenn du im brennenden Haus stehst, nützt es nichts, mit den Brandstiftern zu reden. Der Brand muss gelöscht und die Brandstifter müssen von weiteren Taten abgehalten werden.“

SPD-Parteivorstand berät über Aufforderung zu AfD-Verbot 

Der SPD-Parteivorstand soll am kommenden Montag über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD beraten. Die Arbeitsgemeinschaft für Migration und Vielfalt der Partei hat am Freitag einen entsprechenden Antrag eingereicht, über den der „Tagesspiegel“ (Samstagausgabe) berichtet.

„Die halbherzige Diskussion um ein Verbot der AfD wirkt als Brandbeschleuniger“, heißt es in dem Antrag. Daher sollen „die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung“ von der Partei aufgefordert werden, ein Verbotsverfahren „beherzt und konsequent“ anzugehen.

Aziz Bozkurt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft und Sozialstaatssekretär in Berlin, sagte der Zeitung, Deutschland habe eine Geschichte, die zu einem klaren Antifaschismus verpflichte. „Noch ist es nicht zu spät.“ Die Verfassung sehe deshalb Parteiverbote explizit vor, so Bozkurt. „Die Parteien im demokratischen Spektrum müssen anerkennen, dass der bisherige Umgang mit der rechtsradikalen AfD alles andere als erfolgreich war“, schreiben sie. Das Übernehmen „von Positionen der radikalen Rechten“ habe nicht zu einer erhofften Beruhigung der Lage geführt, sondern wirke wie ein Katalysator.

Hintergrund des Antrags sind unter anderem Recherchen des gemeinnützigen Online-Mediums „Correctiv“. Laut diesen sollen bei einem Treffen einflussreiche AfD-Politiker mit Aktivisten der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften „Identitären Bewegung“ einen Plan besprochen haben, um im Fall einer Machtübernahme, Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien aus Deutschland zu deportieren.

Eine Partei kann in Deutschland nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Es wird allerdings nicht auf eigene Initiative tätig, sondern nur bei einem Antrag von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung. Beim früheren Versuch eines NPD-Verbotes hatte als Erstes die Bundesregierung unter Federführung des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) das Verbotsverfahren in Karlsruhe eingereicht. Das Verfahren war letztlich wegen der Irrelevanz der Partei gescheitert. Dass die NPD ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept verfolgt und die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen will, bestätigte das Gericht allerdings ausdrücklich. Ihr politisches Konzept missachte die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, so die Verfassungsrichter.