Der Kölner Dom gehört zu den großen Attraktion der Stadt. Foto: Bopp

report-K präsentiert ausgewählte Beiträge aus dem Newsletter des Kölner Presseclub, den Sie hier abonnieren können. Für die redaktionellen Inhalte ist der Kölner Presseclub verantwortlich. Der Autor Moritz Küpper ist Vorstandsmitglied des Kölner Presseclubs und als Korrespondent und Buch-Autor tätig.

Köln ist nicht regierbar

Köln | Der „Elfte im Elfte 2022“ scheint nur ein weiteres Beispiel in einer langen Liste (unter anderem Kölner Silvesternacht, Opernsanierung, Geißbockheim-Erweiterung) zu sein, bei der man sich fragt: Wer eigentlich hat in Köln das Sagen? Wer gibt die Richtung vor? Wer entscheidet – und übernimmt dann auch Verantwortung? Eine Frage, die immer wieder hier im Newsletter gestellt wird. Und der ich (mit dem NRW-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, Christian Wernicke) für die jüngste Ausgabe des Magazins Klatsch. Klartext für Köln aus dem emons-Verlag nachgehen konnte.

Ums es kurz zu machen: Eine einfache Antwort gibt es nicht. Minister und andere hochrangige Amtsträger in der Düsseldorfer Staatskanzlei sagten mir schon vor Jahren, Köln sei nicht regierbar. Andere sehen eher ein Vakuum, die Macht über die Stadt liege „auf der Straße“. Stimmt, sagen wiederum Dritte, doch seien da auch jene, die sich die Macht einfach nähmen. Und dann gibt es – natürlich – eine gesetzliche Grundlage. Die Gemeindeordnung, die die Regeln definiert für das Zusammenspiel von Rat, Verwaltung, Parteien und Oberbürgermeister-Amt. Zwischen all den Institutionen also, die als „die Politik“ wahrgenommen werden. Was auffällt: Die Oberbürgermeisterin geht nicht mit lauten Wortmeldungen voran. Henriette Reker ist eher der Typ Verwaltungsexpertin. Als Parteilose musste sie Politik erst lernen. „Es kostet enorm viel Zeit und Energie, allein mit sachlichen Argumenten die nötigen Mehrheiten zu finden,“ sagt sie dazu. Und dann, nach einer Pause: „Und manchmal ist es unmöglich.“

Reker ist Kölnerin. Vielleicht ist es ihre kölsche Seele, die sie bei fernen Problemen regelmäßig sehr konkret werden lässt. Die Verletzung der Menschenrechte in der Türkei, der russische Krieg in der Ukraine – da kann sie schneidend scharf sein. Auch während der Flüchtlingskrise stand sie, als Verbündete von Angela Merkel, aufrecht ihre Frau – und verfasste anschließend noch einen Aufsatz für einen Sammelband zu Ehren der Bundeskanzlerin a.D. Titel: „‚Wir schaffen das!‘ Ein kommunaler Blick auf die europäische Migrationskrise“. Global konkret – aber lokal eher vage und ausweichend abstrakt? Im Streit um den Geißbockheim-Ausbau mied Reker monatelang jede klare Ansage, bis sie sich im Nachhinein (im Kölner Presse-Club) anders positionierte. Und die für viele (auch tolerante) Kölner durchaus sensible Frage, ob der Muezzin in Ehrenfeld, Südstadt oder Kalk zum Freitagsgebet rufen darf, beantwortete das Rathaus ohne Debatte. Er darf, wenigstens für zwei Jahre, dank eines überraschenden „Pilotprojekts“. Macht ist ein Wort, das Reker sofort relativiert. „Die Leute glauben immer, die OB könne alles entscheiden. Die wahre Lage zu vermitteln ist mühsam.“ Wenn Kinder bei einem Ortstermin fragen, ob sie hier „alles entscheiden“ dürfe,  erklärt Reker das so: „Nein, hier bestimmen viele. Und ich sorge dafür, dass das, was die meisten wollen, dann auch gemacht wird.“ 

„Da gibt es eine Toleranz bis zur Gleichgültigkeit“

Es hat aber auch mit der kölschen Mentalität tun, wie mir Volker Hauff erzählt hat. Jahrzehntelang regierte  in Köln die SPD. Über 40 Jahre war sie stärkste Kraft im Rat, besetzte das Oberbürgermeister-Amt. Der SPD-Fraktionschef war der starke Mann, der OB der verlängerte Arm. Die SPD regierte, die CDU fügte sich ein als zweite Kraft – auf Ratssitzungen, bei Posten-Vergaben, auf Karnevalsfeiern. „Es gibt keine Feindschaften – und dadurch keine Gegner“, beschreibt Volker Hauff diesen verlässlichen Zustand. „Die Opposition hat sich arrangiert, jeder bekommt genug.“ Hauff, selbst SPD-Mitglied, einst fünf Jahre Bundesminister sowie anschließend Oberbürgermeister von Frankfurt am Main: „Die Frankfurter lieben Konflikte, die Kölner hassen sie“. Seit vierzig Jahren lebt Hauff im Kölner Süden. „In dieser Zeit ist der Clodwigplatz mindestens sechs Mal umgebaut worden“, erzählt er. Irgendwann habe mal einer nach einem Nutzungskonzept gefragt. „Das gab es nicht“, erinnert er sich. Sein Fazit: „Bei den Kölner gehört das auch zur Mentalität, da gibt es eine Toleranz bis zur Gleichgültigkeit.“Wenn man ihn fragt, wer aktuell die Stadt regiere, sagt Hauff: „Niemand. Man möchte einfach keinen Streit.“ 

Frank wie Petelkau sind gleichsam „Maschinisten der Macht“

Rekers Kandidatur und Karriere zur ersten Oberbürgermeisterin Kölns im Jahr 2015 war letztlich auch die Antwort auf zwei Mängel, zwei Vakua. Die Kölner hatten die Nase voll von den Parteien – und CDU wie Grünen fehlten profilierte Köpfe als Spitzenkandidaten. Bei der früheren Öko-Partei war Jörg Frank, der Fraktionsgeschäftsführer, der Stratege. Und bei der CDU zog schon damals Bernd Petelkau als Fraktions- und Parteichef sämtliche Strippen. Frank wie Petelkau sind gleichsam „Maschinisten der Macht“, wie es sie schon oft gab in Köln. Männer, die im Bauch des kölschen Stadt-Schiffes alles regeln und lenken – die aber weder Charisma noch Schneid haben, als Kapitän sichtbar auf der Brücke zu stehen und für höchste Ämter zu kandidieren. Und Reker, die Parteilose, versprach einen Bruch mit dem alten System. Das Resultat? Eine verquere Umkehr der Verhältnisse: In Köln macht die Verwaltung oft Politik. Und die Politik Verwaltung. Zumindest aktuell. 

Nun werden die Weichen für die Zeit nach Reker gestellt. Klar scheint, CDU, SPD, aber auch die Grünen, werden wohl eigene Kandidaten finden müssen – aus Selbsterhalt. Wer das sein könnte? Achselzucken, betretenes Schweigen, bei jedem, den man fragt. Die Alternative zur Rückkehr der Parteien wäre eine neue, eine zweite Henriette Reker. Parteilos, über den Institutionen schwebend – weil es das kölsche Vakuum zulässt. Die Machtfrage in Köln ist also weiter offen.

(red04)