Köln | Beim Sommerblut-Festival zeigt die Literatur-Oper Köln zwei Werke Heinrich von Kleists: Die Novelle „Die Marquise von O…“ sowie das Essay „Über das Marionettentheater“. Die Novelle profitiert von der Vertonung, doch die theoretische Abhandlung wird zum lästigen Anhängsel.

Fäden, überall lange Fäden, die von der Decke bis zum Boden reichen. Es geht schließlich um Marionetten, um den Gliedermann. Der Erzähler (Thomas Huy) bewundert den Tänzer (Niklaus Loosli) für dessen Anmut. Seine Inspiration: Marionetten, denn eine natürliche Anmut gebe es erst in völliger Abwesenheit des eigenen Bewusstseins.

Es ist kompliziert. Kleists dialogischer Aufsatz „Über das Marionettentheater“ ist – trotz seiner Erzählungen – abstrakt. Ein theoretischer Text, manche sagen einer der wichtigsten, zur Bühnen-Ästhetik, der unterschiedlich gedeutet wurde. Er behandelt Körper und Körperlichkeit, passend zum diesjährigen Sommerblut-Schwerpunkt. Ihn nur deshalb als Literatur-Oper auf die Bühne zu bringen, wird dem Essay nicht gerecht, denn eine Vertonung kann der Komplexität offenbar nicht gerecht werden. So verkommt dieser – im Vergleich zur „Marquise von O…“ kurzer – Teil zum lästigen theoretischen Vorbau.

Bald schlägt nicht nur ein Herz

Die Stärke einer Literatur-Oper, die Schauspiel, Oper und Literatur verbindet und gemeinsam wirken lässt, zeigt sich anschließend. Die Marquise von O (Andrea Graff) wird von Soldaten misshandelt, bis sie ein Offizier (Christopher Auer) rettet. Der jedoch, so lauten die Berichte, wird im Kampf verletzt und stirbt.

Die verwitwete Marquise sitzt in einer Ecke, sie wankt, blutverschmiert. An die Rückwand ist eine Ultraschall-Aufnahme eines pochenden Herzens gebeamt. Dass bald nicht nur ihr eigenes Herz schlägt, sondern auch das ihres Kindes, erfährt sie selbst erst später.

Ihr Retter, der Offizier, ist jedoch nur verwundert, und er hält um die Hand an. Sowohl ihre Mutter (Juliane Bogner) als auch ihr Vater (Thomas Huy) sind ihm nicht abgeneigt, die Mutter singt schon begeistert von ihrer Freude über die Hochzeit. Doch würden die Eltern den Schweigersohn in spe jedoch gerne zunächst besser kennenlernen. Daraus wird nichts, der Offizier muss Befehle erfüllen und wird abberufen.

Die Musik unterstützt die Handlung und erhöht die Dynamik

Der Marquise geht es unterdessen immer schlechter. Der Arzt (Sofia Held) stellt fest: Die Lust auf saure Gurken und die morgendliche Übelkeit zeugen von einer Schwangerschaft. Die Marquise kann – oder will? – sich das nicht erklären, zweifelt mehr und mehr an sich selbst. Ihre Eltern zweifeln jedoch nicht daran, eine unsittliche Tochter zu haben, und werfen sie kurzerhand aus dem Haus. Regisseur Andreas Durban, der auch das Libretto geschrieben hat, zeigt hier ganz besonders die schon von Kleist kritisierte gesellschaftliche Doppelmoral.

Die atmosphärischen Klänge, das Klavier- und Trompetenspiel (Kompositionen: Michael Gerihsen und Henrik Albrecht) sind mehr als nur Begleitmusik. Sie unterstützen die Handlung, sie kommentieren, und sie erhöhen die Dynamik, etwa wenn in einem Stimmengewirr über die Zeitungsannonce der Marquise geredet wird, die darüber den Vater ihres Kindes sucht. Die Mischung aus gesprochenen Dialogen, Chor- und Solo-Gesang sorgt zusätzlich für eine besonders sinnliche Erfahrung.

So beweist die insgesamt zehnte Aufführung der Literatur-Oper Köln beim Sommerblut-Festival, was diese Verbindung der Gattungen leisten kann, wie sie den Text bereichern und erweitern kann, wo aber auch ihre Grenzen liegen.

[infobox]„Die Marquise von O… / Über das Marionettentheater“ – die nächsten Aufführungen: 12. und 13. Mai 2018, jeweils 20 Uhr. Urania Theater, Platenstraße 32, 50825 Köln.

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Autor: Fabian Schäfer | Foto: Andreas Durban / Sommerblut-Festival