Köln | Eine Woche, bevor sich der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln zum fünften Mal jährt, präsentierten die Stadt Köln sowie die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) eine Zwischenbilanz der bisher erfolgten Maßnahmen am Waidmarkt und skizzierten den weiteren Verlauf an der Unglücksstelle sowie die Realisierung des neu zu bauenden Stadtarchivs.

Das Kölner Stadtarchiv stürzte am 3.3.2009 um 13:58 Uhr ein. Zwei Menschen verloren bei dem Einsturz ihr Leben. Die Verursacher des Einsturzes stehen immer noch nicht fest. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und hat, um einer Verjährung vorzubeugen, 106 Menschen angeklagt.

Die Gesamtkosten

Laut Stadtdirektor Guido Kahlen summiere sich der zu erwartende Gesamtschaden, der durch den Einsturz des Stadtarchivs im März 2009 verursacht wurde, nach derzeitigen Schätzungen auf rund eine Milliarde Euro, wovon rund 400 Millionen Euro auf die Bergung und Wiederherstellung der beim Einsturz beschädigten Archivalien entfielen.

Kahlen geht derzeit davon aus, dass zum Ende des Jahres die Ursache des Einsturzes durch das Beweissicherungsverfahren am Waidmarkt widerspruchsfrei und eindeutig geklärt sein wird. Laut Stadt und KVB werden zwei mögliche Theorien für den Einsturz verfolgt. Zum einen die Theorie, dass ein Fehler an der Schlitzwand des unterhalb des Stadtarchivs errichteten Gleiswechselbauwerks zu dem Einsturz führte, zum anderen die Theorie, dass ein Bruch in einer tieferliegenden Erdschicht die Katastrophe auslöste. Anhand bisheriger Ergebnisse, gewonnen aus dem noch laufenden Ermittlungsverfahren, halten Stadt und KVB die erste Theorie für die Wahrscheinlichere und einzig ursächliche.

Beweissicherungverfahren soll im März beginnen

Auf Empfehlung und Beschluss des Landgerichts Köln soll im Rahmen des durch die KVB und die Stadt Köln beantragten Beweissicherungsverfahrens ein sogenanntes Besichtigungsbauwerk an der Ostseite des Gleiswechsels Waidmarkt errichtet werden. Das Bauwerk soll der Ermittlung der Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs und zweier angrenzender Wohnhäuser, bei dem zwei junge Männer ihr Leben verloren hatten, dienen.

Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt in einem strafrechtlichen Verfahren mit eigenen Gutachtern gegen Unbekannt wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und Baugefährdung. Um die Unglücksursache und die hierfür Verantwortlichen zu ermitteln, hatten die Stadt Köln und die KVB laut eigenen Angaben am 9. März 2009 zusätzlich ein selbständiges Beweissicherungsverfahren gegen die Arbeitsgemeinschaft Nord-Süd Stadtbahn Köln, Los Süd (kurz: Arge Los Süd) beim Landgericht Köln beantragt.

Durchgeführt werden soll dieses Verfahren von dem durch das Gericht bestellten Sachverständigen Ingenieur Hans-Georg Kempfert, emeritierter Professor für Geotechnik. Er arbeite unabhängig von den Antragstellern, sei vom Gericht bestellt und soll auch direkt an dieses berichten, betonten Vertreter von Stadt und KVB.

Das geplante Besichtigungsbauwerk soll von Gutachtern der Staatsanwaltschaft sowie dem Sachverständigen des Gerichts gleichermaßen genutzt werden, um die Schadensursache zweifelsfrei und eindeutig aufklären zu können, kündigten die Vertreter von Stadt Köln und KVB bei ihrer gemeinsamen Zwischenbilanz an.

Bau der Besichtigungsbaugrube

Nachdem die Stadt Köln die Archivalienbergung am Waidmarkt abgeschlossen hatte und die hierfür hergestellte Bergebaugrube – soweit erforderlich – zurückgebaut und verfüllt worden war, begannen im Oktober 2012 unverzüglich die Arbeiten zur Herstellung der Besichtigungsbaugrube. Diese wird von der KVB als Bauherrin in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Köln gebaut.

Die Besichtigungsbaugrube soll vor der Schlitzwandlamelle 11 an der Ostseite des Gleiswechselbauwerks errichtet werden und schließt direkt an die Schlitzwand des Gleiswechsels Waidmarkt an. In einer Tiefe von rund 20 bis 26 Metern unterhalb der Oberkante des Gleiswechselbauwerks und bis etwa 6 Meter tief unter der Baugrubensohle des Gleiswechselbauwerks wird auf Grundlage bisheriger Messergebnisse ein Defekt in der Schlitzwand zwischen den Lamellen 9 und 12 vermutet. Hinweise darauf ergaben sich laut Stadt und KVB durch thermische und seismische Untersuchungen, die der Sachverständige des Landgerichts, Professor Kempfert bereits kurz nach dem Einsturz durchgeführt hatte. Die Untersuchen hätten ergeben, so Professor Moormann, Geotechnischer Berater der Stadt Köln, dass an und entlang der östlichen Schlitzwand des Gleiswerkbaus eine geringe Lagerungsdichte des Bodens vor den Verdachtsflächen der infragekommenden Lamellen festgestellt worden sei.

Taucher übernehmen Beweissicherung

Der Grundwasserspiegel am Waidmarkt liegt laut KVB-Angaben- je nach Rheinpegel – rund neun Meter unter der Geländeobekante. Ab dieser Marke steht Wasser in dem Besichtigungsschacht, das aus Gründen der Statik nicht abgepumpt werden kann. Die Untersuchungen zur Beweissicherung können daher nur von Tauchern ausgeführt werden, die nach Vorgabe und im Ermessen des vom Gericht bestellten Gutachters Professor Kempfert arbeiten werden sollen, so KVB-Vorstand Jörn Schwarze.

Nachdem die Baugrubenumschließung der Besichtigungsbaugrube am Waidmarkt fertig gebaut und an die Schlitzwand des Gleiswechsels angeschlossen worden ist, soll mit dem Aushub des Erdreichs begonnen werden. Noch im März soll dann Gutachter Kempfert die Baugrube übernehmen. Unter seiner Regie sollen Spezialtaucher aus den Niederlanden ihre Arbeit aufnehmen.

Mithilfe einer Saugpumpe und unter Aufsicht des Gutachters sollen die Taucher zunächst weitere 6,50 Meter Erdreich aus dem Besichtigungsschacht entfernen. Im Anschluss erfolge der weitere Aushub in 50 Zentimeter-Schritten, so Schwarze. Nach dem Abpumpen der Erde wird die Schlitzwand abschnittsweise untersucht. Die Befunde sollen mittels Videoaufnahmen dokumentiert und anschließend ausgewertet werden.

Kosten und Dauer der Beweissicherung

Derzeit gehen KVB und Stadt Köln davon aus, dass das Beweissicherungsverfahren zum Ende des Jahres 2014 abgeschlossen sein sollte.

Für die Errichtung des Besichtigungsbauwerks wurden vom Rat der Stadt Köln insgesamt rund 17,5 Millionen Euro genehmigt. Inzwischen sei absehbar, so die KVB schriftlich, dass die Kosten für das Bauvorhaben sich unter anderem durch notwendige Modifizierungen des Bauvorhabens, damit einhergehende Bauzeitverzögerungen, Probleme bei der Herstellung der Eiskörper und dergleichen erhöhen würden. Eine konkrete Angabe zu den Kostenerhöhungen könne derzeit seitens den KVB noch nicht gemacht werden, da die Bewertung der hierzu vorliegenden Nachträge noch in der Bearbeitung sei.

KVB: Rund sieben Millionen Euro Entschädigungsleistungen gezahlt

Bis heute wurden laut Angaben der KVB rund 7,1 Millionen Euro an Entschädigungsleistungen ausgezahlt. Darin enthalten seien Haftpflichtleistungen in Höhe von rund 3,0 Millionen Euro sowie Kulanzleistungen der KVB in Höhe von rund 4,1 Millionen Euro.

Insgesamt so die KVB, hätten bisher 247 Anspruchsteller Schäden aufgrund des Unglücks Waidmarkt bei der KVB, der Stadt Köln oder dem Schadensregulierer Cunningham Lindsey ZORN gemeldet. Hiervon seien 221 Anspruchsteller bereits abschließend entschädigt worden. Leihgeber des Archivs sowie am Bau beteiligte Unternehmen sind laut KVB in dieser Aufstellung nicht berücksichtigt.

Von den 102 betroffenen Mietern der eingestürzten und umliegenden Häuser seien bereits 96 entschädigt worden, teilt die KVB schriftlich mit. Noch nicht abgeschlossen sei die Restentschädigung für zwei klagende Parteien, insgesamt vier Mieter.

Von den 145 restlichen Anspruchstellern, hierzu zählten Gewerbetreibende, Gebäudeeigentümer sowie sonstige Personen, seien bereits 125 entschädigt, 20 Vorgänge befänden sich noch in Bearbeitung, so die KVB. Dies sei auf die Komplexität der Fälle zurückzuführen oder liege daran, dass von der KVB gegebene Darlehen noch liefen. Von den drei Eigentümern der eingestürzten Häuser ist nach KVB-Angaben ein Eigentümer komplett entschädigt worden, die beiden anderen verlangten einen Wiederaufbau ihrer eingestürzten Häuser. Bei den abgeschlossenen Vorgängen habe sich die KVB, so unternehmenseigene Angaben, auch aufgrund „großzügiger Kulanzregelungen“ mit den Anspruchstellern gütlich geeinigt, mehrere davon seien anwaltlich vertreten gewesen.

Stadt: Bisherige Kosten rund 90 Millionen Euro

Laut einer Auflistung der Stadt Köln, Stand 31. Januar 2014, hat diese rund 90 Millionen im Zusammenhang mit dem Archiveinsturz ausgegen. Rund 44,5 Millionen davon entfielen der Auflistung zufolge auf die Bergung und Restaurierung der Archivalien. Zusammengefasst rund 13,5 Millionen entfielen, auf Grundlage der Auflistung durch die Stadt auf Rechts-, Versicherungs- sowie technische Beratung Rund fünf Millionen flossen in die Gründung einer Stiftung, in der Auflistung nicht genauer benannt. Einen weiteren großen Posten nimmt mit rund 14,2 Millionen der Schadensausgleich an die KVB gemäß des Nord-Süd-Stadtbahnvertrags ein. Weitere Posten auf der Auflistung sind unter anderem Kosten für die Gefahrenabwehr und Sicherheit (rund 4,6 Millionen Euro) sowie die Interimsunterbringung und Sicherung der benachbarten Schulen (rund 2,2 Millionen Euro).

Schwarze (KVB): derzeit geschätzte Gesamtinbetriebnahme in 2019

Nach Ratsbeschluss vom 30. April 2013 soll laut Schwarze (KVB) die Teilinbetriebnahme des Bereichs der Nord-Südbahn zwischen den Haltestellen Severinstraße und Rodenkirchen – teilweise auch Sürth – spätestens ab Sommer 2016 in beiden Tunnelröhren verkehren. Mit einer Gesamtinbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn rechne man seitens der KVB derzeit für das Jahr 2019, vorbehaltlich der Ergebnisse aus dem Beweissicherungsverfahren, so Schwarze.

Schmidt-Czaia: rund 110.000 Kartons geborgen

Laut der Leiterin des Historischen Archivs, Bettina Schmidt-Czaia, konnten rund 95 Prozent der insgesamt 30 Regalkilometer umfassenden Archivalien oberhalb und unterhalb des Grundwasserpegels geborgen werden. Diese seien zunächst in knapp 20 sogenannten „Asylarchiven“ in der gesamten Bundesrepublik zwischengelagert worden. Zwei Drittel der Archivalien seien inzwischen wissenschaftlich erfasst und eingelagert worden. Die Stadt Köln errichtete in Köln-Porz ein neues Restaurierungszentrum für das Historische Archiv, sukzessive sollen Archivalien wieder aus Asylarchiven nach Köln zurückgeholt und der Forschung wieder bereitgestellt werden. 6.500 Archivalien hätten dort dort bisher konservatorisch behandelt werden können, so Schmidt-Czaia.

Rund 1.000 Einzelobjekte seien restauriert worden, über 10.000 Kartons an Urkunden und anderen Archivalien seien in einem speziellen Verfahren trockengereinigt worden. Geplant sei, so Schmidt-Czaia, noch in diesem Jahr einen Großteil der auswärts gelagerten Archivalien in dem ehemaligen Gebäude des Landesarchives in Düsseldorf und damit in unmittelbarer Nähe Kölns zu konzentrieren. Man befinde sich derzeit noch in Verhandlungen. Momentan seien die Kölner Archivalien noch auf insgesamt zwölf Standorte verteilt. Augenblicklich sei ein Zugriff auf rund 2,5 Millionen Digitalisate des Archivs, gewonnen aus Mikrofilmen verfügbar so Schmidt-Czaia. Hinzu kämen rund 1,2 Millionen Digitalisate, gewonnen aus geborgenen Originalen.

Neubau Historisches Archiv

Mit den Vorarbeiten für den Neubau des Historischen Archives in Köln am Eifelwall soll noch in diesem Jahr begonnen werden, so Baudezernent Franz-Josef Höing. Die Fertigstellung sei für das Frühjahr 2019 vorgesehen. Dem Archiv sollen künftig 20.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung stehen, 45 Regalkilometer Platz soll das neue Magazinhaus bieten, das das künftige Herzstück des Archivgebäudes bilden soll. 76,3 Millionen Euro stünden als Kostenrahmen für den Komplex zur Verfügung, so Höing. Über die endgültige Ausgestaltung des Archivs solle bis Ende April Klarheit bestehen.

Im Dezember 2010 hatte die Stadt Köln den Architektenwettbewerb für den Neubau des Historischen Archivs am Standort Eifelwall/Luxemburger Straße mit einem internationalen Teilnehmerwettbewerb gestartet. Der Gewinner-Entwurf des Architekturbüros Waechter und Waechter aus Darmstadt sei nach der erfolgten Konzentration auf die ausschließliche Nutzung durch das Historische Archiv mit dem Rheinischen Bildarchiv überarbeitet worden, erste überarbeitete Pläne lägen vor.

Kranzniederlegung und Mahnwache zum fünften Jahrestag

Eine protokollarisch offizielle Kranzniederlegung durch Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters zum Gedenken an die Opfer des Einsturzes soll laut Stadt am 3. März 2014 um 7:30 Uhr, vor Beginn des Rosenmontagszugs, stattfinden. Daneben hatte im Vorfeld die Bürgerinitiative „Köln kann auch anders“ angekündigt, ebenfalls am 3. März, exakt um 13:58 Uhr, dem Zeitpunkt des Einsturzes, mit einer Mahnwache und einer Gedenkfeier unter dem Titel „Schutt und Schande“ am Unglücksort an die Opfer des Einsturzes zu erinnern.

Autor: Daniel Deininger | Foto: Stadt Köln
Foto: Die Einsturzstelle des Historischen Archivs der Stadt Köln im Jahre 2009 (Archivfoto).