Köln/Kall | Report-K besuchte die Dokumentationsstätte ehemaliger Ausweichsitz der Landesregierung NRW in Kall in der Eifel. Harald Röhling bietet dort interessante Führungen durch einen Bunker an. Führungen, die in die Zeit des Kalten Krieges der 1960 und 1970er Jahre entführen, denn der Bunker ist zu großen Teilen noch eingerichtet. Von Köln aus ein Ausflug, der mit dem 49 Euro Ticket zu erreichen ist.

+++ Telex +++ achtung +++ achtung +++ wichtige lagemeldung +++ mehrere detonationen im ruhrgebiet +++ warnaemter geben in kuerze detaillierte informationen vorbereitende massnahmen sofort einleiten es ist jetzt 13:05 Uhr +++ ende der lagemeldung +++

Telexmeldung, die die Geräte im Bunker ausspucken
Der Eingang zur Dokumentationsstätte ehemaliger Ausweichsitz der Landesregierung NRW

Versteckt im Eifelwald

Eine kleine geteerte Zuwegung führt zu einem besonderen Ort in der Eifel oberhalb von Kall-Urft. Ein Schlagbaum, der nach oben ragt, dann folgt ein geöffnetes Metalltor. Rechts stehen zwei Garagen mit braunen Toren und 1970er Außenleuchten. Auf dem Grundstück befindet sich ein Haus, auf dem ein Schild mit dem Wort Anmeldung angebracht ist. Es ist ein ungemütlicher und kalter Samstagnachmittag – ideal für eine Bunkertour bei 7 Grad Celsius. Hagelschauer ziehen über die Eifel und am Bahnhof von Urft arbeiten Männer mit großen Maschinen. Noch immer verhindert die beim Hochwasser Mitte Juli 2021 zerstörte Bahnstrecke die Weiterfahrt der Eifelbahn über Kall hinaus. Wer mit der Bahn anreist, muss daher ab Kall eine Station mit dem Schienenersatzverkehr nach Urft zurücklegen und erreicht nach einem rund 15-minütigen Spaziergang von der Bushaltestelle das Dokumentationszentrum Ausweichsitz der Landesregierung NRW.

Harald Röhling erklärt sehr lebendig

Samstag um 16 Uhr gibt es eine Führung. In der Anmeldung sind die ersten Besucherinnen und Besucher eingetroffen. Harald Röhling kassiert die Eintrittsgelder. Gleich wird er seine gelbe Warnweste anziehen und mit der Gruppe zu den Garagen gehen. Denn dort beginnt seit Ende der 1970er Jahre der Aufstieg zu einem besonderen Ort. Der Ausweichsitz der Landesregierung NRW ist ein Bunker, der für 200 Mitarbeitende der Landesregierung gedacht war und ein Relikt aus den Zeiten des Kalten Krieges. Vor allem der Zivilschutz im Ernstfall sollte von hier aus organisiert werden. Heute in Zeiten mulilateraler Krisen flammt die Diskussion nach Schutzräumen in Deutschland seit geraumer Zeit wieder auf. Wir fragen Röhling, ob die NRW-Landesregierung bei ihm als aktuellem Besitzer schon angefragt habe, ob sie den Bunker wiederhaben könne? Röhling lacht und sagt: nein, noch nicht, aber es gab Anfragen von Privatpersonen, die wissen wollten, ob sie im Ernstfall bei uns unterkommen können. Das haben wir natürlich verneint. Ernstfall ist ein Wort aus dem Kalten Krieg und dürfte bei vielen Menschen, die später als den 1980er Jahren geboren sind nicht mehr zum Standardvokabular zählen.

Die Bundesregierung hatte vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Stilllegung von Schutzräumen gestoppt und eine Untersuchung bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben angestoßen, wie viel Schutzräume es denn noch gebe. Das Ergebnis 579 Schutzräume in denen rund 480.000 Menschen unterkommen könnten. Viele der Anlagen seien nicht einsatzbereit, aber eine Reaktivierung sei „grundsätzlich möglich“. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Schutzniveau, also ob die Bunker in einem konventionellen Krieg oder im atomaren Ernstfall gebraucht würden.

Der Eifelbunker

Der Bunker in der Eifel war in den 1960er Jahren errichtet worden und für den atomaren Ernstfall gedacht. Hier sollten sich 200 ausgesuchte Beamte des Innenministeriums NRW für 30 Tage autark aufhalten können, um den Zivilschutz bei einem atomaren Angriff aus dem Warschauer Pakt auf die NATO im Land NRW zu steuern. Röhling steht an der Treppe unter einer Neonröhre und erläutert den 15 Besucherinnen und Besuchern die Lage, in die es jetzt galt, sich hineinzuversetzen: Sie seien Beamte des Innenministeriums NRW und stiegen in Düsseldorf in Busse der Polizei NRW. Dafür sollten die Beamten immer ein gepacktes Köfferchen haben. Dann wäre es in die Eifel losgegangen. Im Bus wäre ihnen das Einsatzszenario erklärt worden. Atombomben seien im Ruhrgebiet niedergegangen.

Die Teilnehmer der Führung, jetzt eingebrieft als Beamtinnen und Beamte der Landesregierung,  steigen hinauf zum NRW-Regierungsbunker. Betontreppen mit Metallgeländer und schwarzem Plastikabschluss. Gleich werden wir in eine Welt der 1960er und 1970er Jahre eintauchen. Wir erreichen die Schleuse und sehen Gasmasken und Schutzanzüge sowie baumwollene Unterwäsche. Eine Gegensprechanlage. Röhling erklärt wie der Eintritt in den Bunker geregelt war. Es ist nicht nur die Kälte die manche Teilnehmerin oder Teilnehmer frösteln lässt, sondern auch das Ambiente. Ein besonderes Detail: In den 1960er und 1970er Jahren wären hier nur Männer angekommen. Keine einzige Frau wäre im Bunker im Einsatz gewesen.

Ein Beamtenbunker

Wir kommen in den Bunker, ein Kran, die Gegensprechanlage und es geht einen schmalen Gang entlang zu einem Treppenhaus, wie es für die 1960er Jahre typisch war. Es ist kalt aber nicht eisekalt. Es wird aber auch aktuell nicht geheizt. In früheren Zeiten heizte die NRW-Landesregierung den Bunker konstant auf 19 bis 20 Grad, damit dieser jederzeit einsatzbereit war. Mit was: Heizöl. Wir bekommen einen Eindruck von der Dimension der Anlage, den Ansauganlagen für Luft und die gigantischen Filtersysteme, die die Regierungsbeamten vor radioaktivem Fallout schützen sollten. Die Bunkeranlage erstreckt sich über mehrere Stockwerke. Wir sehen die Kommunikation der 1960er Jahre mit Telefonen mit Wählscheiben, Headsets und Karten von NRW. Röhling erzählt lebendig und entführt uns in die Welt der Beamten. Die Kinder sind völlig fasziniert von diesen Sprechapparaturen mit Hörer und Wählscheibe. Es wird aber noch besser: Telex-Geräte stehen empfangsbereit auf den Tischen, so als könnten die Herren Beamten jederzeit hier einrücken. Eines spukt die Meldung aus: „+++ Telex +++ achtung +++ achtung +++ wichtige lagemeldung +++ mehrere detonationen im ruhrgebiet +++ warnaemter geben in kuerze detaillierte informationen vorbereitende massnahmen sofort einleiten es ist jetzt 13:05 Uhr +++ ende der lagemeldung +++“

Ausnahmesituation

Röhling gelingt es eine Atmosphäre aufzubauen, in der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führung in die Fragestellungen der Zeit und der Ausnahmesituation hineinversetzen. Wie ernährt eine Regierung über 18 Millionen Menschen in NRW in einer Ausnahmesituation? Welche Optionen gibt es, kann Getreide einfach von Bauern requiriert werden? Welche juristischen Fragestellungen ergeben sich? Eine immer noch vollständig eingerichtete Bibliothek könnte Antworten geben. Davor stehen Schreibmaschinen. Eine Teilnehmerin fragt, ob der Bunker heute wieder in Betrieb genommen werden könnte? Röhling ist der Auffassung, dass der Bunker für all die moderne Technik zu aufwändig umgebaut werden müsste und technisch nicht mehr auf einem Stand ist, wo dies einfach nachgerüstet werden könnte. Röhling fragt wer denn heute noch ein Transistorradio mit Batterien oder Handbetrieb zu Hause habe? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer blicken sich um. Es wird schnell klar: niemand mehr und viele dürften in diesem Moment denken: Ich habe doch mein Smartphone mit Internet und Nina-Warn-App. Diesen Gedanken macht Röhling schnell ein Ende: Und was ist, wenn der Strom ausfällt? Dann haben die Smartphones zwar noch für ein paar Stunden Akku, aber auch der Sendemast braucht Strom.

Ordnung muss sein – auch im Ernstfall

200 Menschen inklusive Politpromi auf engstem Raum

Es gibt ein Einzelzimmer. Das war für den Ministerpräsidenten des Landes NRW reserviert. Die Minister mussten sich schon die Zimmer teilen und in Doppelstockbetten schlafen. Es folgt der Raum für die kleine Lagebesprechung, die Duschen und Waschräume und ein kleines Lager mit Scheuermittel aus den 1960er Jahren. Es gab Dreibettzimmer mit Stockbetten und große Schlafsäle, in denen die 200 zusammengepferchten Menschen in Schichten zu 12 Stunden schlafen mussten. Man mag sich nicht ausmalen, wie der Bunker, der sogar ein WDR-Radiostudio hatte, in Betrieb ausgesehen hätte.

Wer einmal in die Zeit des Kalten Krieges eintauchen will für den ist die Bunkerführung ein interessanter Ausflug, denn Röhling erzählt nicht nur lebendig, malt auf Karten, sondern kennt die Geschichte des Bunkers in und auswendig.

Alle Infos zu Führungen oder Buchungen für Gruppen finden sich auf der Website der Dokumentationsstätte ehemaliger Ausweichsitz der Landesregierung NRW: ausweichsitz-nrw.de

Anfahrt zur Dokumentationsstätte ehemaliger Ausweichsitz der Landesregierung NRW

Am Gillesbach 1
53925 Kall-Urft

Mit der Bahn

RE22 (Fahrtzeit: 56 Minuten) oder RB24 (Fahrtzeit: 1 Stunde 5 Minuten) ab Köln (Köln Deutz, Köln Hbf, Köln West, Köln Süd) bis Kall Bf.
Die Bahnen fahren etwa im Halbstundentakt.

Weiter ab Kall Bf mit dem Bus bis Kall Urft Bf:
EV (Ersatzverkehr) Richtung Gerolstein (Fahrzeit 9 Minuten ohne Zwischenhalt) fährt stündlich
770 Richtung Mirbach Bürgerhaus, Wiesbaum (Fahrzeit 7 Minuten ohne Zwischenhalt) fährt viermal täglich
AST 886 Richtung Wahlen Marmagener Str., Kall (Fahrzeit 11 Minuten 4 Haltestellen) fährt stündlich, sonn- und feiertags zweistündlich

Anschließend 850m Fußweg über Urfttalstraße und Am Gillesbach bis zur Dokumentationsstätte