Von Christoph Mohr
Köln | Gerhard Richter feiert seinen 90. Geburtstag – und macht mal wieder alles anders. Während sich andere Künstler zu solchen Anlässen mit Lobpreisungen überhäufen oder mit großen Retrospektiven feiern lassen, schenkt sich Gerhard Richter selbst eine Ausstellung. Nicht in Köln, wo er seit Jahrzehnten lebt und arbeitet, nicht in Berlin, wohin er ein über 100 Werke zählendes Konvolut gegeben hat, sondern in Dresden, seiner Geburtsstadt.
Gerhard Richter ist Dresden, wo er an der Kunstakademie studierte, bevor er 1961 nach Westdeutschland flüchtete, eng verbunden. Hierher gab er sein Archiv, das seit 2006 von Dietmar Elger geleitet wird, der zugleich wichtiger Sachwalter des Künstlers ist, Herausgeber des Werkverzeichnisses (Catalogue Raisonné) und Autor der maßgeblichen, im Kölner DuMont-Verlag erschienenen Richter-Biographie.
Natürlich kommt einer solchen vom Künstler selbst kuratierten Ausstellung zu einem solchen Datum eine hohe Symbolkraft zu, selbst wenn man darin nicht gleich ein „Best of Gerhard Richter“ oder gar eine Lebensbilanz sehen muss.
Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), die die Ausstellung „Gerhard Richter – Portraits. Glas. Abstraktionen“ beheimaten, sagt: „Es ist eine ganz präzise, aber auch bescheidene Ausstellung, die in großer Intensität den Kern seines Werkes vorstellt.“
Die Ausstellung zeigt insgesamt 40 Bilder und Objekte, die zum einen aus Richters eigenen Besitz stammen oder aus von ihm in die Gerhard Richter Kunststiftung überführte Arbeiten, zum anderen aus Leihgaben aus Privatsammlungen sowie dem Museum of Modern Art (MoMa) New York, der Albertina Wien, der Hamburger Kunsthalle und dem Museum Ludwig Köln.
Was also wählt Richter aus?
Der zweifellos persönlichste Raum ist gleich der erste. Hier hat Richter seine eigene Familie versammelt: Portraits seiner Ehefrau Sabine und seiner vier Kinder Betty, Moritz, Theo und Ella, die Serie „S mit Kind“ (1995), vervollständigt durch ein Selbstportrait und ergänzt durch einige Landschaftsbilder, „die zum Teil einen sehr persönlichen und sehr emotionalen Hintergrund haben“, wie zu lesen ist.
Diese Auswahl mag aus mehreren Gründen erstaunen: Zum einen ist Gerhard Richter mit Selbstäußerungen extrem zurückhaltend, zum anderen ist er eben kein Portraitmaler in dem Sinne, dass die Portraitierten auf seinen Bildern dargestellt und erkennbar sind.
„Betty“ (1977) (Werkverzeichnis 425-4) hängt normalerweise als „Dauerleihgabe aus einer Privatsammlung“ im Museum Ludwig. Das nur leicht verunklarte Selbstportrait (836-1) von 1996 gehört dem Museum of Modern Art (MoMa) in New York, das mit über 100 Richter-Arbeiten eine der größten Richter-Sammlungen weltweit beherbergt.
Die persönlichen Bezüge der Landschaftsbilder bleiben dem Betrachter unkenntlich; erst der Blick in das Werkverzeichnis, Richters „Atlas“ genannte Materialiensammlung und die Biographie legen die Zusammenhänge offen.
Ausgestellt sind mit „Gehöft“ (861-1; 1999) und „Waldhaus“ (890-1; 2004) zwei typische verunklarte Richter-Arbeiten. Was hier (nicht) zu sehen ist, ist Sils Maria im schweizerischen Engadin und das Hotel Waldhaus. Das Grand Hotel, 1908 eröffnet und noch heute in fünfter Generation von Claudio und Patrick Dietrich familiengeführt, ist selbst eine Hotellegende. Hermann Hesse, Thomas Mann und Friedrich Dürrenmatt, waren hier Gast, Joseph Beuys, Marc Chagall und Max Liebermann, Richard Strauss, Albert Einstein und Luchino Visconti. Und hier hat auch Gerhard Richter des Öfteren seine Ferien verbracht; offenbar sind sehr positive Erinnerungen damit verbunden.
Der zweite Ausstellungssaal versammelt großformatige „Abstrakte Bilder“ für die Gerhard Richter weltbekannt ist und die auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erzielen. Zu sehen sind vor allem Arbeiten aus den letzten Jahren.
Von großer biographischer Bedeutung ist hier das „Abstrakte Bild“ (952-4) aus dem Jahr 2017. Es ist das Bild, mit dem Gerhard Richter gleichsam offiziell sein malerisches Schaffen abschloss. Es sollte sein letztes Bild sein.
Der dritte Ausstellungssaal zeigt Gerhard Richter als Bild-Experimentator. Wie entstehen Bilder? Wie viel kann man dabei dem Zufall überlassen? Das sind Fragen, die Gerhard Richter jahrzehntelang beschäftigt haben. Im Übrigen auch beim Richter-Fenster im Kölner Dom, deren Tausende farbige Glasquadrate mehr oder minder nach dem Zufallsprinzip angeordnet sind.
In der Dresdner Richter-Ausstellung finden sich drei großformatige Gemälde mit genau solchen bunten Quadraten. Der Raum ist mit großer Raffinesse gehängt: An den beiden Seiten der drei Gemälde befinden sich Spiegel („Spiegel“ (687/5-6) (1989), die den Eindruck vervielfältigen. Dadurch erscheint der gesamte Raum von diesen kleinen farbigen Quadraten ausgefüllt – ein Effekt nicht unähnlich dem des Richter-Fensters im Kölner Dom.
Komplettiert wird der Raum mit dem zehn (!) Meter langen „Strip“ (930-6) (1989), auch hier ist die Farbverteilung mehr oder minder Zufall.
Gerhard Richter ist sich auch mit dieser Ausstellung treu geblieben. Er hat sie selbst schon lange geplant, die Auswahl der Exponate bestimmt und die Hängung überwacht. Sie ist ein persönliches Statement, aber was sie sagt, muss der Besucher selbst herausfinden. Gerhard Richter selbst ist präsent und persönlich abwesend. Trubel um seine eigene Person bleibt ihm unangenehm; zur Ausstellungseröffnung ist er nicht nach Dresden gefahren.
Gerhard Richter
Portraits. Glas. Abstraktionen
Dresden, Albertinum
Bis 01.05.2022
kostenloses Faltblatt (20 Seiten), kein Katalog
Dietmar Elger
Gerhard Richter. Maler.
DuMont, Köln 2002, aktualisierte Neuausgabe 2018
36,00 €