Wuppertal |Im zweiten Stock der alten Textilfabrik in Wuppertal schaut Yasemin Markstein konzentriert auf den Computer. Ist das Bild wirklich perfekt? Wird dieses bunte Puzzle aus Fotos und Grafiken die Zuschauer ins Kino locken? „Das hier ist das Plakat für unseren neuen Film ‚Ein Tag Wuppertal‘. Wir haben da all unsere freien Mitarbeiter, alle Bekannten, eigentlich alle jungen Wuppertaler aufgerufen, einen Tag ihres Lebens zu filmen. Mal sehen, was da so alles kommt“, freut sich die 22-Jährige.

Vor fünf Jahren saß sie das erste Mal auf dem großen Sofa des Medienprojektes Wuppertal. Seit ihrem Abitur arbeitet sie fest in einer der größten Filmschmieden Deutschlands für Nachwuchsregisseure und Kameraleute. Insgesamt 130 Dokumentarfilme, zwischen 30 Minuten und zwei Stunden lang, entstehen hier jährlich. Drehbuch, Regie, Kameraarbeit und Text liegen dabei immer in den Händen der freiwillig tätigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Ich helfe ihnen, wo ich kann, erkläre die Kameras, die Rekorder, den Schnitt, das Drehbuch, wenn jemand nicht weiter weiß. Die Ideen liefern die Jugendlichen selbst“, erklärt Markstein. Das Motto der Nachwuchsfilmer lautet: „Das bestmögliche Video für das größtmögliche Publikum.“

Das Medienprojekt Wuppertal gibt es seit zehn Jahren

Mit dem klaren Fokus auf soziale Tabuthemen eckt das Medienprojekt immer wieder an, beispielsweise im Sommer 2010 mit einem Film, der auf die Folgen rigorosen Sparens aufmerksam machte. Der Titel lautete: „Wuppertal kackt ab“. Yasemin Markstein fuhr mit einem Kameramann nach Düsseldorf, um mit Verantwortlichen der WestLB über die Schulden der Stadt Wuppertal zu sprechen. „Natürlich mussten wir damals viel recherchieren, um nicht völlig hilflos dazustehen. Du fängst an, Filme zu drehen und lernst dabei plötzlich etwas über Finanzpolitik. Das war bis jetzt mein aufregendstes Projekt“, berichtet sie.

Diese Jahr feiert das Medienprojekt Wuppertal sein zehnjähriges Bestehen. Die Jugendlichen treten mit Themenvorschlägen an das Team von Initiator Andreas von Düren und Yasemin Markstein heran und bei Realisierbarkeit wird im großen Pool der freien Mitarbeiter gefragt, wer einen privaten Zugang zu den vorgeschlagenen Themen hat. Bei rund 1.000 Beteiligten zwischen 13 und 26 Jahren aus allen Teilen der Stadt im Bergischen Land gibt es eine hohe Trefferquote und jeweils viele Bekannte und Verwandte, die sich gerne an einem Projekt beteiligen möchten.

So entstehen seit 2002 regelmäßig sehr private Aufnahmen, in denen auch Themen wie Sucht, Sex und Gewalt respektvoll besprochen werden. „Gerade bei Filmen über Krankheit oder Tod gibt es sehr viele Jugendliche, die Geschichten aus ihren Familien oder ihrem Freundeskreis erzählen können“, sagt von Düren.

Die Jungfilmer beschäftigen sich immer wieder mit Themen, die sonst kaum diskutiert werden. Dazu gehören psychische Probleme von Migranten, Gewalt unter Mädchen und auch die Frage, wie man sich als Geschwisterkind eines Behinderten fühlt. „Ich werde durch das Filmemachen reifer“, sagt Markstein nachdenklich und fügt hinzu: „Ich spüre, wie groß die Verantwortung gegenüber den Gesprächspartnern auf der anderen Seite der Kamera ist und will dieser gerecht werden.“

Das Publikum reagiert emotional auf die Filme der Jugendlichen

Wöchentlich werden die Filme im größten Kino der Stadt gezeigt. Dort ist der Andrang regelmäßig groß, weil die jungen Dokumentarfilmer häufig mit vielen Freunden und Bekannten die Ergebnisse ihrer Arbeit betrachten möchten. Und die Reaktionen des Publikums sind immer wieder verblüffend. Ein Beispiel erzählt Yasemin Markstein von der Premiere eines Films über Demenz in einer türkischstämmigen Familie. „Diese Krankheit ist ein Tabu. Und plötzlich steht im Kino eine Frau weinend auf und ruft: Bitte helft mir, ich bin auch davon betroffen.“ Die im Film gezeigten Protagonisten hätten lauten Applaus bekommen, all das werde sie wohl nie vergessen.

Für das Filmprojekt „Ein Tag Wuppertal“ sei der soziale Aspekt nicht ausschlaggebend, erklärt Markstein: „Es gibt nur wenige technische Vorgaben. Wir möchten zeigen, dass jeder Mensch eine spannende Geschichte zu erzählen hat.“ Gerade deshalb passe das bunte Puzzle auf dem Filmplakat perfekt, findet die junge Frau. Sie lächelt zufrieden und speichert das Motiv.

Autor: Emily Loh, dapd | Foto: Mark Keppler/dapd
Foto: Yasemin Markstein, Mitarbeiterin des Medienprojekts Wuppertal, betrachtet am Freitag in Wuppertal mit ihrem Kollegen Justin Braun auf einem Monitor einen vom Medienprojekt produzierten 3D-Animationsfilm.