War der Karneval wirklich unpolitisch?
"Hurra, die Juden ziehen aus" lautet der Titel einer Büttenrede aus dem Jahr 1936. Im gleichen Jahr rollt ein Festwagen im Rosenmontagszug mit, auf dem die Nürnberger Gesetze – symbolisiert durch einen großen, schweren Paragraphen – einem Juden ganz wörtlich "auf den Schlips" treten. Am Rand klauben Kölner Kinder als "Juden" verkleidet Kamelle auf. Von unpolitischer Unterhaltung kann hierbei keine Rede mehr sein. Dennoch verbreitete sich Jahrzehnte lang die Legende, der Karneval sei unpolitisch oder gar widerständig gewesen. Eine tatsächliche Aufarbeitung der jecken NS-Zeit fand nicht statt, sondern wurde tabuisiert. Erst um das Jahr 2000 änderte sich diese Haltung, eine ganze Reihe von Studien erlaubten nun einen kritischen Umgang mit dem Karneval. Doch erst 66 Jahre nach Kriegsende kann heute Abend nun deutschlandweit die erste Ausstellung veröffentlicht werden, die das Thema Fastnacht während des Nationalsozialismus präsentiert.

Die Sonderausstellung "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz" im NS-Dokumentationszentrum (NS-Dok) entwickelt dabei einen differenzierten Blick auf die Entwicklung des Kölner Karnevals von 1933 bis 1945. Der Besucher erfährt den schönen Schein einer fröhlichen Bevölkerung. Zugleich ermöglicht die Ausstellung einen Blick hinter die Kulissen dieser bunten Welt. Denn auch wenn sich der Karneval unter dem NS-Regime auf den ersten Blick kaum änderte, wurde auch er gleichgeschaltet und instrumentalisiert. Dabei werden in der Schau ganz so wie im Karneval selbst alle Sinne der Besucher angesprochen: Neben großen Texttafeln zeigt die Schau unzählige Fotos aus der Zeit, Original-Tonaufnahmen von Karnevals-Liedern, Filmsequenzen von Rosenmontagszügen und historische Objekte wie Orden und Karnevalsmützen. Diese Sinnenvielfalt spiegelt sich auch in der Präsentation der Ausstellung wider. So werden die Fotos der Rosenmontagszüge etwa auf nachgekauten Festwagen präsentiert.


Video- und Audiostation in der Schau mit Originalaufnahmen von Liedern und nachgesprochenen Büttenreden

NS-Propaganda im Rosenmontagszug
Die Ausstellung nähert sich diesem Thema in vier verschiedenen Themenbereichen. Ein erster Bereich thematisiert die Karnevalsgesellschaften und ihre Gleichschaltung, ein zweiter die Rosenmontagszüge in dieser Zeit. Der NS-Bürgermeister Wilhelm Ebel versuchte 1945 und 1935 die Gesellschaften zu entmachten und den Karneval unter die Kontrolle des Regimes zu bekommen. Er wollte einen neuen Dachverband für den Rosenmonatgszug einrichten und Büttenreden vorab zensieren lassen. Zugleich wollte er jegliche politische Aussagen aus dem Karneval fernhalten, um ausländische Gäste nicht zu verschrecken. Der Karneval sollte eine buntes, fröhliches Deutschland präsentieren. "Stimmung kam bei dem Rosenmontagszug jedoch nicht auf, weil die Tradition fehlte", erklärte heute Marcus Leifeld, Kurator der Ausstellung.

Diese Zensur führte 1935 zur so genannten "Narrenrevolte". Daraufhin entwickelte Gauleiter Josef Grohé eine neue Strategie. Er erklärte den Karneval für autonom und gab dem Festkomitee Kölner Karneval die Verantwortung für den Rosenmontagszug zurück. Auch sollten die Jecken wieder Alaaf Rufen und am Zugrand war der Hitlergruß nicht mehr zwingend. Dadurch entstand der Schein, der Karneval sei von der Politik unbeeinflusst. Da es jedoch enge Verbindungen zwischen Karnevalisten und Angehörigen der NS-Organisation hab, erhielt die NS-Propaganda dennoch Raum im Karneval. Zudem wurde der Rosenmontagszug eng mit
Grohé abgestimmt. Laut Leifeld gab es 1938 etwa ganze elf Propaganda-Wagen, die zeigten, welche Volksgruppen unerwünscht waren – neben Juden auch emanzipierte Frauen, kritische Geister oder Homosexuelle.

"Allein Küpper kann war widerständig"
Ein dritter Bereich der Ausstellung beschäftigt sich mit dem Sitzungskarneval während der NS-Zeit. So können Besucher etwa Video-Ausschnitte der ersten Prinzenproklamation 1936 sehen oder Lieder und Büttenreden hören. Sie zeigen einen bunten Mix aus politischen, rein unterhaltsamen, antisemitischen und regime-kritischen Themen. Zwar sollten die Sitzungen vor allem unterhalten, zugleich mischte sich in die Reden jedoch auch Propaganda. "Im Karneval war jedoch auch nicht alles regime-freundlich", betonte Leifeld. So beleuchtet ein vierter Bereich der Ausstellung drei große Karnevalisten dieser Zeit: den Kölner Mundartdichter Willi Ostermann, den jüdischen Autor Hans Tobar und den Redner Karl Küpper.

Der Volksdichter Willi Ostermann verbrachte die Jahre recht unbehelligt von dem NS-Regimes. Mündlich, so Leifeld, sei sein Eintritt in die NSDAP zwar überliefert, schriftliche Belege gebe es dafür jedoch nicht. Schwieriger hatte es da der Autor Hans Tobar. Er durfte als Jude nur noch bei jüdischen Veranstaltungen auftreten, bis er 1939 mit seiner Familie in die USA emigrierte. "Allein Küpper kann als widerständig im Kölner Karneval bezeichnet werden", so Leifeld. Er widersetzte sich einer Zensur und geriet in das Visier der Gestapo. Berühmt wurde sein Gedicht vom "NS-Baumverband", in dem er die "Volksgemeinschaft" des NS-Regimes verulkte.

"Es stand ein Baum an Waldesrand
Und war organisiert.
Er war im NS-Baumverband,
Damit ihm nichts passiert"


Festkomitee: Karneval darf "nicht die einen einbeziehen und andere ausgrenzen"
Die Ausstellung wird von den Festkomitee Kölner Karneval unterstützt. "Lange Zeit hat sich der Kölner Karneval dagegen gesträubt, sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Das hat man noch 1998, zum 175-jährigen Jubiläum des Festkomitees des Kölner Karnevals, deutlich gespürt. Seitdem hat sich dies – Gott sei Dank – geändert. Für uns, die wir uns mit der Organisation von Freude beschäftigen, zeigt dieser Blick und die Ausstellung unsere Verantwortung, die wir damit auch heute haben, auf. Das gemeinschaftliche feiern, das Gemeinschaftsgefühl, das ja im Karneval prägendes Element ist, darf nicht dazu führen, dass man die einen einbezieht und andere ausgrenzt, wie dies unter den Nationalsozialisten geschehen ist", betont Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach.


Nachgebauter Rosenmontagszugwagen in der Ausstellung


Infobox
Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz
Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda
Ausstellung vom 18. November 2011 bis 1. April 2012
NS-Dokumentationszentrum
Appellhofplatz 23 – 25
Eintritt: 4,20 Euro, erm. 1,80 Euro
Öffnungszeiten:
Di – Fr: 10 bis 18 Uhr
Sa, So und an Feiertagen: 11 bis 18 Uhr

Cornelia Schlößer für Report-k.de | Kölns Internetzeitung
Foto Motivwagen: NS-Dok