Das Haus in Köln Ostheim in dem eine Zwangsräumung eskalierte und der Mieter von der Kölner Polizei erschossen wurde.

Köln | Mietrebell Kalle Gerigk hat für den kommenden Samstag, 6. August um 14 Uhr eine Kundgebung vor dem Haus in Köln-Ostheim angemeldet, in dem vor zwei Tagen am 3. August zwei Polizeibeamte auf einen Mieter schossen und ihn dabei so verletzten, dass er noch vor Ort verstarb. Die Kundgebung trägt den Titel „Zwangsräumungen zerstören Leben!“

Der Mieter drohte vor der Zwangsräumung und aus diesem Grund zog die Gerichtsvollzieherin die Polizei ins Vertrauen und die schickte zwei Polizeibeamte. Diese Polizisten soll der Mann mit einem Messer bedroht haben, worauf die Beamten Pfefferspray einsetzten und im weiteren Verlauf ihre Waffen zogen und beide auf den Mann feuerten. Die Staatsanwaltschaft Köln und die Polizei Bonn ermitteln. Vor allem Boulevardmedien zeichnen das Bild eines Mannes, der von den Nachbarn als störend empfunden wurde. Aber wer sich einmal fragt, wie er über seine Nachbarn urteilt oder wie diese womöglich über einen selbst urteilen, wird schnell merken, so einfach liegen die Dinge oft nicht. Daher ist noch vieles Spekulation. Aber dennoch wirft der Fall viele Fragen auf und das ist auch einer der Gründe, warum Kalle Gerigk die Kundgebung anmeldete.

Zwangsräumungen enden immer wieder auch tragisch

Gerigk erinnert an den Fall der Berlin-Reinickendorferin Rosemarie F., die im April 2013 zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb. Allerdings hatte sie viele Unterstützer und ihre Zwangsräumung war von Protesten begleitet worden. Sie wurde geräumt, obwohl ein Arzt die Räumung als unzumutbar bezeichnete. Zwei Tage später war sie in eine Wärmestube in Wedding umgezogen und die dort Verantwortlichen bezeichneten den Zustand von Rosemarie F. als sehr schlecht. Die alte Dame verstarb.

Es kommt bei Zwangsräumungen immer wieder zu dramatischen Situationen für Mieter und Beamte.

In Baden-Württemberg ist im März 2017 ein Mann bei einer Zwangsräumung ums Leben gekommen. Als der Gerichtsvollzieher und Mitarbeiter des Ordnungsamtes gegen 9:00 Uhr mit der Räumung eines Einfamilienhauses in der Tübinger Innenstadt beginnen wollte, sei ein Feuer in dem Haus ausgebrochen, teilte die Polizei mit. Die Ursache für den Brand ist derzeit noch unklar. Der 69-jährige Bewohner des Hauses habe kurze Zeit später mindestens einen Schuss aus einer Pistole abgefeuert. Offenbar wollte er einen Mitarbeiter des Ordnungsamtes treffen. Durch den Schuss wurde niemand verletzt. Als sich das Feuer weiter ausbreitete, habe der 69-Jährige versucht vom Balkon des Hauses zu klettern. Dabei stürzte er mehrere Meter in die Tiefe und erlag wenig später seinen Verletzungen. Die Kripo Tübingen hat die Ermittlungen aufgenommen.

Fälle auch in NRW

So stürzte sich eine 70-jährige Frau aus Porta Westfalica aus dem siebten Stock eines Mehrfamilienhauses an der Georg-Rost-Straße in Lerbeck in den Tod als die Tür ihrer Wohnung geöffnet wird. Der Bericht der Polizei Minden-Lübbecke beschreibt die Situation vor Ort so: „Eine Vollzugsbeamtin, Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes, Vertreter der Wohnungsgesellschaft und zwei zur Unterstützung hinzugezogene Polizeibeamte waren gegen 9.45 Uhr an der Wohnungstür der dort alleinlebenden 70-Jährigen erschienen. Da die Frau nicht öffnete, wurde ein Schlüsseldienst beauftragt. Nach dem Öffnen der Wohnungstür und zweier ebenfalls verschlossener Zimmertüren stieg die Seniorin auf die Balkonbrüstung und stürzte sich spontan in die Tiefe.“ Der Fall passierte in NRW im September 2018 und er ähnelt dem Kölner Fall sehr. Denn die Polizei Minden-Lübbecke berichtet auch, dass die Gerichtsvollzieherin sich im Vorfeld an die Beamten wandte und um Amtshilfe bat, weil die Frau Widerstand angekündigt hatte. Die Polizei behauptete damals, dass es keine Hinweise auf Suizidgefahr gegeben habe.

Zwangsräumungen und akute Suizidgefahr

Die Caritas NRW berichtet unter dem Titel „Vollstreckungsschutz gegen Zwangsräumung wegen Suizidgefahr – Zwangsräumungen sind bei akuter Suizidgefahr unzulässig“ über ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts BVerfG, Beschluss vom 29.07.2014 – 2 BvR 1400/14. Sicherlich geht es bei Urteilen immer um Individualentscheidungen, aber dennoch bieten sie einen Ansatz den Rechtsrahmen zu erfassen. In dem Fall damals ging es um ein 81-jähriges Paar, das aus ihrem Haus geräumt werden sollen. Der Fall ging über mehrere Instanzen und kann hier im Detail nachgelesen werden: https://www.caritas-nrw.de/rechtinformationsdienst/vollstreckungsschutz-gegen-zwangsraeumun

Das Bundesverfassungsgericht stellte damals fest: „Das grundgesetzliche Recht des Räumungsschuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verpflichtet das Vollstreckungsgericht, besonders sorgfältig zu prüfen, ob dem Schuldner räumungsfolgenbedingt schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen bis hin zum Suizid drohen.“ In einem weiteren Urteil im Jahr 2005 bezog sich das BVerfG, dass ein Schutz vor Zwangsräumung auch zeitlich befristet werden kann bei akuter Suizidgefahr. Dies bleibe aber gewahrt, wenn der Räumungsschuldner trotz aller zumutbaren Bemühungen suizidgefährdet bleibt.

Der Mieter in Ostheim war den Behörden wegen Suizidgefahr bekannt

Diese Fälle werfen nur ein Schlaglicht auf die Problematik bei Zwangsräumungen. Im Kölner Fall ist eines klar, der Mann war den Behörden bekannt, auch dass er möglicherweise suizidgefährdet sei. Denn der ermittelnde Kölner Staatsanwalt Ulrich Bremer erklärte, dass gegen den Mann wegen Widerstand gegen Polizeibeamte ermittelt werde als diese ihn retteten, nachdem er seinen Suizid angekündigt hatte. Alleine dies wirft Fragen nach der Rechtmäßigkeit des Einsatzes auf und ob dem Amtsgericht Köln dies bekannt war oder dort im Vorfeld geprüft wurde. Hätte nicht spätestens bei der Nachfrage nach polizeilicher Amtshilfe dieser Umstand auffallen müssen?

Die geschilderten Fälle ähneln sich für den, der genau hinsieht. Es ist immer das gleiche Szenario beschrieben: Im Einsatz sind Vollzugsbeamt:innen der Gerichte, der Polizei oder Ordnungsämter und das auch bei angekündigtem Widerstand. Es ist nie zu lesen, dass die Behörden Psychologen oder Sozialarbeiter einsetzten, die vielleicht in der Lage wären eine solche für die Betroffenen dramatische Lebenssituation deeskalierend zu begleiten.

Es ist eine der Fragen, die auch Kalle Gerigk mit seiner Kundgebung aufwirft, wenn er die Frage stellt, wie viel ein Menschenleben zählt, wenn bei Zwangsräumungen am Ende Bilder von Mitarbeitern eines Bestattungsunternehmens durch die Medien gehen, bei denen Mieter starben. Dies gilt übrigens auch für die eingesetzten Beamten der Polizei, die jetzt damit leben müssen einen Menschen getötet zu haben. Und eines sollte auch klar sein: Nur weil andere Menschen oder Nachbarn einen Menschen als „schwierig“ einstufen, darf und ist dies kein Rechtfertigungsgrund für die Anwendung von Gewalt, die tödlich endet. Es bleibt die Frage: „Warum?“

Vor dem Haus in Ostheim, in dem die tödlichen Schüsse aus den Pistolen der beiden Polizeibeamten fielen hat es noch nicht einmal jemand für nötig befunden, ein paar Blumen niederzulegen oder eine Kerze anzuzünden. Ein polizeikritisches Grafitti findet sich an der Hauswand.

Auch das Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung stellt Fragen

In ihrem wöchentlichen Newsletter fragen und sagen die Aktivist:innen: „Es gibt andere Mittel, soziale Konflikte zu befrieden, als Schusswaffen, das sollte die Polizei am Besten wissen… Hinzu kommt, dass die Wohnung, um deren Besitz gekämpft wurde, der LEG gehören soll, einer ursprünglich Landesgesellschaften, die, auch wenn sie heute privat ist, an erster Stelle der Wohnungsversorgung der Bevölkerung verpflichtet ist, und nicht dem Profit. Des Weiteren ist zu fragen, wo das städtische Wohnungsamt beziehungsweise die städtische ‚Fachstelle Wohnen‘ war, deren selbst übernommene Aufgabe es ist, Zwangsräumungen zu verhindern und damit die drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden.“

Trauerkundgebung

Die Kundgebung „Zwangsräumungen zerstören Leben!“ ist für Samstag, 6. August, 14-17 Uhr angemeldet. Es handelt sich um eine Trauerkundgebung. Sie findet statt in der Gernsheimer Straße 17 in Köln-Ostheim.

Die bisherige Berichterstattung bei report-K zum Fall: