Mehr Rechte und Schutz eingefordert
“Menschen mit Behinderung haben die selben Bedürfnisse wie alle anderen auch, aber sie hatten bisher nicht die Möglichkeit, diese auszuleben. Sie wurden vor der Sexualität versteckt“, betonte Ralf Specht vom Institut für Sexualpädagogik Dortmund. Um das zu ändern, trafen sich heute 350 politische Vertreter, Mitarbeiter der Behindertenhilfe und Menschen mit Behinderung im Kölner Horion-Haus. Die Tagung des LVR gab Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, sich über schon existierende Projekte wie zum Beispiel „Schatzkiste“ — eine Partnerbörse für Menschen mit Behinderung, die dabei hilft, Freundschaften, Hobbygruppen, aber auch Partnerschaften zu finden — zu informieren, aber auch einmal offen Probleme in der Partnerfindung und Sexualität anzusprechen. So brachte Anita Kühnel vom Netzwerk „Mensch zuerst“ eine Liste mit, in der sie konkrete Forderungen und Verbesserungen gesammelt hatte. Darunter unter anderem das Recht auf Privatsphäre auch in Heimen, das Recht auf Homosexualität sowie der Wunsch nach Wohnungen für Paare in Heimen. Gebeten wurde aber auch um mehr Schutz vor sexueller Gewalt und einer besseren Unterstützung für Eltern mit Behinderung.

Klassische Beratungsstellen sollten auch Behinderten offen stehen
Als Ziel der Tagung hielt  LVR-Sozialdezernentin Martina Hoffmann-Badache daher fest, dass klassische Beratungseinrichtungen und Zufluchtsorte – wie zum Beispiel Frauenhäuser – auch für Menschen mit Behinderung geöffnet werden sollen. In Köln stellt sich auch Pro Familia inzwischen dieser Herausforderung und bietet Beratungen für Angehörige, Betroffene und  Interessierte an. Des Weiteren soll ein Netzwerk geschaffen werden, um eine bessere Zusammenarbeit zwischen ambulanten Betreuungseinrichtungen, Beratungsstellen, Krankenkassen und weiteren Einrichtungen zu ermöglichen. Vor allem aber wollte die Veranstaltung dazu beitragen, dass das Thema „Sexualität von Menschen mit Behinderung“ in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit verlangt. „Denn noch immer wird das Thema in der Gesellschaft tabuisiert“, so Martina Hoffmann-Badache. Die Tagung sollte als Auftakt zu einem Umdenken dienen. Statt von Menschen mit Behinderung eine Anpassung an die bestehende Gesellschaft zu verlangen und sie von dieser auszugrenzen, soll diese so umgestaltet werden, dass auch Menschen mit einem Handicap ein selbstbestimmtes Leben und eine selbstbestimmte Sexualität in der Gesellschaft führen können.

Großes Interesse am Thema
Die Nachfrage nach einem offenen Austausch darüber war so groß, dass nicht alle 400 Anfragenden eingeladen werden konnten, was die Dringlichkeit dieses Themas beweist. Vorurteile gegenüber der Sexualität von Menschen mit Behinderung führten dazu, dass diese oftmals nicht aufgeklärt wurden und nicht die Chance bekamen, ihren Körper und Sexualität zu erfahren. Ihnen wurde entweder Bedürfnislosigkeit oder im Gegenzug ein Übermaß an Triebhaftigkeit zugesprochen. Um Hilflosigkeit und Verunsicherung im Umgang mit Sexualität von Menschen mit Behinderung abzubauen, sollen daher in Zukunft nicht nur Menschen mit Handicap, sondern auch Angehörige und die gesamte Gesellschaft aufgeklärt werden. Dazu werden Infomaterialien und Beratungsstellen benötigt. Aber auch Produktionen wie die des Bayerischen Rundfunks „Polizeiruf 110 – Rosis Baby“, welche vor kurzem in der ARD ausgestrahlt wurde, können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen.

Fünf Jahre Wohnhilfe des LVR
Das LVR betreut zur Zeit etwa 22.000 Menschen in Wohnheimen, wovon 80 Prozent an einer geistigen Behinderung leiden. Weiterhin werden etwa 14.000 Menschen ambulant unterstützt, wobei hier seelisch Erkrankte mit 70 Prozent die größte Gruppe bilden. Da das LVR erst seit fünf Jahren für alle Wohnhilfen für Menschen mit Behinderung im Rheinland zuständig ist, d.h. ebenso für die Finanzierung von ambulanter Unterstützung wie für die Heimunterbringung, bot die Tagung auch Dorothee Daun, der Vorsitzenden des LVR-Sozialausschusses, eine Möglichkeit dazuzulernen. In den letzten Jahren konnte der LVR die Situation für Menschen mit Behinderung in Heimen wesentlich verbessern. So leben inzwischen nur noch 20 Prozent der Bewohner in Doppelzimmern, wobei darunter auch einige auf Wunsch in einem Doppelzimmer untergebracht sind. Das erklärte Ziel ist es, allen Menschen, die es wünschen, ein Einzelzimmer in einem Wohnheim anbieten zu können.

Cornelia Schlößer für report-k/ Kölns Internetzeitung
Foto: Juttaschnecke/ www. pixelio.de