„Wir gehen ganz langsam mit kleinen Schritten“, höre ich die Stimme des Stadtführers in meinem rechten Ohr. Vorsichtig schlängelt sich unsere Gruppe über die Domplatte. Die linke Hand umklammert den Rucksack meines Vordermannes, damit ich nicht den Anschluss verliere. Es ist viel los an diesem regnerischen Morgen. Auf dem Domvorplatz tummeln sich die Menschen, die verwundert stehen bleiben und unser Treiben mit Interesse verfolgen. Unser Führer informiert uns in aller Seelenruhe über die Geschichte und Besonderheiten der Umgebung. Es ist eine Stadtführung wie viele andere. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die Teilnehmer sehen nichts. Mit Schlafmasken, Rucksack und Funkempfänger bewaffnet, geben wir einen seltsamen Anblick ab. Die Menschen bleiben stehen, starren uns ungläubig an. Ich sehe es nicht, sondern bemerke es an ihren Kommentaren.

Eine Fülle neuer Erfahrungen
Die Reaktionen der Passanten sind nur ein kleiner Teil, der den "Blindwalk" zu einer nicht alltäglichen Erfahrung macht. Mit ihm werden Plätze, die einem all zu vertraut sind, neu erfahrbar. Anstatt wie gewohnt am Kölner Dom vorbei zu hetzen, achten die Teilnehmer ganz genau auf ihre verbliebenen Sinne. Vor allem das Gehör verschafft den Teilnehmern den Hauch einer Orientierung. Ich höre ganz genau hin. Höre fremde Stimmen, den Wind und den Regen und lege mir das passende Bild in meinen Gedanken zurecht. „Der Blindwalk findet im wirklichen Leben statt“, betont Initiator Dr. Axel Rudolph. Er hat bereits jahrzehntelange Erfahrungen mit der Dunkelheit. 1990 schuf er mit „Dialog im Dunkeln“ eine Möglichkeit der Kommunikation zwischen Sehenden und Blinden. Am bekanntesten ist er aber für seine im Jahr 2001 gegründete unsicht-Bar, deren Konzept einer Mahlzeit bei vollkommener Dunkelheit mittlerweile in die ganze Welt exportiert wird.

Doch der "Blindwalk" hebt sich von diesen Vorgängerprojekten durch einen reduzierten Grad der Inszenierung ab. Auf viele Faktoren kann Dr. Rudolph keinen Einfluss nehmen, wie der Regen bei unserer Tour nur zu deutlich macht. Doch darauf ist der Veranstalter vorbereitet. Jeder Teilnehmer erhält leihweise einen Rucksack, indem sich Regenmütze, Mantel und eine Frühstücksdose befinden. Diese wird während der Rast bei einem Picknick geöffnet – natürlich blind. An diesem Punkt bekommt der Teilnehmer eine Ahnung davon, wie es sein muss, den Alltag ohne Augenlicht zu meistern. Dr. Rudolph betont aber, dass der "Blindwalk" ohne integrative Zielrichtung entstanden ist. Für solche Zwecke gebe es bereits sinnvollere Angebote.

Eine Tour vorbei an Hauptbahnhof, Heinzelmännchenbrunnen und Rhein
Dem Einwand, der "Blindwalk" könne so ein falsches und verharmlosendes Bild von dem Leben eines blinden Menschen befördern, wehrt der Veranstalter mit dem Hinweis ab, dass viele blinde Menschen sehr angetan von der Idee seien. Die bisher rund vierzig Testläufe fanden jedoch ohne ihre Beteilung statt. Natürlich müssen bei der Route, die ausgehend vom Museum Ludwig unter anderem am Heinzelmännchenbrunnen vorbei führt und am Bruegelmannhaus endet, einige Zugeständnisse gemacht werden. Die Strecke ist überwiegend eben und es können maximal sechs Personen an einer der 35 Euro teuren Touren teilnehmen. So bleibt der Überblick für die ausgebildeten Tourleiter gewahrt, die auch für die Sicherheit der Teilnehmer Sorge tragen.

Ob der "Blindwalk" später auch in anderen Städten stattfinden kann, bezweifelt Initiator Rudolph. Köln sei einzigartig, was die enge räumliche Lage seiner charakteristischen Orte wie dem Hauptbahnhof, den Rhein und der Hohenzollerbrücke angehe. Am Ende einer zwei Stunden langen Touren würden so die verbliebenen vier Sinne in unterschiedlichster Weise erfahrbar.

Ab dem 21. Oktober können sich Bürger und Ortsfremde ein eigenes Bild von der etwas anderen Stadtführung machen. Die Touren werden auf deutsch oder englisch angeboten und finden dann Freitags um 15 Uhr und Sonntags um 11 Uhr statt. Die Buchung erfolgt im Internet. Die Teilnehmer sollten mindestens 10 Jahre alt sein.

[bb]