Jülich | Wie ein Raumschiff sieht der meterhohe, kugelige und von zahlreichen Kabeln durchsetzte Stahlkoloss auf den ersten Blick aus. Das 35 Tonnen schwere, sogenannte Zyklotron steht in einem unterirdischen, bunkerartigen Raum auf dem Gelände des Forschungszentrums (FZ) Jülich. Bald wird die Apparatur schwach radioaktive Teilchen herstellen. Sie sollen als „strahlende Spione“ einen Beitrag dazu leisten, neue Wege in der Hirnforschung zu gehen.

Der bunkerartige Keller gehört zum PET-Zentrum – einer neuen, in dieser Woche eingeweihten Forschungsabteilung auf dem Gelände des FZ. Sie soll im Sommer ihren Betrieb aufnehmen und Forschungsergebnisse liefern, mit denen Hirnerkrankungen wie vor allem Alzheimer oder Parkinson, aber auch Tumore künftig besser verstanden und – so die Hoffnung – besser therapiert werden können.

PET steht dabei als Abkürzung für ein bildgebendes Verfahren in der Nuklearmedizin, die Positronenemissionstomografie. Sie funktioniert wie ein Fenster ins Gehirn, in dem sie mit „strahlenden Spionen“, die als schwach radioaktiv markierte Substanzen in den Körper injiziert wurden, Stoffwechselvorgänge sichtbar macht. So können die Wissenschaftler krankhafte Veränderungen im Gehirn ermitteln und auch feststellen, an welchen Stellen Pharmazeutika wie wirken.

„Entwickeln, Testen, Anwenden“

Neu am PET-Zentrum ist der selbstformulierte Ansatz „Entwickeln, Testen, Anwenden“, der Wissenschaftler, Arzneimittelhersteller, Ärzte und Patienten erstmals in Europa in diesem Medizinzweig unter einem Dach zusammenbringt. „Damit können Forschungsergebnisse noch zügiger und zielgenauer in die klinische Anwendung übertragen werden als bisher“, sagt FZ-Vorstandschef Achim Bachem.

Während im Erdgeschoss die radioaktiven Substanzen erzeugt werden, finden im Stockwerk darüber Tests von neuen Pharmazeutika in sogenannten vorklinischen Studien an Kleintieren statt. Im Obergeschoss gibt es den klinischen Teil des PET-Zentrums: Dort können die Mediziner experimentelle Hirnforschungsstudien an Probanden durchführen und Arzneien an Patienten auf ihre Wirksamkeit prüfen.

Die vom Bund mit 30 Millionen Euro geförderte neurowissenschaftliche Grundlagenforschung im PET-Zentrum könnte damit zu einem wichtigen Baustein im Kampf der Medizin gegen bislang unheilbare Hirnerkrankungen werden. Alzheimer, zumeist ab dem 60. Lebensjahr auftretend, steht besonders im Fokus – mit seinem fortschreitenden Gedächtnisverlust, dem anschließenden Verschwinden weiterer höherer Hirnfunktionen bis hin zum vollständigen Verlust der Eigenständigkeit.

Immer mehr Erkrankungen weltweit

Unterschiedlichen Schätzungen zufolge leiden weltweit zwischen 25 und mehr als 35 Millionen Menschen an Alzheimer. Diese Zahl könnte sich, so die Erwartung, bis 2050 auf mehr als 115 Millionen erhöhen. Erkrankungen Prominenter bringen die Krankheit immer wieder in die Schlagzeilen: Mit bewegenden Worten etwa nahm Ex-US-Präsident Ronald Reagan (1911 bis 2004) 1994 Abschied von der Öffentlichkeit, nachdem er die Diagnose Alzheimer bekommen hatte: „Ich beginne jetzt die Reise, die mich in den Sonnenuntergang meines Lebens führen wird.“

Allein in Deutschland leiden rund 1,2 Millionen Menschen an Demenzerkrankungen. Pro Jahr kommen geschätzt 200.000 Fälle dazu. „Die Zahl wird weiter zunehmen, weil wir alle immer älter werden“, sagt Ludger Dinkelborg, Geschäftsführer der Piramal Imaging GmbH, die auf die Entwicklung von Radiopharmaka für bildgebende Verfahren spezialisiert ist: „Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, werden unsere Gesundheitssysteme daran zerbrechen.“

Mit einer Verbesserung der Früherkennung sowie der Entwicklung von Medikamenten, die den Krankheitsverlauf zumindest verzögern oder vielleicht einmal ganz unterbinden, versucht die Medizin Alzheimer beizukommen und die Krankenkassen zu entlasten. Denn krankhafte Prozesse im Gehirn, die zu Alzheimer führen könnten, lassen sich mittels bildgebender Verfahren zwar schon heute bis zu 20 Jahre vorher nachweisen. Doch ohne Therapiemöglichkeit kann die Medizin den Betroffenen keine langfristige Hilfe bieten.

„Es wäre deshalb schon ein großer Effekt, wenn es uns gelingt, den Ausbruch der Krankheit immer weiter nach hinten zu schieben“, sagt Andreas Bauer, Leiter des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin am FZ Jülich. Denn je älter jemand schon sei, desto größer werde dann die Wahrscheinlichkeit, dass er eines natürlichen Todes sterbe, bevor Alzheimer bei ihm in Erscheinung trete. Bauer sagt: „Das kommt, wenn man so will, einer Heilung gleich.“

Autor: Frank Bretschneider, dapd | Foto: Bilderstoeckchen/fotolia
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