Köln | Vor 20 Jahren benannte der Architekt Oswald Mathias Ungers in der Innenstadt eine Kulturachse als „Via Culturalis“. Wie ein DNA-Strang zieht sich die bauliche Erbmasse Kölns vom Dom zu St. Maria im Kapitol. Derzeit aber tritt das Vermächtnis 2000jähriger Geschichte zurück hinter Sanierungen, Abrissen und Stillständen, die seinen Pfad säumen. So spiegelt er auch das aktuelle Köln, das sich gern in seinen guten Absichten verheddert.
Das Römisch-Germanische-Museum (RGM) am Beginn der Via wurde 2019 wegen einer Generalsanierung geschlossen. Geschlagene sieben Jahre sind dafür veranschlagt. Frei von Ehrgeiz wird es erst 2026 wieder eröffnet. Wo endet Bedachtsamkeit und beginnt Apathie, frage ich mich. Das Dom Hotel soll dann seit drei Jahren wieder in Betrieb sein. Nach zehn Jahren Sanierung. Wenn nicht alles doch noch anders kommt, wie manchmal in Köln.
Am Kölner Dom beginnt die „Via Culturalis“. Gesäumt ist sie von Sanierung, Abriss, Neubau, Stillstand und Hängepartie. So spiegelt sie neben der 2000jährigen Vergangenheit die aktuelle Verfassung der Stadt.
Und die geplante „Historische Mitte“, die den Roncalli Platz säumen soll? Zwar wäre die Katholische Kirche Bauherr und die Stadt nur Juniorpartner. Doch auch hier ist die Zukunft ungewiss. Köln stellt zurzeit alle Großprojekte auf den Prüfstand. Wie ein Mensch mit Burnout, für den Alltagsgeschäfte bereits unüberwindliche Hindernisse darstellen. Dabei müssen Großstädte, die Schritt halten wollen, fraglos zentrale Projekte parallel stemmen können. Sie verkommen sonst zu Gebilden, in denen der langsamste das Tempo vorgibt.
Am künftigen Laurenz-Carré zumindest tut sich etwas: Das frühere Carlton-Hotel ist abgerissen und Hoffnung keimt, dass der Investor rasch seine Pläne umsetzen kann. Anders steht es um die „Miqua“, einige Schritte weiter. Die für 2024 geplante Fertigstellung dieses Jüdischen Museums muss nach einem Streit mit dem Stahlbauer verschoben werden – auf wann auch immer. Wie ein Fanal des Stillstands ragt ein Metallgerüst empor, auf das man einen guten Blick hat vom Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud (WRM & FC).
Das älteste Museum Kölns residiert seit 2001 in einem markanten Neubau und sollte praktisch vom ersten Tag an erweitert werden. Doch ist die Planung seither überschattet von Pleiten, Pech und Pannen. Dabei hat das Projekt beste Fürsprecher wie Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Baudezernent Markus Greitemann. Aber Köln funktioniert nicht hierarchisch. Auch Vertreter der Bürgergesellschaft, die verstorbenen Alfred Freiherr von Oppenheim und Alfred Neven DuMont, kamen nur langsam voran.
Seit Jahren verfolgt nun der Unternehmer Peter Jungen, Vorsitzender des Stifterrates vom WRM & FC, die Erweiterung. Der frühere Strabag-Chef ist ein Weltbürger und hartnäckiger Verhandler. 1990 erreichte er im direkten Gespräch mit Iraks Diktator Saddam Hussein die Freilassung hunderter Geiseln, darunter auch viele aus seiner Firma. Selbst er wird immer wieder kalt von der Verwaltung erwischt, die eine Art von Eigenleben zu führen scheint.
Übrigens: Als wäre Köln ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, in dem man gegen- und nicht miteinander antritt, hat die Verwaltung – bewusst, wie sie sagt – erst jetzt mit einer Bodenuntersuchung für eine Erweiterung des Wallraf-Museums begonnen. In einer Stadt, deren Grund von römischen Spuren durchsetzt ist, wäre das vor 20 Jahre geboten gewesen. In der freien Wirtschaft würden nun, zurückhaltend gesagt, Verantwortlichkeiten neu verteilt. Gibt es für Behörden keine Hinweis- und Mitwirkungspflicht, keine Bringschuld, frage ich mich? Muss man für alles und jedes auf Anweisungen warten? Frei nach der Devise: Fällt der Soldat ins Wasser, hat er sofort Schwimmbewegungen auszuführen.
Im öffentlichen Bereich wird Leistung ohnehin anders definiert als in der zivilen Arbeitswelt, vermute ich. Der Gedanke kam mir in zwei Fällen. In seinen 16 Jahren als Kölner Flughafenchef formte Michael Garvens einen modernen Airport. Dann kamen Heckenschützen und stachen im Schutz der Anonymität Mutmaßungen und Verdächtigungen durch. Schon von Amts wegen ermittelte die Staatsanwaltschaft. Nun, fünf Jahre später, teilte sie mit, dass sich keine Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Handeln von Garvens ergeben hätten, der 2017 verbittert ausschied. Intriganten haben in dieser an Machern nicht eben reichen Stadt offenbar mehr Macht als Leistungsträger.
Ein weiterer Fall ist Jürgen Mathies. Nach der Kölner Silvesternacht 2016 übernahm er das Amt des Polizeipräsidenten in der aufgewühlten Stadt. Der gradlinige Mann stand für Ruhe und Verlässlichkeit. Auch später meisterte er kritische Situationen überlegt und ruhig. Dass der damalige Ministerpräsident Armin Laschet ihn als Staatssekretär ins Innenministerium berief, wunderte mich nicht. Für Köln aber war es ein Verlust. Den liberalen Laschet störte nicht, dass Mathies kein Parteibuch hatte und unabhängig bleiben wollte. Unter Nachfolger Hendrik Wüst aber war für ihn kein Platz mehr. Er wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Auch hier gilt: Menschen wie Mathies sind rar gesät. Wie gesegnet mit Talenten muss NRW sein, wenn es auf ihn verzichten kann. Oder wie blind.
Das passt zur Schlussbetrachtung. Nach Lage der Dinge ruft am Freitag der Muezzin von der Kölner Zentralmoschee. Das wird den türkischen Präsidenten Erdogan freuen, der 2018 eigens zur Einweihung angereist war. Eines Tages werde dieser Ruf weltweit erklingen, hatte er versprochen. Köln hilft ihm in heiliger Einfalt nun, diesen Wunsch umzusetzen.
Lale Akgün findet klare Worte für den Vorgang. „Der Muezzinruf mag in Köln leise sein, aber in der Türkei, aber auch in Deutschland erklingt er sehr laut. Weil damit klar ist, dass der politische Islam auch in Köln hörbar ist“, sagt sie. Wie das Kopftuch sichtbares Symbol des politischen Islam sei. Die SPD-Politikerin denkt im Gegensatz zu anderen über Stadtgrenzen hinaus.
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