Berlin | Der Pferdefleischskandal weitet sich aus. Untersuchungen des Europäischen Schnellwarnsystems für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF) deuten darauf hin, dass falsch deklariertes Rindfleisch kam offenbar nicht nur aus Rumänien, sondern auch aus Polen und Italien gekommen sein könnte, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am Sonntag berichtete. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will am Montag bei einem Treffen mit ihren EU-Kollegen in Brüssel den Stand der Ermittlungen erörtern und auf eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung hinwirken. Doch für den Plan gibt es nicht nur Zustimmung.

Die RASFF-Untersuchungen weisen laut „Spiegel“ darauf hin, dass in mindestens drei Fällen falsch deklariertes Rindfleisch aus zwei polnischen Schlachtereien verarbeitet worden sein könnte. Demzufolge kaufte der Hersteller eines Aldi-Dosengulaschs, die Brandenburger Dreistern Konserven GmbH, sein Fleisch laut Lieferbelegen über einen Zwischenhändler unter anderem von einem polnischen Rohwarenlieferanten namens Mipol. Allein für Aldi wurden den Angaben zufolge bei Dreistern knapp 50.000 Dosen Rindergulasch produziert.

In einem zweiten Fall führte laut „Spiegel“ der Rohwarenlieferant Vossko aus Nordrhein-Westfalen, bei dem sich ebenfalls Pferde- im Rindfleisch fand, dies ebenfalls auf einen Betrieb aus Polen zurück. Das Unternehmen hatte knappe 20 Tonnen tiefgefrorenes Rinderhack im Wert von rund 60 000 Euro über einen dänischen Großhändler bestellt. Dieser habe das Fleisch zuvor von einem Schlachtbetrieb im nördlichen Polen gekauft.

Im Fall der vom Lebensmittelkonzern Nestlé zurückgerufenen Fertigprodukte weisen die Spuren dem Blatt zufolge nach Italien. Zwei Betriebe aus Norditalien sollen hier die Rohwarenvorlieferanten gewesen sein. Woher sie ihre Waren bezogen, sei bislang allerdings noch unklar.

Bislang 830 Proben untersucht

Unterdessen untersuchen die Behörden weiter Lebensmittel auf Spuren von Pferdefleisch. Nach Angaben des Bundesverbraucherministeriums ist bislang in 67 Fällen Pferdefleisch in falsch etikettierten Fertigprodukten nachgewiesen worden. Insgesamt hätten die Kontrollbehörden 830 Proben auf Pferde-DNA untersucht. Einen entsprechenden Bericht der „Bild am Sonntag“ bestätigte eine Sprecherin des Ministeriums auf dapd-Anfrage.

Spitzenreiter bei den positiven Labortests ist den Angaben zufolge Nordrhein-Westfalen mit 27 Fällen, gefolgt von Hessen (13), Baden-Württemberg (8) und Bayern (8). Weitere Länder seien Mecklenburg-Vorpommern (5), Brandenburg (4) und Hamburg (2). Das für Menschen gesundheitsschädliche Pferde-Medikament Phenylbutazon sei bisher bei keiner Analyse nachgewiesen worden, hieß es weiter. Nach Ministeriumsangaben sind von dem Skandal inzwischen 23 von 27 EU-Mitgliedsstaaten betroffen.

Streit über Kennzeichnungspflicht und Kontrollen

Aigner zeigte sich überzeugt, dass noch in diesem Jahr in Brüssel die entscheidenden Weichen zur Einführung eine Herkunftskennzeichnung gestellt werden. Dies sei zugesagt, erklärte die CSU-Politikerin. „Die Kennzeichnung muss verpflichtend sein, mit einem freiwilligen Modell kommen wir hier nicht weiter.“ Im ersten Schritt sollten vor allem Fleischprodukte besser gekennzeichnet werden.

Allerdings hält der Bundesverband de Lebensmittelkontrolleure eine schärfere Kennzeichnungspflicht für wirkungslos. „Bei krimineller Energie wie de Pferdefleisch-Untermischung hilft keine Kennzeichnung, sondern nur Kontrolle“, sagte Verbandschef Martin Müller der „Wirtschaftswoche“. Doch in Deutschland fehlten 1.200 bis 1.500 Lebensmittelkontrolleure. Müller sprach von einer „dramatischen Unterbesetzung“.

Unterdessen findet offenbar Russland die Veterinärkontrollen in Deutschland zu lasch. Deshalb habe das Land kürzlich ein Importverbot für Fleisch und Milchprodukte aus Deutschland erlassen, schreibt die „Wirtschaftswoche“. Danach stehen seit Mitte Februar 56 milch- und 28 fleischverarbeitende Unternehmen aus Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen auf dem Index.

Der niedersächsische Agrarminister Christian Meyer (Grüne) forderte die Einrichtung einer EU-Task-Force. Auf europäischer Ebene sei eine klare Koordinierung von Kontrollen unumgänglich, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Eine bei der EU-Kommission anzusiedelnde europäische Task Force müsste solche Kontrollen koordinieren, ansonsten ist ein Land anfälliger für Manipulationen als ein anderes“, sagte der Minister.

Auch Niebel will Pferdefleisch-Lasagne Armen schenken

Derweil befeuerte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) den Vorschlag, falsch deklarierte Lebensmittel mit Pferdefleisch an Hilfsorganisationen zu verschenken statt sie zu vernichten. Niebel sagte der „Bild“-Zeitung, auch hierzulande gebe „es leider Menschen, bei denen es finanziell eng ist, selbst für Lebensmittel. Ich finde, da können wir hier in Deutschland nicht gute Nahrungsmittel einfach wegwerfen“. Vor Niebel hatte bereits der CDU-Abgeordnete Hartwig Fischer vorgeschlagen, Pferdefleisch-Produkte an Einkommensschwache zu verteilen.

SPD-Vize Manuela Schwesig zeigte sich empört: „Die Forderungen, verunreinigte Lebensmittel an bedürftige Menschen zu geben, sind abstoßend“, erklärte sie. „Niebel und andere scheinen Bedürftige für Verbraucher zweiter Klasse zu halten“.

Autor: Monika Pilath, dapd